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008:schloss:

Das schöne schloss.
Die utopie der demokratie und der restaurative schein des   schönen.
(2002) *)
(*abs.:001-027*)

stichworte:     abstract:       gliederung:       text:
(kein lokales register)

*) vortrag auf dem Vierten Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik: Kunst und Demokratie.
Berlin: Akademie der Künste. 3.-6.Juli 2002


stichworte

aesthetik
Berliner_schloss
demokratie
königtum
politik
politische_philosophie
utopie
utopie_der_demokratie
utopie_des_königtums
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abstract
Der kristalisationskern meiner methodischen überlegungen zum prekären verhältnis von aesthetik und politik ist die aktuelle debatte um den wiederaufbau/neubau des Berliner Schlosses, in die Ich das neue bundeskanzleramt mit einem seitenblick einschliesse. Ich analysiere einen exakt begrenzbaren strukturaspekt dieser kontroverse und werde in einer synthese das analytisch getrennte wieder verknüpfen.

In der kontroverse stehen die argumentationsebenen der aesthetik und der politik quer zur konvention. Die aesthetischen argumente, die privat sein sollen, können ihre argumentative kraft nur im öffentlichen raum entfalten; die politischen argumente, die im öffentlichen raum geltend gemacht werden, haben ihren zweck allein in den interessen der beteiligten, die jeder privat verfolgt.

In der analyse erweitere Ich die wechselbeziehung von aesthetik und politik um den aspekt der politischen ordnung. An Aristoteles' modell der politik anknüpfend unterscheide Ich zwei strukturtypen von herrschaft, die begrifflich nicht vereinbar sind - entweder das eine oder das andere (im bereich der phänomene aber gilt das sowohl als auch in einer vielfältigen gemengelage). Ich bezeichne die begriffe mit den termini: demokratie (alle herrschen) und: königtum (einer herrscht). Die wahrheitsfrage ist theoretisch nicht entscheidbar und alle, die es betrifft, entscheiden das problem pragmatisch. Mein interesse gilt allein den begriffen, deren utopische funktion Ich akzentuiere.

In der synthese verknüpfe Ich die argumentebenen der aesthetik und der politik mit den beiden grundstrukturen gesellschaftlicher herrschaft. Das königtum wie die demokratie haben ihre spezifischen, unauswechselbaren strukturen; diese strukturen definieren die chancen, in den das ich (als könig/untertan oder als demokrat) seine interessen mit den ästhetischen urteilen im politischen und aesthetischen diskurs verknüpfen kann. Symbolisch hat der schlosshof eine andere funktion als das bürgerforum.
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gliederung
einleitung: der politische horizont/ gliederung des vortrags
hauptteil:
1.  analyse I:  die begriffspaare: politik/aesthetik, und: öffentlich/privat
1.1. die öffentliche bauten als symbol
1.2. die relationen: ich<-->politik/aesth. und: ich<-->privat/öffentl.

2.  analyse II: das begriffspaar: königtum/demokratie
2.1. das politikmodell des Aristoteles
2.2. die utopien des königtums und der demokratie

3.  synthese: die verknüpfung von I + II
3.1. das königtum als absolutismus; die demokratie als das noch nicht erschienene
3.2. schlosshof/agora - bürgerforum/Schlüterhof

schluss: ein obiter dictum über ratio und unsinn

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text

Das schöne schloss.
Die utopie der demokratie und der restaurative schein des schönen.

einleitung: der politische horizont/ gliederung des vortrags

Das schöne schloss - ja, wo ist es denn? Wo es einmal gewesen war, und eines tages wieder sein soll - ein öder platz, mitten in der alten, neuen hauptstadt der Republik Deutschland, oder sage Ich es nicht präziser: des alten Preussens und des Deutschen Reiches, nummero zwei? Ansonsten gibt es einige reliquien, photographien, auch, so habe Ich es beiläufig irgendwo gelesen, sollen alte baupläne wiedergefunden worden sein. Und es gibt noch etwas: erinnerungen, die mit dem verlauf der zeit nur vererbte sind; diese erinnerungen sind es, die heute die vorstellungen der menschen bewegen, ein projekt durchzuziehen oder zu vereiteln, bei dem es um mehr geht als die möblierung der stadt mit einer zerstörten pretiosa. (*abs.:001*)

Das thema ist heikel - heikel ist es, weil die beteiligten an dem spiel: projekt Berliner Stadtschloss, mit gezinkten karten spielen - teils unbewusst naiv, teils gewollt mit klar definiertem kalkül. Einerseits haben die politischen ereignisse der jahre 1989/90 der debatte über die gestaltung der historischen mitte Berlins die geschliffene ruine des Berliner Stadtschlosses als objekt seiner  restauration real verfügbar gemacht, andererseits hat die neuentstandene Republik Deutschland den neubau des bundeskanzleramtes notwendig gemacht. Ich sehe eine über-kreuz-verbindung dieser beiden projekte und mache sie an zwei phänomenen fest. Einerseits ist es der wille, den Schlüterhof des alten Hohenzollernschlosses zu restaurieren, andererseits ist es der nichtbau des bürgerforums vor dem neuen bundeskanzleramt, vom kanzler a.D. durchgesetzt und vom jetzt regierenden kanzler hingenommen. Ich denke, das ist kein zufall.
(*abs.:002*)

Der philosoph aber tut gut daran, das politisieren zu unterlassen, und als beobachtender bürger bin Ich kein insider, also ein täter, der, von interessen strategisch geleitet, in der öffentlichen diskussion sein wissen der öffentlichkeit präsentierend vorenthalten muss. Ich beschränke mich daher auf die analyse eines phänomens, das im bereich öffentlicher bauten evident ist: es ist die relation von politik und aesthetik. Mein interesse gilt der struktur der argumentebenen, auf denen die politiker, die experten und alle, die sich sonst dafür interessieren, die argumente der aesthetik mit denen der politik und die der politik mit denen der aesthetik notwendig verknüpfen müssen. Im ersten teil analysiere Ich die relation: ästhetik und politik, in ihrer verknüpfung mit der relation: öffentlich und privat. Im zweiten teil analysiere Ich die beiden grundstrukturen politischer herrschaft: das königtum und die demokratie. Im dritten teil synthetisiere Ich die argumente als modelle politischen handelns, mit denen die individuen als ich ihren interessen in der form öffentlicher gebäude die in stein, stahl und glas gefasste symbolische gestalt geben. (*abs.:003*)

hauptteil:
1.  analyse I: die begriffspaare: politik/aesthetik, und: öffentlich/privat
1.1. die öffentliche bauten als symbol

Analog zur hegelschen sentenz formuliere Ich den satz: jedes vom menschen gefertigte bauwerk fasst seine zeit in stein, stahl und glas. Ein banaler satz, der eine berühmte formulierung ausbeutet. Der satz, Hegel ein letztes mal bemühend, ist so offensichtlich, dass das selbstverständliche, die glatte oberfläche der dinge der welt, verkannt wird, das die fundamente dieser dinge verhüllt. Die wahrnehmung eines gebäudes erschöpft sich in keinem fall in der reinen erfassung seiner nackten funktionalität, die jedem bauwerk eigentümlich ist, sie interpoliert auch die werturteile, die das wahrnehmende ich leiten, wenn es ein gebäude, Ich zitiere das neue bundeskanzleramt als beispiel, gefällig oder abstossend, schön oder abscheulich, deutsch auftrumphend oder das richtige maass haltend bewertet. In seiner zeiterfahrung verknüpft das ich gegensätzliche aspekte in einem aesthetischen urteil, das als ein ganzes sich präsentierend von dem anderen als eine einheit rezipiert und in dieser gestalt interpretiert wird. (*abs.:004*)

In meiner analyse beschränke Ich mich auf vier aspekte, die Ich als prämissen meiner überlegungen voraussetze und hier, keiner weiteren diskussion bedürftig, vor die klammer ziehe. Als prämissen setze Ich:
1. das ich nimmt jedes ding seiner welt als ein politisches und ein ästhetisches objekt wahr;
2. das ich äussert eine private meinung, die in der kommunikation mit seinem anderen zugleich eine öffentliche repräsentation hat.
Das problem fixiere Ich mit vier paarweise angeordneten termini: aesthetik/politik, und: öffentlich/privat. Der ausgangspunkt meiner überlegungen ist ein tableau von relationen, deren drehpunkt das ich ist. (*abs.:005*)

Die blendende klarheit des schemas lässt das objekt im schatten des bestimmten urteil eines individuums als ich verschwinden. Das private urteil: das gebäude a ist schön/hässlich, kann über kreuz in dem sinne eine öffentliche wirkung entwickeln, dass das gebäude a gebaut/nicht gebaut werden soll, genau dann, wenn sein subjekt ein einflussreicher, mächtiger politiker ist, oder das pendant dazu: eine mit medialem aufwand inszenierte öffentliche verkündung, dass das gebäude b gebaut/nicht gebaut werden soll, erscheint als die blosse meinung einer person genau dann, wenn dieses subjekt als angestellter einer institution den plan verkündet, indem es erfolgreich suggerieren kann, im namen der institution zu sprechen. Die argumentebenen, auf denen das ich sein urteil gegen einem anderen äussert, können, wenn das ich das will, nach gutdünken und belieben ausgetauscht werden. (*abs.:006*)

Die termini der unterscheidungen: politik/aesthetik, und: privat/öffentlich bezeichnen einerseits klar voneinander unterscheidbare erfahrungsbereiche des ich; die bequeme konvention aber, die die ästhetik mit dem privaten, und das öffentliche mit der politik verknüpft, ist andererseits theoretisch unbegründet. (*abs.:00*7)

1.2. die relationen: ich<-->politik/aesth. und: ich<-->privat/öffentl.

Die analyse beginne Ich mit der ästhetik. Den begriff: ästhetik, begrenze Ich hier auf die lehre der wahrnehmung der dinge. (*abs.:008*)

Das ich kann seine welt und damit die dinge dieser welt nur für sich selbst wahrnehmen; insofern ist die ästhetik von ich nicht ablösbar, sie ist für das ich immer ein moment seiner privatheit. Wenn ein individuum als ich ein gebäude wahrnimmt und sagt, das gebäude a sei schön oder hässlich, dann gilt dieses urteil für das ich absolut; was sein anderer darüber urteilt, ist die entscheidung des anderen, und dieses urteil gilt für den anderen ebenso absolut. Die urteile können übereinstimmen, oder in einem gegensatz zueinander stehen. Die streitfrage, ob das gebäude a nun schön oder hässlich sei, ist, anders als der jargon es suggeriert, nicht entscheidbar, oder, wenn diese frage entschieden werden soll, und in der praxis wird sie entschieden, dann erfolgt sie von einem dritten standpunkt aus, der kriterien angibt, wonach rational beurteilt werden kann, ob das gebäude a, gemäss der definitionen, die merkmale: schön und hässlich, erfüllt oder nicht. Dieser dritte standpunkt ist ein konsens, auf den das ich und sein anderer, jeder für sich autonom entscheidend, sich verständigt haben müssen. (*abs.:009*)

Die bedingungen der kommunikation aber erfordern, dass das ich sein ästhetisches urteil, wenn es ein gegenstand des konsenses sein soll, aus dem forum internum nach aussen kehren und in das licht der öffentlichkeit stellen muss, damit es für die anderen ein objekt ihrer welterfahrungen werden kann. Folglich ist das kriterium der öffentlichkeit ebenso konstitutiv für das ästhetische urteil wie das der privatheit. (*abs.:010*)

In meiner analyse der politik greife Ich einen topos der antiken tradition auf. Die agora, der zentrale platz Athens, war der allen zugängliche raum, in dem vor jedermanns augen das miteinander verhandelt wurde, was seit Aristoteles als politik gilt; die angelegenheiten des hauses, der abgegrenzte bezirk der familie, waren privat. Die gleichsetzende trennung: agora=öffentlich und: privat=haus, hat den charm der eindeutigkeit für sich, der den mangel des zureichenden grundes nicht kompensieren kann. Sowohl in seinem haus als auch auf der agora ist das ich zuhause. Im haus weiss es, dass seine dinge auf der agora mitverhandelt werden; es weiss auch, dass auf der agora seine interessen im haus mitentschieden werden. Die entscheidung darüber, was dem ich als sein glück zugestanden wird, fällt auf dem platz der öffentlichkeit, der politik also, was sein glück aber sein soll, ist ohne ausnahme als teil seines forum internum die sache des ich, zu dem es allein den schlüssel hat. Das ich weiss aber auch, dass es sein glück nur dann leben kann, wenn sein glück auf der agora verhandelt wird, und die bedingung dafür ist, dass es mitwirkt, diese funktion der agora zu sichern, indem es sein glück öffentlich mit den anderen aushandelt. Das glück jedes individuums als ich ist das reale objekt der politik, die nur im öffentlichen raum präsent sein kann. (*abs.:011*)

Das resultat, das quer zur konvention steht, ist für sich kein argument, das die gemüter erregen müsste. Sein kritisches potential wird erst in der verknüpfung der analysierten momente mit den wechselseitigen prozessen erkennbar, in die jedes individuum als ich als genosse einer gemeinschaft eingebunden ist. Gemäss der konvention werden diese prozesse mit den termini: macht und herrschaft, gekennzeichnet. (*abs.:012*)
 

2.  analyse II:  das begriffspaar: königtum/demokratie
2.1. das politikmodell des Aristoteles

Im 2.teil der analyse greife Ich modifizierend eine überlegung des Aristoteles auf, und reduziere den begriff: herrschaft, auf die alternative: königtum oder demokratie. Zwei kriterien bestimmen das politikmodell des Aristoteles: das erste kriterium ist die zahl der individuen als ich, die an der ausübung der herrschaft beteiligt sind, das zweite kriterium bewertet die ausübung der regierungsherrschaft daran, ob die individuen als ich ihre macht zum nutzen oder schaden des öffentlichen wohls gebrauchen. Das resultat wird traditionsgemäss in einer tafel mit sechs grundformen politischer ordnungen zusammengefasst, die sich begrifflich ausschliessen, die aber als phänomene in der realität des politischen geschehens nie in ihrer reinen form nachweisbar sind. Das zweite kriterium lege Ich hier beiseite; das erste kriterium reduziere Ich auf die logische alternative der extreme: entweder regiert einer oder alle regieren. Ich lehne mich an die terminologie des Aristoteles an und bezeichne die beiden möglichen grundformen politischer organisation mit den termini: königtum und demokratie. (*abs.:013*)

Entweder es gilt das prinzip: einer regiert, dann ist die politische ordnung, das königtum, hierarchisch strukturiert. Alle genossen der gemeinschaft, die es betrifft, sind auf den einen, den könig, ausgerichtet, der, gemäss seines freien willens allen ihren ort in der gemeinschaft zuweist. Oder es gilt das prinzip: alle regieren, dann ist die politische ordnung, die demokratie, nach dem prinzip die gleichheit strukturiert, die jedem genossen der gemeinschaft dieselbe freiheit zuordnet. Die frage, welche der beiden ordnungsvorstellungen die wahre ordnung der menschheit ist, kann nicht entschieden werden, aber wenn diese frage beantwortet werden soll, was in der politischen praxis immer wieder geschieht, dann werden kriterien geltend gemacht, die einen dritten standpunkt fixieren, der in relation zu der einen oder der anderen struktur in einem widerspruch stehen muss. Die legitimität der herrschaft des einen, des königs, oder die aller, des volkes, ist der prüfstein sowohl der theorie als auch der praxis. Die theorie eskamotiert das problem mit worten, die praxis entscheidet das problem mit macht, und kein individuum als ich kann sich den fakten der macht entziehen. (*abs.:014*)

2.2. die utopien des königtums und der demokratie

Das ich aber ist den fakten der praxis nicht willenlos ausgeliefert; es kann auf die rettung durch das der erlebten realität andere hoffen. Einerseits schafft das ich mit seiner autonomen entscheidung ein faktum, eine realität, an die es sich gebunden hat, und die notwendig auf zeit jede andere mögliche alternative verstellen muss, andererseits stellt diese autonome entscheidung des ich jede in der tradition ergraute realität in frage und eröffnet so für andere, für neue realitäten den horizont. Die realität mit ihrer übermächtigkeit der fakten kann das wissen des ich nicht unterdrücken, dass für das ich in jedem ding seiner welt die utopie des noch möglichen wirkmächtig ist. Der finsternis erlebter realität steht das licht der geträumten utopie als komplementärerscheinung gegenüber. (*abs.:015*)

Die utopie des königtums formuliert die idee der guten herrschaft, die eine hierarchische ordnung und damit eine ordnung der ungleichheit ist. Sie malt das bild des guten königs, der, wie ein vater, über seine schutzbefohlenen herrscht. Vertrauend haben die schutzsuchenden im tausch für schutzgewährung ihre autonomie an den könig abgetreten, dem allein die autonomie der entscheidung zusteht, die alle absolut bindet. Das fundament dieser utopie ist eine wechselseitige verpflichtung aller: der gabe aller steht das nehmen des einen gegenüber, der als nehmer das allen wieder zurück geben muss, was diese als gegengabe annehmen wollen. Im ergebnis ist die idee der guten herrschaft ein nullsummenspiel - keiner kann etwas verlieren, keiner etwas gewinnen. (*abs.:016*)

Die utopie der demokratie gründet in der autonomie des ich, die das ich nicht an einen anderen abtreten kann. Als ein ich kann das ich sich nur dann selbst erfahren, wenn es seinen anderen als das anerkennt, was es selbst ist: ein ich mit einer nicht abtretbaren autonomie. Die gleichheit des ich und seines anderen konstituiert die wechselseitigkeit der anerkennung, die das moment der anerkennung im anderen festmacht. Diese anerkennung kann das ich nicht von seinem anderen erzwingen; sie ist eine leistung, und darin ein plus, die das ich aus seiner autonomie heraus erbringt. Im ergebnis ist diese utopie der demokratie ein spiel, in dem jeder gewinnen wird. (*abs.:017*)

3.  synthese: die verknüpfung von I + II
3.1. das königtum als absolutismus; die demokratie als das noch nicht erschienene

Fern ist die welt, die die phantasie träumt. Als nüchterner realist, der das analytisch getrennte in einer synthese zusammenbindet, halte Ich es für falsch, die erlebten realitäten in ihrem erscheinen als das maass der dinge anzuerkennen. Die utopien des königtums und der demokratie begreife Ich als chance, die konventionen von politik und aesthetik so zu verändern, dass das verlogene spiel durchschaubar wird, das in der debatte um die neugestaltung der historischen mitte von Berlin inszeniert wird, in der mit aesthetischen urteilen die politischen interessen camoufliert werden, für die die anderen die lasten zu tragen haben. (*abs.:018*)

In der realität ist der könig ein individuum als ich, dass, obgleich es als einziges zur herrschaft befugt ist, über alle interessen stehend, von seinen interessen als ich nicht absehen kann. Und der demokrat ist ein individuum als ich, das weiss, dass es im moment der entscheidung seine autonomie in eine bindung transformiert, die sein interesse der anerkennung des anderen als der_andere unterstellt, ohne die er als ich nicht leben kann. Wenn der könig und der demokrat ihre legitimen interessen auf dem feld der politik durchsetzen wollen, dann folgen sie in ihren aesthetischen urteilen normen, die als das maass der dinge der welt selbst nur resultate konkreter interessen sein können, deren erscheinende legitimität ihre faktizität ist. (*abs.:019*)

Was die theorie idealtypisch übersichtlich darstellen kann, ist in der praxis eine gemengelage, in der jedermann aus den gegensätzlichen phänomenen das ihn passende nach belieben herausgreifen kann. So hat es absolutistische fürsten gegeben, deren aesthetischer geschmack noch heute respekt verdient, genauso wie es demokratische politiker gibt, deren aesthetische urteile bestenfalls  als stoff für satiren taugen. (*abs.:020*)

Die hierarchische struktur des königtums definiert das handeln des königs ebenso wie das seiner untertanen. Der könig als herr kann nicht der knecht sein, der untertan als knecht nicht der herr. Das ästhetische urteil des königs, das das urteil eines individuums als ich ist, erscheint als ein öffentliches urteil, und als ein öffentliches urteil ist es das gesetz, dem der untertan unterworfen ist. Folglich steht es dem untertan, der wie sein könig sein aesthetisches urteil hat, nicht zu, sich über den geschmack des königs "das maul zu zerreissen". Der könig aber kann in seiner doppelrolle das geschmäckle seines untertans "gnädig" zur kenntnis nehmen oder auch nicht; nach belieben bedient er sich der fähigkeiten seiner untertanen. (*abs.:021*)

Die interessen des königs, die er, immer ein individuum als ich, verfolgt, sind als das wort des königs das gesetz; die untertanen haben zu parieren, auch dann, wenn der könig seine doppelrolle missbraucht, um seiner sippschaft den nutzen zuzuschanzen, den untertanen aber die lasten aufzubürden. Die interessen des königs und die seiner untertanen unterscheiden sich allein darin, dass das interesse des königs mit dem interesse des staats, den er als könig verkörpert, identifiziert wird, die interessen der untertanen aber als eine potentielle und aktuelle verminderung des staatsinteresses bewertet werden. Diese phänomene spiegeln sich exakt in den schlössern, die der könig baut, und den hütten, die seine gemeinen untertanen zusammenflicken können. Ich ignoriere nicht die historischen fälle, in denen personen approximativ als die könige der utopie treu für ihre landeskinder gesorgt haben, die historischen erfahrungen aber zeigen nicht ignorierbar, dass die könige der realitäten ihre sozialen funktionen zumeist schamlos ausgenutzt haben, und das bezahlen ihrer interessen den anbefohlenen aufgebürdet und mit gewalt, rechtsförmig verbrämt, durchgesetzt haben. (*abs.:022*)

Das prinzip der gleichheit definiert das handeln des demokraten und seiner genossen. Der demokrat ist weder herr noch knecht. Er äussert sein aesthetisches urteil, aber er kann den anderen weder zwingen, dieses als ein eigenes zu akzeptieren, noch kann er von dem anderen gezwungen werden, dessen ästhetisches urteil zu übernehmen; jeder muss autonom die handlung der anerkennung des aesthetischen urteils selbst erbringen, und im diskurs den von allen akzeptierten konsens in sein kalkül einbeziehen, der das maass für sein urteil ist. Der ort des diskurses ist die öffentlichkeit - hier  vertritt der demokrat sein aesthetisches urteil als sein legitimes interesse, das, wenn es von dem konsens, der alle bindet, erfasst ist, dann als gesetzlich und damit als legitim anerkannt ist. Das prinzip der anerkennung des anderen als der_andere ist unvereinbar mit jedem interesse, das den anderen auf ein mittel zur durchsetzung anderer zwecke reduziert. Der dialog des konsenses erfordert formen der kommunikation, die mit dem prinzip der gleichheit aller vereinbar sind. Strukturen der hierarchie scheiden damit aus. (*abs.:023*)

3.2. schlosshof/agora - bürgerforum/Schlüterhof

Der blick auf die realen bauten als zeugen der geschichte und die visionen der orte einer möglichen demokratischen ordnung zeigen, dass die architektur eines schlosses mit der einer agora nicht vereinbar ist. (*abs.:024*)

Das Berliner stadtschloss der Hohenzollern ist das petrifizierte symbol des absolutismus in Deutschland. 1543 hatte Kurfürst Friedrich II den bau begonnen, der im lauf der generationen von den legitimen erben der herrschaft beständig verändert und den aktuellen bedürfnissen angepasst worden war. Mit herrischer geste unterstrich seine architektur die prinzipien einer ordnung, deren fundament die ungleichheit ist. Der glanz dieser architektur und seiner kunstschätze, die das gebäude barg, kann die differenz zur demokratischen ordnung nicht überstrahlen, deren fundament die gleichheit aller individuen als ich ist. Jeder versuch, das gebäude in seiner dokumentierten form ganz, in teilen oder nur als potemkinsche fassade an seinem historischen platz wieder nachzubauen, ist dem verdacht ausgesetzt, auch die gesellschaftlichen strukturen wieder restaurieren zu wollen, für die das gebäude in seiner geschichte gestanden hatte. Die abrisspläne für den "Palast der Republik", auch ein symbol einer in stahl und glas geronnenen herrschaftsstruktur, verstärken den verdacht. Es müsse, so sagt man, platz geschaffen werden für den neuen Schlüterhof, der nur der alte sein soll. Man spekuliert mit einer aesthetik des scheinbar vertrauten, die aber nur die ästhetische banalität von Honneckers ehemaligen lampenladen austauschen kann. Faktisch ist das politische interesse der einen partei die restaurierung einer gesellschaftlichen ordnungsstruktur, deren historische realitäten die menschen heute schrecken sollte. (*abs.:025*)

Der schlosshof, ein abgegrenzter bezirk, den nur derjenige betreten darf, der zugelassen wird, ist ein arcanbereich, der den dialog des konsenses nicht dulden kann. Es ist ein ort der befehlsausgabe und der unterwerfung, der diejenigen schützt, die es verstehen, daraus einen symbiotischen vorteil zu ziehen. Die agora, auch ein abgegrenzter bezirk, ist ein öffentlicher raum, den jeder, der es will, betreten kann, wenn er seine sache gegen die anderen verfechten will und muss. Sein schutz für alle ist die öffentlichkeit, in der der konsens gesucht und bestätigt wird. Es ist kein zufall, dass ein solcher ort in den planungen der politischen eliten heute immer wieder angekündigt, aber bisher noch nie realisiert worden ist. Die neuen regierungsgebäude in Berlin präsentieren zwar luftige räume und grooszügige treppenaufgänge, in ihrer funktion aber sind diese räume nicht von ihren vorbildern, den restaurierten schlössern, zu unterscheiden. Noch ist die chance nicht verbaut, auf dem historischen schlossplatz in Berlin das bürgerforum als ein symbol der demokratie entstehen zu lassen. (*abs.:026*)

schluss: ein obiter dictum über ratio und unsinn

Meine theoretischen überlegungen, Ich begreife sie als gesellschaftliche praxis, beende Ich mit einer knappen bemerkung. Ich weiss nicht, ob das schöne schloss jemals realisiert werden wird. Ich vertraue auf das rationale argument, das in der gewollten demokratischen ordnung die interessen der individuen als ich auf den von allen akzeptierten konsens eingrenzt. Wenn der unsinn des neubaus des Hohenzollernschlosses, oder wie die aktuelle sprachregelung es vorgibt, des "Stadtschlossgebäudes" in Berlin, noch verhindert werden kann, dann ist das systemkonform nur mit dem interesse derjenigen möglich, die dieses projekt durchsetzen wollen. Dieses interesse ist in den zeiten des shareholdervalue schlicht der mammon, der rentierlich sein will. 2001 hiess es: 1mrd.€, solle der spaass kosten, heute werden schon 1,2mrd.€ genannt - eine inflation von rund einer halben millarde deutscher mark alter zeit, und die blaupausen des projekts sind noch nicht einmal gezeichnet.... Aber gemach, am geld, zumal am fehlenden, für das andere gerade zu stehen haben, ist noch kein unsinn gescheitert. (*abs.:0027*)

kein lokales register

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stand: 09.01.01.  //  eingestellt: 03.01.03.

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