TEXTSAMMLUNG
das argument des monats

ausgabe: 07/02  juli-september/2002
 

privatisierung - die idiotenparole

Folgt man den worten der ideologen des neoliberalismus, dann ist das wort des heils heute die parole von der privatisierung. Die bürokratie des staates fest im blick habend sagt man, alles müsse nur privat, von "unternehmern" organisiert sein, und alles würde dann auch besser, billiger, effizienter, schöner usw. usw. werden. Nun, der glaube an etwas ist das eine, die erfahrungen mit diesen dingen der welt etwas anderes, und das wissen der erfahrung ist immer den dogmen des glaubens entgegengesetzt.

1. die widerstreitenden interessen und die ordnende funktion des staates

Gesetzt, die parole von der privatisierung ist richtig, dann wäre die institution des staates schlicht überflüssig - der markt ist es, der alles regelt. Aber nicht einmal der alte Adam Smith vertraute uneingeschränkt der unsichtbaren hand des marktes und setzte auf die institution des staates als mittler zwischen den widerstreitenden marktinteressen. Er nahm die alte erfahrung noch ernst, dass der interessierte in eigener sache nicht angemessen über die interessen der anderen, mit denen er zusammen handeln muss, urteilen kann. Sich selbst zu negieren ist die logik des entfesselten marktes, weil der stärkste - heute sagt man der kompetenteste marktteilnehmer nach dem letzten kampf kein gegeninteresse mehr zur hand haben kann, an dem er seine kompetenz beweisen könnte.

Die funktion des staates ist es, mediator zwischen den widerstreitende interessen der marktteilnehmer zu sein. Im austausch: gewaltmonopol gegen die pflicht zur regelsetzung, muss der staat gewährleisten, dass jedes legitime interesse am markt mit den anderen interessen konkurrieren kann. Der gegenstand des diskurses kann daher nicht die frage sein, ob der staat als solcher erforderlich ist, der gegenstand ist allein die frage, was die aufgaben des staates als wächter des marktes sind und wie diese von den interessen der marktteilnehmer unterschieden werden können; denn der staat ist als regelsetzer nicht nur gesetzgeber und richter in streitsachen, er ist als fiskus auch einer der aktivsten akteure auf dem markt. Das ist ein problem der praxis, die der historischen erinnerung sich nicht entledigen kann. Es ist ein faktum der historischen erfahrung, dass der staat dienstleistungen usurpiert hat, die heute als beute seiner funktionäre von diesen mit zähnen und klauen verteidigt werden, aber diese erfahrungen machen den ruf nach einer reprivatisierung usurpierter aufgaben nicht plausibler. Die forderung nach verschlankung des staates und deregulierung der märkte ist wohlfeil, der gewollte schwache staat kann aber seiner ordnungsfunktion, die auf das gemeine wohl aller ausgerichtet ist, nicht mehr nachkommen.

2. die kosten der privatisierung öffentlicher aufgaben

Die neoliberalen ideologen sind unermüdlich, wenn sie den gewinn als beweis der ökonomischen effizienz privatrechtlichen wirtschaftens preisen. Diese elogen können das faktum aber nicht aus der welt disputieren, dass die privatisierung öffentlicher leistungen in der volkswirtschaftlichen rechnung immer negativ ist. Es ist eine ökonomische binsenweisheit - beim alten Karl Marx nachzulesen, der seine liberalen pappenheimer wenigsten gekannt hatte - dass der preis(p) einer ware oder dienstleistung(w) die summe der realen kosten für ihre erstellung(k) und des aufgeschlagene profits(g) ist: p(w) = k(w) + g. Die preisziffer, die den wert der ware anzeigen soll, suggeriert dem konsumenten der ware einen wert, der aus zwei faktoren zusammengesetzt ist, die durch das interesse der beteiligten an der ware verknüpft sind. Für die bedarfswirtschaft, immer noch das fundament jeder menschlichen gesellschaft, existiert der teilwert g nicht oder er ist marginal zufällig. Das zum leben notwendige muss der mensch sich erarbeiten, indem er die ressourcen der natur nutzt und seinen zwecken anpasst. Er kann nur das verzehren, das er sich erarbeitet hat. Gelingt es ihm nicht, dann geht er zugrunde, bleibt ein überschuss, dann hat er sich quasi im vorgriff auf die zeit einen überlebensvorteil verschafft, der seine existenz sicherer und auch kommoder macht. Die angebotswirtschaft, ein produkt der moderne und keinesfalls notwendig, setzt das prinzip der bedarfswirtschaft nicht ausser kraft, sie modifiziert es aber, indem sie dem konsumenten einen bedarf einredet, den notwendig zu haben der konsument glauben soll und den der konsument auch glaubt, weil ihm der bedarf als eine zusätzliche dienstleistung des anbieters im tauschgeschäft erscheint, die er als konsument im preis von w bezahlt und der anbieter als g einstreicht. Der wert g ändert nichts an dem wert von w, der in dem wert k sein äquivalent hat, aber der wert g ist in der ziffer von p(w) präsent, die als summe sowohl den wert k als auch den wert g verschleiert.

Nun ist die angebotswirtschaft per se kein übel, und die menschliche existenz ist immer etwas mehr als nur die befriedigung unabdingbarer physischer bedürfnisse. Es kann daher nicht darum gehen, den faktor g als den beelzebub schlechthin den garaus zu machen (was niemals gelingen kann), aber die einsicht darf nicht ignoriert werden, dass der wert von g eine variable ist, die einerseits der willkür der subjekte unterworfen ist, die seinen wert definieren, und die andererseits vom machtpotential der subjekte abhängt, anderen die bedingungen eines tausches zu diktieren. Die täglichen börsennachrichten illustrieren das phänomen der fixierung des wertes g hinlänglich, und dieses theater hat mit den regeln des realen wirtschaftsprozess nichts gemein, wohl aber mit den regeln eines casinos, das die träume seiner spieler kitzelt.

Das interesse der marktteilnehmer an dem faktor g ist legitim, aber dieses interesse ist kein item im kanon der aufgaben des staates, der das funktionieren des marktes sichern muss, was im interesse aller marktteilnehmer ist (traditionell: das gemeinwohl). So wenig es dem gemeinwohl dienlich ist, wenn der staat als vormund über die wünsche seiner bürger befindet, so wenig kann es den wünschen, über die der bürger autonom entscheidet, dienlich sein, wenn die für seine existenzsicherung unerlässlichen gegenstände und dienstleistungen (w) von den erwartungen einzelner marktteilnehmer (g) abhängig gemacht werden. In einem rationalen diskurs ist von allen das kunststück zu vollbringen, das in der abgrenzung der legitimen interessen aller besteht. Die praktikable lösung wird nicht alle wünsche befriedigen können, aber für alle eine befriedigende existenz sichern.

3. staatliche versus private bürokratie.

Auch das ist eine binsenweisheit: eine schlechte verwaltung ist immer ineffizient und daher kostspielig. Diese erfahrung ist nicht - wie das vorurteil des suggeriert - auf die staatliche verwaltung begrenzt, sie schliesst auch die privatrechtlich organisierte bürokratie mit ein. Der staatlichen verwaltung, miserabel organisiert und geführt, kann der bürger sich nicht entziehen, sie ärgert ihn daher immer existenziell; der misswirtschaft eines unternehmers kann der konsument sich entziehen, indem er zur besser funktionierenden konkurrenz geht. Daraus folgt aber nicht die gleichung: die staatliche bürokratie ist (immer) schlecht, die privatwirtschaftliche bürokratie ist (immer) gut. Entscheidend ist allein die rationale struktur der verwaltung und ihre gekonnte handhabung durch die beauftragten. Auch die götter haben bisher kein gegenmittel gegen die unfähigkeit, dummheit und kriminelle energie ihrer manager in politik und wirtschaft erfunden. In dieser hinsicht ist die differenz marginal, die den staat, der nicht pleite gehen kann, und dem unternehmer, der bankrott ging und vom system einfach ausgetauscht wird - den schaden hat immer die allgemeinheit, entweder in der verschleuderung von steuermitteln oder der vernichtung von kapital.

Der rechtliche status der handelnden entscheidet nicht über die effizienz des verwaltungshandeln, es ist das können der handelnden und ihre fähigkeit, ein konkretes problem rational zu lösen, so, dass die relation zwischen kosten und nutzen ausbalanziert oder positiv ist. Ein weiteres moment kommt hinzu, das über den erfolg des verwaltungshandelns mitentscheidet. Es gibt bereiche des sozialen lebens, in denen der staat, weil er das allgemeine wohl als bedingung berücksichtigen muss (siehe: GG), die erforderlichen aufgaben adäquater lösen kann als ein privater unternehmer, der sich interessengeleitet ein segment der sozialen realität auswählt. Die abgrenzung der tätigkeitsfelder ist eine pragmatisches problem, und es wird immer wieder kontroversen darüber geben, ob die erstellung eines bestimmten guts - einer ware oder einer dienstleistung, in staatlicher oder privater regie erfolgen soll oder kann. Der staat muss nicht selbst die briefmarken verkaufen und den damit frankierten brief von A nach B transportieren, er muss aber dafür sorgen, dass der bürger in A sein kommunikationsbedürfnis zu den gleichen bedingungen befriedigen kann wie der in B, indem er die ungleichheiten in der erbringung der ware oder dienstleistung ausgleicht, für die der bürger nicht verantwortlich ist. Dabei gibt es zwänge, die allein der staat, weil er dem gebot der angebotswirtschaft nicht unterliegt, lösen kann, die ein privater unternehmer, der für das eingesetzte kapital eine rendite erzielen muss, auch bei den besten absichten nicht überwinden kann.

4. schlussbemerkung

Es ist eine redeweise, die als leerformel niemals falsch sein kann: so viel markt wie möglich, so viel regulation wie nötig. Aber was ist die grenze? Im rationalen diskurs kann die grenze jeweils pragmatisch bestimmt werden, wenn die diskurtanten gewillt sind, die legitimen interessen der anderen zu respektieren und anzuerkennen. Der "Markt" und der "Staat" sind instrumente, mit denen die bürger ihre interessen öffentlich mit den anderen aushandeln, und der bürger, der rational handelt, weiss, dass er nur gut leben kann, wenn sein mitbürger es auch kann (der alte Aristoteles wusste das noch, die postmodernen besserwissi meinen, darüber hinaus zu sein - die resultate, permanente skandale, sind täglich zu besichtigen).
 

stand: 02.09.30.

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