(fortsetzung: subtext/2.8.01-08)
 

2.8.01

die forderung nach konstruktiver kritik ist ein probates mittel, die reflexion eines problems zu unterbinden. Aber was als maxime dem verfechter autokratischer ordnungen probat erscheint, das ist eher ein zeichen der schwäche des sich mächtig fühlenden gewalthabers, der in plakativen aktionen die selbstkritik des vermeintlich schwächeren durchzusetzen versucht(a). Die logik der kritik impliziert, dass das kritisch untersuchte alte sich als etwas neues zeigt, im moment des erscheinens aber ist offen, ob das neue besser sein wird als das erfahrene alte; denn das kritisierende individuum als ich grenzt das neue vom alten mit begriffen ab, die es in bestimmten reflexionen als momente seiner selbstverständigung konstruieren muss. Die arbeit der kritik, sie ist eine form der welterfahrung, hat mit der politischen forderung nach selbstkritik vielleicht den terminus gemein, aber jeder terminus kann nur das bedeuten, was sein verwender und der adressat in der kommunikation dem terminus beilegen.
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(a)
weil die macht noch genügte, das vorgefasste resultat durchzusetzen, waren die öffentlichen inszenierungen totalitärer regime im 20.jahrhundert punktuell erfolgreich gewesen, auf dauer jedoch dokumentierten diese schauprozesse die ohnmacht der machthaber, die bereits mit dem machtwechsel auf die nachfolgende generation offen zu tage getreten war. Im historischen rückblick sind die spektakel inszenierter selbstkritik lehrstücke, die eines nicht erreichen werden, die vermeintlichen machthaber in der spur der vernunft zu halten.
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2.8.02
der geglaubte gott ist wahr, ein nicht wahrer gott ist für das individuum als ich nicht denkbar(a). Der gott des genossen ist folglich wahr, auch dann, wenn der gott des genossen mit dem eigenen gott nicht kompatibel erscheint. Der begriff: gott, den das individuum als ich denkt, steht im widerspruch zu dem begriff: gott, den sein genosse denken kann, als phänomene aber sind die götter des individuums als ich und seines genossen nur gegensätze, die sich ausschliessen können, die aber, das ist möglich, auch miteinander koexistieren. Die im islam geläufige rede, dass der ungläubige kein mitglied der gemeinschaft der gläubigen sein könne(b), ist eine spekulation mit dem widerspruch auf der argumentebene der begriffe, obgleich ihre ideologen auf der argumentebene der phänomene räsonieren. Die toleranz in glaubensfragen ist möglich, wenn der begriff der anerkennung nicht mit dem begriff der toleranz vermengt wird. Aber der eifernde ist zu dieser unterscheidung nicht fähig.
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(a) der unwahre gott, das ist der falsche gott, aber das ist immer nur der gott des anderen. Wer so redet, der verweigert dem genossen die anerkennung als der_andere und zerstört sich selbst als ich. Der eifernde, gleichgültig ob pfaffe oder mullah, gleicht eher dem teufel als dem gotte, dem zu dienen er vorgibt.
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(b) die parole der islamistischen fundamentalisten war den christen des mittelalters nicht fremd gewesen, die gemeint hatten, gott zu dienen, wenn sie die ganze welt mit ihrem christus zwangsbeglücken.
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2.8.03
was darf das individuum als ich für sich legitim beanspruchen? - das, was es dem genossen geben will, wenn dieser es von ihm einfordert. Das recht ist eine wechselseitige forderung, deren maass die gerechte verteilung der lasten und des nutzens ist. Die rechte, die mit dem terminus: menschenrechte, bezeichnet werden, haben das prinzip der anerkennung des anderen als der_andere zum fundament, und diese rechte sind im begriff: die würde des menschen, als das logische minimum definiert. Über die details, was die definitionen des begriffs: die würde des individuums als ich, real umfassen müssen, kann gestritten werden, aber es gibt im gefühl der billigkeit eine grenze, die nicht überschritten werden kann. Diese grenze wird in den reflexionen über das ethische handeln immer wieder neu vermessen, aber der grundverlauf der grenze ist stabil(a). Im bestimmten fall kann die forderung und die leistung in mark und pfennig festgelegt sein, aber das ist eine maasszahl, die als orientierungspunkt in raum und zeit wechselt. Bitte, etwas konkreter! - Sicher, das wäre möglich, aber jeder konkrete wert wird makulatur sein in einem anderen fall.
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Was das individuum als ich von seinem genossen fordern kann und der genosse von ihm, das können sie nur selbst aushandeln, wenn sie ihre wechselseitigen ansprüche im moment ihrer gelebten gegenwart miteinander/gegeneinander austarieren, aber diesem ziel stehen die realen bedingungen entgegen, bedingungen, die das individuum als ich und sein genosse geschaffen haben und die zu ändern sie unwillig sind und auch unfähig. Es ist ein circulus vitiosus und es ist ein moment der erfahrung, dass die kräfte des individuums als ich und seines genossen nicht ausreichen, den teufelskreis von wunsch und realität zu durchbrechen. Die ursache? - dummheit! das könnte es sein.
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(a)
orientierungspunkte sind die sogenannte goldene regel, die maxime: nemo laedere, oder die regel: do ut des, regeln, mit denen immer wieder das ausgemessen wird, was der eine von dem anderen fordern oder dem anderen geben muss, wenn beide, das individuum als ich und sein genosse, einander als ich begegnen. Das maass der gleichheit kann in einer zahl ausgedrückt werden, aber die zahl ist nicht das maass der gleichheit, das das individuum als ich mit seiner autonomen entscheidung ausmitteln muss.
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2.8.04
der terminus: zeitigen, typisch für Heidegger's denken in den kategorien von sein und zeit(a), könnte irritieren. Ich beschränke mich beim gebrauch des terminus auf seine gemeine bedeutung. Was das individuum als ich in der welt als ding der welt wahrnehmen kann, das zeigt sich im raum und zeitigt sich in der zeit. Was über die feststellungen des individuums als ich hinausgeht, das mag für Heidegger und seine nachfolger der stoff für weitschweifige reflexionen sein, im relationalen argument sind das weltdinge, die kurios sein mögen, aber weltdinge bleiben, die nicht begreifbar sind.
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(a) Martin Heidegger: Sein und Zeit. §§65-71.
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2.8.05
das wort: ebenbürtig, gilt als veraltet, die sache aber wird mit dem terminus präzis bezeichnet. Ebenbürtig war, wer dem gleichen stand angehörte, und über ein bestimmtes tableau von rechten verfügen konnte, das zugleich auch als trennung wirkte. Die historische ebenbürtigkeit ist heute passé und es gilt die allgemeine gleichheit, die in der gesellschaft in ansätzen realisiert ist. Ich greife das alte wort auf, wechsele aber die perspektive und nehme gegen die gesellschaft die natur zum maass(a). In der natur hat das lebewesen als individuum gleiche chancen, auch dann, wenn die verteilung der chancen in raum und zeit ungleich ist, weil die verteilung der chancen dem zufall folgt, der keiner präformierenden ordnung unterliegt(b). Im blick auf ihr leben, das ihr erbteil der natur ist, sind das individuum als ich und sein genosse in raum und zeit gleich, aber was sie aus ihrer existenz machen, das ist in die ordnung ihrer gemeinschaft eingebunden, einer ordnung, die ihrer verantwortung unterliegt, deren prinzip die ungleichheit der phänomene ist, weil das individuum als ich und sein genosse sich nur dann als das ich, das sie sind, realisieren können, wenn ihre lebenschancen nicht gleich, sondern verschieden sind(c). Der moderne gedanke der allgemeinen menschenrechte ist für das verantwortliche handeln des individuums als ich und seines genossen in der gesellschaft ein unverzichtbarer orientierungspunkt, der aber nur dann wirksam sein kann, wenn jeder über ein minimum an einklagbaren und durchsetzbaren rechten verfügt, die durch kein interesse einschränkbar sind. Was in der natur der zufall bewirkt, das kann in einer gesellschaft durch den konsens bewirkt werden, den alle, die es betrifft, anerkannt haben. Der konsens aber wird nur dann möglich sein, wenn das prinzip der allgemeinen gleichheit aller, die es betrifft, realisiert ist.
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(a)
der gedanke, dass die natur das maass der dinge sein solle, ist das echo des alten naturrechts, das die erfahrung fixiert hatte, dass die gesellschaft immer nur ein abgeleitetes phänomen sein kann. Die tragende idee des naturrechts ist die vorstellung, dass die natur ursprünglicher sei als die tradition. Aber was im ergebnis ein vernünftiger gedanke ist, das ist in den prämissen nicht vorausgesetzt; denn die natur ist gerade nicht das, was die tradition mit ihren geschichtlich entstandenen rechten und pflichten ist. Die natur kann nur chancen bieten, die den einen begünstigen, den anderen aber benachteiligen, zufälle, die in der natur nicht tradierbat sind und in ihrer faktizität zustände bewirken, die, so könnte es interpretiert werden, ein moment der gleichheit und der ausgleichenden gerechtigkeit darzustellen scheinen. Das ist eine konstruktion der welterfahrung, die dem individuum als ich das gefühl vermittelt, imaginierten kräften ausgeliefert zu sein; in den archaischen gesellschaften spricht man vom schicksal. Das fatalistische denken täuscht aber eine gleichheit vor, die real keinen bestand hat.   <==//
(b)
jede gesellschaftliche ordnung wirkt präformierend, weil die bewährte ordnung einer generation das bindende maass für die nachfolgende generation ist. Die natur wird zwar als eine ordnung gedacht, aber das interesse des erfinders, der der natur seine ordnung überstülpen will, ist nur ein beliebiges moment in der natur, und von einem selbstinteresse der natur an seiner eigenen erhaltung, ein möglicher gedanke, kann nicht gesprochen werden, weil die natur nur das sein kann, was sie ist - das ist eine tautologische definition, die nichts zulässt oder alles.   <==//
(c)
das maass der verschiedenheit ist ein praktische problem, aber das ist hier nicht der gegenstand der erörterung.  <==//
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2.8.06
es ist allemal eindrucksvoller, mit fremden federn geschmückt zu erscheinen als selbst das ich zu sein. Eine fremde feder ist das falsche subjekt, das in den dienst genommen wird(a). Man kann die putzsucht als ein moment menschlicher eitelkeit beklagen, die die kommunikation erheblich stören kann, aber das sind marginale störungen, solange das individuum als ich, das falsche subjekt beschwörend, nicht in seinen machtphantasien verschwindet.
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(a)
dafür zwei beipiele, die zufällig der historia Frankreichs entnommen sind(1). König Ludwig XIV wird der satz zugeschrieben: der staat, das bin ich. Schloss Versailles war der stein gewordene anspruch und das bett des königs der mittelpunkt des staats. Als weltgeist mit blutiger hand hatte Napoleon Europa durcheilt und endete geschlagen in Waterloo.
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(1)
ihrer verbrechen zum trotz zeigten die beiden franzosen grösse, der deutsche kaiser Wilhelm Zwo brachte es nur zum gartenzwerg mit gestylten bart.
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2.8.07
eingebunden in raum und zeit kann das individuum als ich das, was es sein soll, nur in seinen projektionen in die zukunft träumen. Die realität seiner natur(a) verstattet ihm im moment seiner gelebten gegenwart keinen blütentraum. Diese einsicht mag deprimierend wirken, aber sie ist kein argument, dass das individuum, das ein ich sein will, in seiner natur verschwindet und sich als das reale subjekt verliert. Die widerstände der natur mögen dem individuum als ich und seinem genossen unüberwindlich erscheinen und es gibt grenzen, die sie nicht bedeutend verschieben können(b), aber diese grenzen sind kein zureichender grund, das individuum, das ein ich sein will, auf die grenzen seiner natur zu verkürzen. Mit seinen projektionen in die zukunft übersteigt das individuum als ich die grenzen der natur im moment der gelebten gegenwart, in die es in jedem moment der gelebten gegenwart zurückgeholt wird, erfahrungen, die das individuum als ich in den facta der vergangenheit erinnern kann. Dieser prozess von erwartung und versagung, erinnerten versagungen und belebenden hoffnungen ist der ort, an dem das individuum als ich sich bewährt, das das reale subjekt ist. Es nutzt die möglichkeiten seiner welt, auch die chancen, die dem individuum als ich in den konstruktionen eines logischen subjekts verfügbar sind, aber es kann auch in diesen chancen scheitern und es scheitert. Die metapher: Hegel's weltgeist, ist eine projektionsfläche, die sowohl die angst des individuums als ich spiegelt als auch sein hochgefühl.
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(a)
klarstellung. Was mit dem terminus: natur, bezeichnet wird, das kann nicht das sein, was mit dem zeichen: NATUR, bezeichnet wird. Der begriff: natur, ist ein ding der welt, immer dieseits der grenze verortet, und in seiner definition folgt der begriff: natur, dem, was in der tradition allgemein als natur bezeichnet wird. Die natur ist das, was nicht zur kultur des menschen gehört, aber die kultur und die natur sind dinge in der welt, die das individuum als ich mit seinem genossen teilt.
(b)
die tatsache ist banal, aber mit der setzung von raum und zeit ist auch die begrenzung gesetzt, die im begriff: raum und zeit, definiert ist. Das maass der natürlichen lebenszeit eines individuums kann das individuum als ich in seiner phantasie überfliegen, aber dieses maass kann es in seiner biologischen existenz nicht überschreiten.
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2.8.08
an der grenze geht der blick immer nach drüben, aber was eine verheissung gewesen war, das ist eine schmerzliche enttäuschung, wenn die grenze wieder einmal real verschoben worden ist. Gepredigt wird dem individuum als ich unablässig, es möge sich als das reale subjekt erweisen, aber wehe, wenn der bürger, das reale subjekt, es wagt, die gewohnte ordnung in frage zu stellen, ordnungen, in denen die designierten herren zu realen knechten verkürzt werden. Es ist die real verfübare macht, an der sich entscheidet, ob das individuum als ich real das reale subjekt in seiner welt sein kann. Die bürgerlichen freiheiten, voraussetzung für die selbstverwirklichung des individuums als ich, sind überall(a) bis zur unkenntlichkeit deformiert und die nüchterne betrachtung der weltlage verheisst nichts gutes. Es sind nicht die realen widerstände der materie, die den geist des individuums als ich zurechtstutzen, es sind das individuum als ich und sein genosse selbst, die sich wechselseitig, von kurzfristigen interessen geleitet, beschränken und den erarbeiteten vorteil neiden. Man könnte einwenden, dass dies in der bekannten historia schon immer der fall gewesen sei. Mag sein, aber die geschichtliche erfahrung ist kein grund, dass sie für die zukunft nicht auch widerlegt werden könnte. Allein die chancen dafür sind dürftig. Man wird den bogen weiter spannen, bis er wieder einmal zerbricht....
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(a)
was in den zeiten des Kalten Krieges die freie welt gewesen war, das ist, seitdem der Kalte Krieg historia ist, zerbrochen; jetzt ängstigt das gespenst des terrorismus die welt. Die freiheiten des bürgers sind kein ideal mehr, wohl aber das zerrbild, hinter dem der terrorist sich verbergen kann, der die bürgerliche welt als schrecken erfahren hat. Allemal sind es die gemachten verhältnisse in den gesellschaften, die dem individuum als ich und seinem genossen enge grenzen bis zum ersticken setzen.
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(fortsetzung: subtext/2.9.01ff)
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(anfang)<==//
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eingestellt: 08.09.04.

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