TEXTSAMMLUNG
das argument des monats

ausgabe: 01/02  januar-märz/2001

Die autonomie des forschenden ich im dickicht seiner interessen

Die neuen technischen möglichkeiten der biotechniken haben die menschen wieder einmal mit einem problem konfrontiert, das die alten regeln der ethik nicht mehr auflösen können. Zumindest für diejenigen, die zum zeitgeist der postmoderne in kritischer distanz stehen, sind die neuen fragen als problem präsent; das lässt ein unbekümmertes: weiter so! nicht zu. Vordergründig stehen riesige geldsummen auf dem spiel, faktisch geht es aber darum, ob der mensch als gattungswesen sich selbst das grab schaufelt - war da mal etwas gewesen...?

Ich dramatisiere nicht. Die fähigkeit des menschen, die dinge seiner welt immer wieder neu zu ordnen, angefangen mit der erfindung des rades bis zu den erfindungen der informatik und biotechnik, hat die menschen jedesmal von neuem vor die frage gestellt: dürfen wir es auch tun, was wir können? - Die menschen haben getan, was sie konnten.

Ein wendepunkt in dieser entwicklung war die entfesselung des atoms, deren konsequenzen nach der ersten kernspaltung vor ca.60 jahren in klaren konturen erkennbar sind: nicht der segen einer neuen energiequelle erfreut die menschen, sondern es ängstigt sie der fluch des atommülls, und über die kosten, die die nachfolgenden generationen zu tragen haben, schweigen die wissenden, in interessen eingebunden, cool-kalkulierend. Es ist erkennbar, dass die entwicklungen auf dem felde der gentechnologien und biotechniken, einen ähnlichen wendepunkt markieren werden. Mit der manipulation von genen, dem transfer von genen in andere organismen, das klonen von organismen (einschliesslich des menschen, das ist nur noch eine frage der zeit) schafft der mensch fakten, die er, wenn sie einmal in der welt sind, nicht mehr zurückholen kann. Bisher waren die veränderungen, die die menschen mit ihren erfindungen, bewirkt hatten, lokale katastrophen, die in raum und zeit begrenzt waren und von der natur wie normale störungen geheilt wurden. Für das individuum waren die ereignisse tödlich, die gattung aber hatte in anderen räumen und neuen zeiten die chance der weiteren existenz. Ich kann dem gedanken nicht mehr ausweichen, dass die menschen hier ein potential in die hand bekommen werden, vielleicht schon in der hand haben, für das ihre kräfte nicht ausreichen. Es ist nicht das gleiche, wenn in der natur mutanten auftauchen oder der mensch gene manipuliert, verpflanzt und lebewesen klont - in der natur allgegenwärtige ereignisse. Die natur wird als ein geschlossenes, in sich dynamisches system interpretiert, in dem jede mutation im reproduktionsprozess vom system eingeschlossen ist. Gelingt es einer mutante sich im system zu behaupten und zu reproduzieren, dann ist sie teil des systems, vielleicht das system sogar fundamental verändernd, wenn nicht, dann geht die mutante zugrunde und das system bleibt, was es ist. Die eingriffe des menschen in diese mutationsprozesse sind von anderer art. Sie zwingen mit ihrer schöpfung der natur ein lebewesen auf, das, selbst aus eigener kraft unfähig sich im leben zu behaupten, sich dennoch selbst reproduzieren kann und damit die strukturen des systems so verändert, dass für andere organismen keine lebensraum mehr bleibt. Um im bild zu bleiben: der natur ist jede mutation gleichgültig und der phase der störung folgt ein neues gleichgewicht; eine andere frage ist es, ob die mutation für die betroffenen lebewesen gleichgültig sein kann. Bisher hatte der mensch, sich als die krone der schöpfung missverstehend, anderen lebewesen das schicksal der vernichtung zugemutet, nun ist er dabei, sich selbst dieses schicksal zu schaffen.

Ich beschreibe einen zustand, in dem die menschen sich immer befunden haben. Vielleicht war das wissen darüber auch das motiv, das sie angetrieben hatte und immer noch antreibt, mit neuen erfindungen dem schicksal zu entgehen, das jedem lebewesen zugeordnet ist und in der zeit die gattung: mensch, auch treffen wird. Für das individuum als ich bleibt aber der impuls mächtig, dieses schicksal hinauszuschieben, und in seiner not, sinnt es auf mittel, die in einer fatalen ironie des schicksals sein ende beschleunigen können....

Die freiheit, ständig neues zu erfinden zu können, seine welt zu erforschen, das kann dem individuum als ich nicht genommen werden. Seine autonomie ist das konstituens seiner existenz. Negiert man die autonomie des ich, dann negiert man das ich in seiner existenz - es mag dann noch vieles sein, aber das, was in der tradition als mensch angesehen wird, ist es nicht mehr. Ich halte es deshalb in der aktuellen debatte um die neuen techniken, in der deutschen variante konkret die frage: stammzellenforschung - ja/nein? für einen verfehlten ansatz, den forschungsdrang der wissenschaftler mit neuen ethischen normen und gesetzen unter kuratel stellen zu wollen. Die historischen erfahrungen belegen, dass das ein vergebliches tun ist, weil die einsicht der erfahrung immer nur post festum wirken kann. Ich sage damit nicht, dass ethische normen und gesetzliche regelungen, die den neuen problemen angemessen sind, unnötig seien, ganz im gegenteil, Ich bin aber der meinung, dass sie anders begründet werden und vor allem an einem anderen punkt ansetzen müssen: das sind die interessen, die einen forscher leiten, die geheimnisse seiner welt aufzudecken, um sie für bestimmte interessen nutzbar zu machen.

Die autonomie des ich impliziert, dass das individuum als ich in jedem moment seiner existenz sich für das eine oder andere zu entscheiden hat, aber für das eine oder das andere muss es sich entscheiden - tertium non datur. Hat es sich entschieden, dann hat es sich an diese entscheidung gebunden und ist für jeden anderen dafür uneingeschränkt verantwortlich. Das fundament der autonomie des ich ist die überlegung, dass die entscheidung des ich - ja oder nein - keinem interesse unterworfen sein kann. Das resultat dieser entscheidung aber ist das, was in den diskursen als interesse bezeichnet wird, und an dieses resultat hat das ich sich gebunden, das keine freiheit der wahl mehr zulassen kann, es sei, dass die gemeinschaft, in die jedes individuum als ich eingebunden ist, diesem einen rahmen für individuelle, interessengeleitete entscheidungen zugesteht. Das sind seine bürgerlichen freiheiten, die es in unterschiedlicher weise geniessen kann.

Wenn also im streit um die neuen biotechniken die freiheit bemüht wird, dann stehen nicht die autonomie des forschenden ich zur diskussion, sondern seine bürgerlichen freiheiten, die - und hierin wird mir wohl keiner ernsthaft widersprechen - durch die widerstreitenden interessen, oft bis zu einer farce verunstaltet, bestimmt werden. Den ausgleich der widerstreitenden interesse halte Ich für möglich, wenn die beteiligten den ausgleich wollen, und diesen ausgleich müssen sie wollen, weil es zum ausgleich dieser interessen keine alternative gibt; alternativen gibt es nur im wie des ausgleichs. Das ist regelbar, und die rechtsordnungen, die immer auch regelungen der bürgerlichen freiheiten sind, belegen, dass dies grosso modo für bestimmte zeiten und räume auch wirklich war und ist.

Ein instrument, diesen ausgleich der interessen zu bewerkstelligen, ist die zuordnung der beweislast. Wer ein interesse geltend macht, muss darlegen, dass sein interesse das legitime interesse eines anderen nicht beschädigt. Um es direkt zu sagen: nicht der umweltschützer muss seine behauptung beweisen, dass ein unkrautvernichtungsmittel die biosphäre beschädigt, sondern der erfinder und produzent dieses artefakts muss nicht nur absolut beweisen, das es die biosphäre nicht beschädigen kann, sondern er ist auch unlimitiert entschädigungspflichtig, wenn die anwendung des artefakts kausal veränderungen in der biosphäre bewirkt hat (wenn das ein allgemeines prinzip wäre, würde heute keiner mehr von der sogenant friedlichen nutzung der kernenergie reden). Jeder würde es sich dann cool-kalkulierend überlegen, ob er das verfügbare wissen auch verwenden soll, wenn er ein interesse realisieren will.

stand: 02.03.25.

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