TEXTSAMMLUNG
das argument des monats
ausgabe: 04-06/05 april-juni/2005      (blieb bis 08/2005 stehen)
 

Die leere der neoliberalen ideologie und der wohlstand in der gesellschaft.

Die neoliberalen ideologen - haben sie ein ziel, das den schweiss der arbeit wert ist?

Zugegeben, die frage will den polemischen unterton nicht verbergen, weil zwei antworten möglich sind, die, einander widersprechend, den sachgehalt der beiden antworten interferierend auf null stellen. Einerseits propagieren die ideologen des neoliberalismus die freiheit in den märkten, auf denen jeder freie marktteilnehmer, ungehindert von staatlicher gängelung, die güter mit anderen marktteilnehmern tauschen soll, andererseits aber zerstört diese freiheit, einmal entgrenzt, den markt, weil im wachstumsrausch nur einer der freien die mörderische konkurrenzrallye als freier überstehen kann, der alles hat, aber eines verlor, den letzten tauschpartner, mit dem er noch etwas tauschen könnte. Das lied ihrer freiheit narkotisiert, und wenn die neoliberalen marktschreier es anstimmen, dann ist immer ein unbestimmtes gefühl präsent, das sich nicht vertreiben lässt, das gefühl, dass die substanz der neoliberalen marktfreiheit gleich null sein könnte. Die eine frage: freiheit - von was? ist schnell beantwortet; denn lasten drücken immer; die zureichende antwort auf die andere frage: wozu die freiheit auf den märkten der welt? bleiben die ideologen des neoliberalismus schuldig. Es ist ein müssiger streit, ob das unvermögen der ideologen der grund ist, die zweckfrage rational und nachvollziehbar zu beantworten, oder ob es ihre absicht ist, hinter einem vorhang von wörtern zynisch die leere einer ideologie zu verbergen, die rastlose betriebsamkeit vortäuscht und als perpetuum mobile leer in sich kreist. Ich stelle allein das faktum fest, dass ihr schweigen vermutungen provoziert, und beschränke mich darauf, einige beobachtungen zu notieren, die als elemente einer zureichenden antwort auf die frage nach dem zweck der freiheit des wirtschaftens dienlich sein könnten.

Ich orientiere mich an dem, was als essentials der neoliberalen wirtschaftspolitik propagiert wird; drei schlagwörter sind es(1), die das terrain neoliberalen wirtschaftsdenkens in groben strichen abstecken, in das die akteure des gesellschaftlichen wirtschaftens eingeschlossen sind.

Erstes schlagwort: das wachstum in den märkten.

Kein politiker, der up to date sein will, unterlässt es, mahnend auf das fehlende wachstum in der wirtschaft zu weisen und im fehlenden wachstum den grund der derzeitigen arbeitsmarktmisere festzumachen. Man rechnet vor, dass ein jährliches wachstum des bruttosozialprodukts von ungefähr 2 prozent und mehr notwendig seien, um spürbare effekte auf dem arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland generieren zu können. Nun mag es eine tatsache sein, dass die kennziffer: bruttosozialprodukt, statistisch nicht in den erwünschten zahlen wächst(2), aber aus diesem faktum ist keineswegs der schluss zwingend ableitbar, dass das geringe wachstum der grund für die misere auf dem arbeitsmarkt ist; denn die fixierung auf das wachstum lässt ausser betracht, dass es in der ökonomie verschiedene formen des wachstums gibt, die unterschiedliche effekte auf die gesellschaft, ihre märkte und den wohlstand der menschen haben. Geht man von einem linearen oder exponentiellen wachstum aus, dann operieren die theoretiker mit mathematischen funktionen, für die die faktoren: raum und zeit, notwendig ausgeschlossen sein müssen, weil die auf dem linearen oder exponentiellen wachstum gegründete ökonomie der gesellschaft im fortschreiten des wirtschaftens in raum und zeit sich selbst zerstört; denn die verfügbaren ressourcen der gesellschaft reichen nicht mehr aus, den prozess des wirtschaftens in gang zu halten(3). Die allgmeine systemtheorie zeigt, dass unablässig wachsende systeme instabil werden und implodieren, weil die angewachsene grösse zu den verfügbaren mitteln in ein missverhältnis gekommen ist. Die alternative zu den modellen des exponentiellen und linearen wachstums der wirtschaft ist die idee eines zirkulären wachstums, das im ausgleichenden wechselspiel den quotienten konstant hält, der die grösse des systems und die verfügbaren momente im system begrenzt. Der input an arbeit ist in diesen wirtschaftsordnungen immer in der balance mit dem output der dinge, die durch arbeit geschaffen werden können(4). In raum und zeit unterliegt das zirkuläre wachstum beständigen abweichungen von der idealen norm, aber diese abweichungen oszillieren in einer definierten bandbreite um den idealwert. Die idee des nachhaltenden wachstums in der gesellschaft ist ein mittel zur erhaltung des systems rationalen wirtschaftens und nicht zu seiner zerstörung(5), der zweck aber, auf den alle ökonomischen prozesse in einer gesellschaft zulaufen, ist die befriedigung der konkreten bedürfnisse der menschen.

Zweites schlagwort: die freie konkurrenz der marktteilnehmer

Konkurrenz, sagt man, belebe das geschäft. Eine simple beobachtung, die dann richtig ist, wenn am markt konkurrenten operieren, die so stark sind, dass sie mit ihren fähigkeiten den wettstreit auch bestehen können. Der starke konkurriert nicht mit dem schwachen marktteilnehmer, sondern vernichtet diesen, um im folgenden vernichtungskampf noch stärker zu sein(6); der schwache konkurriert nicht mit dem starken, weil er nicht über die mittel verfügen kann, um die tauschgeschäfte mit dem stärkeren abzuwickeln, die dem schwachen wie dem starken ihren vorteil sichern. Unablässig reden die ideologen von freien märkten, aber die märkte, auf denen gleichstarke konkurrenten ihre tauschgeschäfte abwickeln können, gibt es nicht(7). Global und lokal kontrollieren monopolgleiche kartelle die märkte und machtgierig wachen sie darüber, dass einerseits der schein eines freien marktes gewahrt bleibt, andererseits aber der eigene profit maximiert werden kann. Die parole heisst: privatisieren, aber die staatlichen monopole werden nur durch privat organisierte konzerne ausgetauscht(8), die sich von den alten monopolen allein darin unterscheiden, dass die neu geschaffenen konzerne, börsennotierte aktiengesellschaften, der bindung an das gemeinwohl ledig sind. Die kleinteilige vielfalt früherer märkte, folge der ökonomischen möglichkeiten, verkümmerte im prozess der technologischen entwicklungen zu gestylten märkten, in denen wenige anbieter bestimmen, was der konsument als nachfrager zu akzeptieren hat(9). Nicht die bedürfnisse des verbraucher sind das maass der entscheidungen, das maass sind die gewinnerwartungen der anbieter. Als nachfrager hat der konsument nur noch eingeschränkt die wahl des anbieters, weil der supermarkt: A, am ort und der supermarkt: B, die sich einerseits heftige preisschlachten liefern, andererseits aber nur filialen derselben konzernmutter sind. Und wenn auf dem markt noch rechtlich selbständige konzerne als konkurrenten agieren, dann haben sie sich in kartellen auf marktanteile verständigt und den konsumenten die kosten der absprachen aufgebürdet(10). Ein besonders übler aspekt ist die verteilung der marktchancen auf den arbeitsmärkten. Folgt man den offiziellen statistischen zahlen der Bundesrepublik Deutschland, dann kommen auf 393591 angebotene offene stellen 5180000 arbeitsuchende nachfrager(11) - von einer balance der chancen am markt kann nicht gesprochen werden. Der anbieter bestimmt den preis und das lohndumping ist die regel(12). Unter diesen bedingungen noch von konkurrenz zu sprechen, in der das bessere sich durchsetzt, ist zynisch, weil die arbeit der menschen zu einer ware degradiert worden ist, die auf den märkten der neoliberalen meistbietend zum niedrigsten preis verhökert wird. Wer aber auf dem arbeitsmarkt nur seine arbeitskraft anbieten kann, deren wert durch die faktoren: zeit und raum, definiert ist(13), der hat keine chancen, mit einem kapital zu konkurrieren, das seinem entstehen nach geronnene arbeit ist(14), dessen wert nach dem prinzip der zahl: 1, bestimmt wird(15).

Drittes schlagwort: freiheit für die märkte.

die parole: freiheit für die märkte, definiert das programm einer zynisch inszenierten täuschung, deren adressaten nicht nur die gutgläubigen marktteilnehmer sind, die das heilsversprechen der neoliberalen glauben wollen, auch ihre neoliberalen erfinder sind die adressaten dieser täuschung, weil sie entweder niemals begriffen haben, was das prinzip der freiheit bedeutet, oder weil sie sehr genau wissen, dass sie falsch reden, aber als die intelligenten und jederzeit austauschbaren helfershelfer des anonymen kapitals glauben, einen kurzfristigen vorteil zu haben. Der markt als ort des tausches von gütern und kapital kann nur funktionieren, wenn die akteure des marktes sich definierten regeln unterstellen, die allen beteiligten prinzipiell die gleichen chancen gewährleisten. Es ist jederzeit möglich, sich darüber zu verständigen, ob die geltenden regeln für einen markt(16) noch sachgemäss sind oder nicht. Das ist keine frage des prinzips, das ist eine pragmatische frage, die, wenn alle beteiligten das gleiche wollen, in einer für alle praktikablen lösung ihre antwort hat. Die neoliberale forderung aber: freiheit für die märkte, zielt, indem sie die freiheit absolut setzt, auf die beseitigung aller bestehenden bindungen(17), und mit der beseitigung jeder bindung wird ein vakuum geschaffen, das nur der mächtigste am markt auffüllen kann, der seine regeln setzt, die alle anderen binden und ihrer freiheit berauben. Die neoliberalen ideologen begreifen nicht, dass die ausübung der freiheit im sinn der frage: freiheit - wozu?, zugleich die bindung desjenigen impliziert, der von seiner freiheit gebrauch gemacht hat(18). Mit dieser bindung hat das individuum als ich sich mit gründen regeln unterstellt, die ihm und seinem anderen das rationale handeln ermöglichen. Der sinn dieser die freiheit beschränkenden regel ist, dem anderen seine freiheit zu belassen, damit dieser sich entscheiden kann, entweder die regel abzuweisen oder mit seiner freiheit die regel zu akzeptieren. Diese bindung aus freiheit ist keine fremdbindung, es ist selbstbindung. Wer aus freiheit sich zu etwas entscheiden will, der will sich selbst an diese entscheidung binden, aber seine entscheidung, die ihn selbst bindet, kann den anderen nicht binden, es sei, dieser will sich ebenso aus freiheit für die bestimmte bindung entscheiden. Damit die märkte wieder ihre funktion, orte des gleichgewichteten austausches der güter zu sein, wieder zurückgewinnen, ist es unabdingbar, die märkte wieder strikten regeln zu unterwerfen, die allen, die auf den märkten tauschen wollen, die freiheit garantiert, dies zu tun. Der kritische blick auf die realität der globalen finanzmärkte entzaubert die neoliberale rede von der freiheit als ein geschwätz, das die nackte gewalt auf diesen märkten wortreich verdecken soll(19).

Konklusion.

Der gemeinsame nenner der drei schlagwörter sind prinzipien, die die struktur des wirtschaftens bestimmen, niemals aber ein ziel des wirtschaftens sein können(20). Wachstum, konkurrenz und freiheit sind instrumente des gesellschaftlichen wirtschaftens, um bestimmte zwecke zu ereichen. Die zwecke setzt das individuum als ich. Aber welche zwecke haben nun die ideologen des neoliberalismus im blick, die den schweiss der arbeit wert sein könnten? Entweder sie schweigen, oder die manager der konzerne verkünden strategische ziele, deren kennziffern im exponentiellen wachstum sich verlieren(21). Einst hatte Ludwig Erhard(22) die losung ausgegeben: wohlstand für alle, aber Erhard war kein wirtschaftsliberaler, sondern ein ordnungspolitiker, der genau wusste, dass die wirtschaft nur dann funktionieren kann, wenn alle am markt beteiligten ihre reale chance haben. Der rückblick verklärt die alten zeiten und die goldenen zeiten Erhards waren keinesfalls so golden wie die erinnerungen sie malen möchten, aber Erhard hatte noch einen blick dafür gehabt, dass wachstum allein nicht alles sein konnte, dass die konkurrenz nur im rahmen eines strikten kartellrechts funktionieren kann, und dass die freiheit der märkte ein obszönes wort ist, wenn wenige fast alles und die vielen fast nichts haben(23).
 

ANMERKUNGEN

(1) die frage kann Ich offen lassen, ob die drei schlagworte das gesamte spektrum neoliberalen denkens abdecken. Ihre apologeten werden dies heftig verneinen und mit guten gründen können sie auf eine uferlose fachliteratur verweisen, die das system des neoliberalismus die kreuz und quer darstellt. Diesen experten widerspreche Ich nicht, auch räume Ich ein, dass Ich die sogenannte fachliteratur nicht zur kenntnis nehme, die sich darin erschöpft, ein handwerk zu beschreiben, das darauf abgestellt ist, erfolgreich dem konkrurrenten das fell über die ohren zu ziehen; denn diese praktiken haben im koordinatensystem meines denkens keinen platz.  <==//

(2) das bruttosozialprodukt ist in der bürgerlichen gesellschaft die standardkennziffer für den wert des wirtschaftens. Es ist aber umstritten, ob das bruttosozialprodukt als zuverlässiger maasstab des gesellschaftlichen wirtschaftens gelten kann. Zu offen ist die schwachstelle dieser statistischen maasszahl, die nur die wirtschaftsleistungen erfasst, die mittels geld abgewickelt werden. Der gesellschaftlich bedeutsame bereich der informellen arbeit wird in dieser kennzahl nicht abgebildet. Folglich können die argumente, die auf diese kennzahl abstellen, immer nur eine beschränkte reichweite und gültigkeit haben, wenn sie für die interpretation gesellschaftlicher prozesse im ganzen genutzt werden.  <==//

(3) das exponentielle wachstum wird nach der formel y=xn, berechnet; die formel für das lineare wachstum ist: y=x. Die kurven unterscheiden sich allein im tempo, wie mit der zahl: x, die menge: y, akkumuliert wird. Theoretisch haben die funktionen keine begrenzung. In der realität gibt es aber keinen fall eines unbegrenzten wachstums; in raum und zeit hat jede funktion ihre grenze, und die jeweilige sollbruchstelle ist die überdehnung des systems.  <==//

(4) das zirkuläre wachstum hat die prozesse in der natur zum maass. In der abfolge der generationen sind alle prozesse der natur in den zyklus von entstehen, wachsen, sterben und untergehen eingebunden. In diesem zirkel des geschehens hat die phase des wachstums das gleiche gewicht wie die phase des verlöschens, und im strikten ablauf der natur wiederholen sich diese phasen stetig. Es sind funktionen eines prozesses, die als mittel für einen zweck beobachtbar sind und in keinem fall als der zweck des geschehens selbst erscheinen. <==//

(5) ob die vorfahren klüger waren als die menschen heute, lasse Ich dahingestellt sein, aber Ich kann im historischen rückblick behaupten, dass alle vorangegangenen generationen weder die mittel noch die theorien hatten, ihre wirtschaftsordnungen einem entgrenzten wachstum zu überantworten. Es waren subsistenzwirtschaften und die idee einer angebotswirtschaft konnte erst entwickelt werden, als die industrielle revolution das kapital schuf und freigesetzt hatte, das gesellschaftlich nicht mehr eingebunden werden konnte und nur noch einem gesetz unterliegt: immer mehr, immer grösser.  <==//

(6) wie in den alten tagen spricht man heute von den unternehmern, der blick in die wirtschaftsseiten der presse aber zeigt, dass es keine unternehmer mehr gibt, wohl aber gibt es manager, deren ganzes tun darauf gerichtet ist, die unternehmen zu fusionieren, um ihren augenblicklichen laden im markt noch besser aufzustellen. Mit den fusionen wird das wirtschaftsgeschehen auf den märkten auf immer weniger marktteilnehmern konzentriert, deren tätigkeit sich darin erschöpft, ihre claims abzustecken.  <==//

(7) es ist eine streitfrage, ob es die freien märkte in den gesellschaften der menschen jemals gegeben habe, auf denen gleichstarke konkurrenten ihre produkte ausgetauscht haben. Solange es eine signifikante ungleichheit in der materiellen verteilung der güter gibt, wird die idee gleichstarker konkurrenten eine illusion sein. Der starke wird immer wieder versuchen, den schwachen zu tauschgeschäften zu zwingen, die sein vorteil sind, und der vorteil des schwachen ist nicht sein ziel. Zwar sichert das recht ein mindestmaass an gleichheit zwischen ungleichen konkurrenten, aber die kehrseite dieses rechts ist die parallele verfestigung der ungleichen tauschverhältnisse, ein wirkzusammenhang, der zynisch affirmiert, dass der starke sich auch noch legitimiert fühlen kann, dem schwachen das fell über die ohren zu ziehen.  <==//

(8) die mär ist nicht aus der welt zu kriegen, dass die alten staatsmonopole der Bundesrepublik Deutschland schlecht gewirtschaftet hätten. Es waren fähige beamte gewesen, die die staatlichen monopole nicht nur der theorie nach an das gemeinwohl gebunden, sondern in der praxis auch erfolgreich im sinn ihres berufsethos verwaltet hatten. In ihren glanzzeiten waren die staatsbahnen und die post des Deutschen Reiches erfolgreiche unternehmen gewesen, die dem staat als eigentümmer keine kosten verursacht und den bürgern als konsumenten mit nützlichen leistungen versorgt hatten. Gemeinwohl und rentabilität sind kein widerspruch, wenn die verantwortlichen die entwicklungen am markt sachgerecht einschätzen. Von den neuen monopolen in der hand von shareholdern kann das nicht behauptet werden, und wenn ihre manager von kostensenkungen reden, dann gehen diese immer zu lasten der verbliebenen arbeitnehmer und der konsumenten, die keine wahl haben.  <==//

(9) es ist nostalgie, wenn den alten Tante-Emma-Läden nachgetrauert wird. Die neuen technologien haben diese organisationform des warenaustauschs ineffizient werden lassen. Es kann aber mit guten gründen bestritten werden, dass die neuen marktformen in der gestalt riesiger verkaufsmärkte auf der grünen wiese effizienter am markt operieren, allein, es kommt auf die perspektive an. Als nachfrager muss der verbraucher, wenn er an die produkte seiner wünsche gelangen will, sehr viel zeit und kosten aufwenden, die das argument der niedrigen preise in der kosten/nutzen-rechnung relativieren; auch sollte nicht übersehen werden, dass das allgemeine preisniveau in den verkaufsmärkten auf der grünen wiese nicht signifikannt niedriger ist als auf den traditionellen märkte in den innenstädten, von den kampfangeboten abgesehen, die den tatbestand des preisdumpings erfüllen - der miserable service in den marktwüsten der konzerne ist eine fussnote zur fussnote. <==//

(10) die presse berichtet regelmässig von verbotenen preisabsprachen; die nicht ganz sauberen geschäfte führender versicherungen in der Bundesrepublik Deutschland sind der neueste fall, und das bundeskartellamt will den kartellverstooss mit einem neunstelligen bussgeld ahnden. Der energiemarkt ist ein anderes beispiel, auf dem die kartelle sich tummeln. Der gleichschritt ist schon erstaunlich, mit dem die spritpreise steigen und fallen, obgleich nach der lehre die preise sich frei am markt bilden sollen. Vieles kann man vermuten, jeder beweis einer kartellabsprache scheiterte bisher an der entschlossenen verschwiegenheit der wenigen marktanbieter.  <==//

(11) aus dem zahlenwerk der Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg, 31.03.2005 (Frankfurter Rundschau, 01.04.2005)  <==//

(12) in seiner ausgabe 7/2005 schildert der Spiegel einen fall von lohndumping, einer von vielen (siehe auch: die meinung des bürgers/ 2005/04-06); wenn per gesetz der staat die 1-Euro-jobs durchsetzt, dann ist er ebenso mit von der partie wie die privatwirtschaft, die diese sorte von jobs auch gern hätte. Und wenn's darum geht, die arbeitszeit wieder heraufzusetzen und dafür den lohn entweder beizubehalten oder abzusenken, dann sind die manager von Opel ebenso dabei wie die herren Steinbrück und Rüttgers im land NRW. Und die kehrseite der medaille: lohndumping? - nun, das sind die gehälter der manager, die sich die millionen selbst genehmigen, weil die herrschaften im kontrollierenden aufsichtsrat es vorher ebenso gehalten hatten. Auch das ist wieder nur eine frage der perspektive; denn das missverhältnis von leistung und vergütung ist in den fällen des lohndumpings ebenso offensichtlich wie in den fällen der managergehälter.  <==//

(13) auf die abhängigkeit des werts der arbeit von raum und zeit hatte Karl Marx besonderen nachdruck gelegt; er konnte sich dabei auf die theorie und praxis des frühkapitalistischen liberalismus berufen, deren vertreter von Adam Smith bis David Ricardo immer wieder vorrechneten, was dem kapitalisten das werkstück pro stunde, mit einer zahl in geld ausgedrückt, an lohn wert ist. Auch hier ist die perspektive entscheidend: der arbeiter muss als produzent des werkstücks die aufgewendete zeit veranschlagen, die, einmal verbraucht, nicht wieder erneuert werden kann; der kapitalist veranschlagt den preis der ware, den die ware am markt erzielen kann und der in einer zahl im kontobuch addiert wird. Der wert des werkstücks wird auf ungleichen argumentebenen bestimmt und es ist der starke, der sagt, auf welcher ebene das geschäft abgewickelt wird.  <==//

(14) Ich greife eine formulierung auf, die Karl Marx zugeschrieben wird.  <==//

(15) das prinzip der zahl: 1, besagt, das jede zahl der numerischen zahlenreihe exakt den wert hat, der seiner ordnungszahl in der zahlenreihe entspricht. Was als eine simple selbstverständlichkeit erscheint, das hat in der welt der werte jedoch eine fatale wirkung. Wer es versteht, seiner sache die ordnungszahl 1000 zuzuordnen, der hat ein zehnfaches von dem, das sein konkurrent mit der ordnungszahl 100 belegen kann. Welche wirkungen das prinzips in einer wirtschaftsordnung entfalten kann, ist an den konzentrationswellen beobachtbar, die seit 1960 das wirtschaftsgeschehen in der Bundesrepublik Deutschland bestimmen. So teilen heute wenige handelsorganisationen den gesamten lebensmittelhandel in der Bundesrepublik Deutschland unter sich auf, und diese handelsketten sind ausschliesslich damit beschäftigt, unter sich die marktanteile abzujagen. Der konsument bezahlt die konzentration auf wenige anbieter mit langen wegen und einer einschränkung seiner wahlmöglichkeiten zwischen den angebotenen waren.  <==//

(16) jede regel hat eine doppelte funktion: zum einen schränkt die regel den handlungsrahmen der beteiligten ein, zum anderen garantiert die regel im zugestandenen rahmen die ausführung bestimmter handlungen. Man wird einwenden, dass dies in den diversen theorien neoliberalen denkens nicht bestritten werde. Ich will dem einwand nicht widersprechen, aber Ich bestehe weiter auf meiner these, dass die neoliberalen theorien auf der einen seite etwas einräumen, das auf der anderen seite in der praxis der märkte neoliberalen zuschnitts effektiv unterbunden wird; es ist der starke, der die regeln faktisch diktiert, und generös dem schwächeren die freiheit belässt, sich dafür zu bedanken, dass er ihm, dem starken, seine freiheit abtreten durfte. Wer behauptet, die märkte im sinn ihrer funktion als ort des tauschens wieder herstellen zu wollen, der muss auch anerkennen, dass er dieses ziel nur dann erreichen kann, wenn die regeln, die alle binden, allen beteiligten die gleichen chancen einräumen. Und gleiche chancen heisst immer, dass jeder materiell in der lage ist, den tausch auch dann verweigern zu können, wenn dieser ihm keinen vorteil verspricht.  <==//

(17) deregulierung ist das schlagwort. Es war immer die aufgabe des staates gewesen, regeln zu setzen, und das zusammenleben der staatsbürger zum nutzen aller zu regulieren. Diese aufgabe hat der staat immer noch und die unablässigen forderungen der neoliberalen ideologen nach deregulierung zielt allein darauf ab, den ordnenden staat zu beseitigen. Aber es ist der irrglaube aller neoliberalen propagandisten, dass, wenn nur die hemmenden regeln beseitigt wären, das reich der freiheit gekommen sei - Karl Marx hatte von jenem fernen reich, wenn auch in einem anderen sinne, geträumt, und es waren seine erben gewesen, vielleicht noch nicht ganz vergessen, die mit dem traum die probe aufs exempel gemacht hatten und mit dem real existiert habenden sozialismus die macht des faktischen realisierten, die dem gerade mächtigeren das recht zur beute lässt.  <==//

(18) den terminus: freiheit, verwende Ich, wenn Ich von den bürgerlichen freiheiten spreche; den terminus: autonomie, verwende Ich, wenn Ich vom prinzip spreche, das jeder bürgerlichen freiheit zugrunde liegt. Die idee der selbstbindung des individuums als ich kann sinnvoll nur im kontext seiner autonomie erörtert werden. Unter den bedingungen der bürgerlichen freiheiten erscheint die unmittelbare selbstbindung immer als eine vermittelte fremdbindung. <==//

(19) das missverhältnis von armut und reichtum in den gesellschaften ist global wie lokal ein faktum. Der verweis auf die tradition geht fehl, weil der historische verweis die gründe für das missverhältniss in die legitimation der fakten umdeutet. Es ist historisch zutreffend, dass die verteilung des gesellschaftlich erarbeiteten reichtums in den gesellschaften ungleich geregelt ist, und auch bei den besten absichten zur herstellung von gleichheit wird es in der verteilung auch weiterhin ungleichheiten geben. Was aber den öffentlichen zorn erregt, das ist das maass der ungleichen verteilung des reichtums, das wie eine unmittelbar wirkende gewalt erfahren wird.  <==//

(20) das wachstum einer gesellschaft, die konkurrenz der bürger untereinander und ihre realen freiheiten, können durchaus partielle ziele im sinn eines zwischenschrittes sein. Ihre funktion haben sie darin, die instrumente des wirtschaftens zu optimieren. In dieser funktion können die instrumente aber niemals ein selbstzweck sein. Das individuum als ich und seine wohlfahrt in der gesellschaft, sind nach Kant das einzige legitime ziel des wirtschaftens. Kant's lehre aber ist bei den neoliberalen auf unfruchtbaren boden gefallen. <==//

(21) strategische ziele zu formulieren ist als ein betriebswirtschaftliches verfahren sinnvoll, allein die betriebswirtschaftliche perspektive genügt nicht, weil ein betrieb nur in einer volkswirtschaft im guten und schlechten existieren kann. Eine gesellschaft von autonomen bürgern lässt sich nicht mit den maximen eines konzerns kommandieren. Die kennziffer von 25% rendite auf das einlagekapital, die der herr Ackermann von der Deutschen Bank als das strategische ziel des konzerns, dem er gerade zu diensten ist,  verkündet hatte, ist nur dann real erreichbar, wenn der mehrwert, der in der zahl: 25, ausgedrückt wird, bei denen abgeschöpft wird, die den mehrwert durch ihre arbeit geschaffen haben. In den hochzeiten des manchesterkapitalismus sprachen die kritiker von ausbeutung und diebstahl, die immer mit der gewalt gepaart ist; heute ist die kritik geschliffen angepasst oder schweigt.  <==//

(22) Adam Smith hatte vom wohlstand der nationen gesprochen; Erhard sprach vom wohlstand für alle. Sicher, dass sind griffige parolen, aber sie haben soviel substanz, dass jeder konkret seinen wunsch träumen kann, der mit den träumen anderer kompatibel ist. Der wunsch, frei von materieller not zu sein, und etwas butter auf dem brot zu haben, ist ein respektabler wunsch, der den schweiss der arbeit wert ist. Auch die forderungen des politischen liberalismus, im gesellschaftlichen verkehr das freie wort führen zu können und die früchte des gewerbefleisses geniessen zu können, ist respektabel, weil sie das zusammenleben der menschen in einer gemeinschaft fördern und jeden einzelnen in die pflicht nehmen, das seinige für das gemeinwohl zu leisten. Und was bieten die ideologen des neoliberalismus den menschen als ziel an? - geld und kapital auf dem grösstmöglichen haufen. Geld und kapital sind als mittel des wirtschaftens nötig, aber der zweck des lebens ist das geld und das kapital nicht.  <==//

(23) der 2.Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung stellt fest, dass 50% der haushalte nur über 4% des gesamten nettovermögens in der Bundesrepublik Deutschland verfügen (geschätzt: 5 billionen €); dagegen versammeln 10% der haushalte 47% des gesamtvermöges. Überschlägig gerechnet sagen diese zahlen, dass die verbleibenden 40% haushalte den rest von rund 49% des nettovermögens teilen. Zwischen 1998 und 2003 ist das nettovermögen in der Bundesrepublik Deutschland um 17% gestiegen, das armutsrisiko hat sich aber von 12,1% auf 13,5% vergrössert*. Das krasse missverhältnis in der verteilung des volksvermögens ist die entscheidende ursache, dass in der Bundesrepublik Deutschland der wirtschaftsprozess stockt, weil die ungleiche verteilung des kapitals den austausch der arbeit und der güter stört.
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* alle zahlen nach einem bericht in der Fankfurter Rundschau vom 03.03.2005. <==//
 

stand: 05.09.01.

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