TEXTSAMMLUNG

das argument des monats
ausgabe: 05-06/08 mai-juni/2008

Der neue gott: der markt

2.21.123

der postmoderne mensch, berauscht von neoliberaler denke, bescheidet sich mit dem markt, der, wie man redet, alles richtet. Das kapital, gottgleich, ist das maass der weltdinge und der markt lässt alles zu - global und grenzenlos bis auf ein moment, der marktteilnehmer muss die penunze verfügbar haben, real oder in derivaten und optionen, das ist gleichgültig. Wer kein geld hat, der ist niemand. Eine gigantische industrie(a) produziert kultur und beliefert die gierende kundschaft mit den passenden fetischen(b). Seine einschätzung, gleichgültig, ob der gebrauchswert des gegenstands beurteilt werden soll oder sein lustwert, ist eine frage der befindlichkeiten, die den moden unterworfen sind, die im markt gerade en vogue sind. Das outfit des gegenstands ist gewichtiger als seine funktion. Wer den McD... in den mund schiebt, der ist in, zumindest bei den gleichgeschalteten, und wer nicht mitmacht, der ist out, oder, was das gleiche ist, er ist in oder out, nur bei den anderen. Der McD...(c), so erscheint es, ist die ordnungsmacht, die die welt scheidet in böse oder gut. Überspanne Ich meine argument? Ein lumpiger hamburger soll der gott der welt sein? - richtig! das ist der trick; mit den beliebigen dingen werden identitäten geschaffen, die in der funktion eines gründenden grundes beliebig instrumentalisierbar sind, und der wechsel der moden verschlägt jedem den atem.
2.21.123a
der terminus: kulturindustrie, ist einschlägig. In seiner globalen bedeutung ist die einschränkung des objektbereichs auf die ästhetischen weltdinge zu eng und zugleich auch unscharf(1). Das design der waren, die im markt feilgeboten werden, muss sowohl auf der seite der kunst als auch auf der seite des kommerzes verrechnet werden. Die präsentation eines warenstücks, sei's der croissant im stehcafe oder die nobelkarosse im anstehenden autosalon, zielt einerseits auf den umsatz, den der verkäufer im auge hat, andererseits auf den lustgewinn, den der konsument zu erlangen hofft; was als kunst erscheint, das ist kulisse, die dem auge die versatzstücke liefern soll, die dem tastsinn versperrt werden und das ohr in einer flut von geräuschen ertränken.
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(1) mit der einschränkung soll das verdienst Th.W.Adornos und Max Horkheimers nicht geschmälert werden, die die phänomene einer industriell produzierten kultur analysiert und theoretisch im 20.jahrhundert reflektiert hatten.


2.21.123b

dinge der welt, die als mittler zwischen dem individuum als ich und seinem gründenden grund dazwischengeschaltet erscheinen, werden mit dem terminus: fetisch, bezeichnet(1). In den so bezeichneten gegenständen nimmt das individuum als ich das sinnlich wahr, was es in seiner vorstellung nur denken kann. Seine welt präsentiert ihm ein buntes angebot von gegenständen, die im profanen wie im religiösen leben verortet sind, reliquien, devotionalien aller art, profanes, das kult ist. Das konstituierende merkmal des begriffs: fetisch, ist die funktion der stellvertretung. Einerseits ist der gegenstand das objekt der anbetung und verehrung, die, vermittelt durch das objekt, eine für den anderen verifizierbare handlung ist, andererseits ist mit dieser handlung die intention des handelnden verknüpft, sich, vermittelt durch den gegenstand, mit seinem gott oder der leitenden idee in eine relation zu setzen. In der relation: das_individuum_als_ich<==|==>gott/idee, erscheint der fetisch dazwischengeschaltet, der die als unmittelbar intendierte relation in eine vermittelte relation: das_individuum_als_ich<==|==>(fetisch)<==|==>gott/idee, transformiert(2). Der real nicht fassbare gott oder die real nicht fassbare idee erscheint dem individuum als ich im fetisch als ein fassbares objekt, mit dem es real umgehen kann. Intentional fixiert kann das individuum als ich den gegenstand liebkosen, pflegen, malträtieren und auch zerstören. Fokussiert auf den fetisch (die relation: das_individuum_als_ich<==|==>fetisch,) kann das individuum als ich sein genügen finden, das intentional auf den gott oder die idee gerichtet ist (die relation: das_individuum_als_ich<==|==>gott/idee,). Die logik des im fetisch vermittelten gottes oder der idee ist simpel. Das gläubige individuum als ich muss sich nicht mit den abstrakten bedeutungen theologischer oder theoretischer konstruktionen abmühen, ein geschäft, das die berufenen oder die sich dafür halten, desto eifriger betreiben. Sie monopolisieren die verwaltung des fetisch und definieren mit ihrer interpretationsmacht interessengeleitet die partialrelation: fetisch<==|==>gott/idee. Konflikte sind systemimmanent, und diese werden, das ist die erfahrung, gewalttätig in raum und zeit ausgefochten.
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(1) im bereich der religion spricht man von einem fetisch, im bereich der weltanschauungen ist es weniger üblich, obgleich es vergleichbare phänomene gibt. Politische symbole haben immer auch die funktion eines fetischs, z.b. die rituale um eine fahne. Unter dem aspekt der funktion müssen auch die theorien der wissenschaften als fetische eingeordnet werden.  <==//
(2) die durch den fetisch vermittelte relation* zwischen dem individuum als ich und seinem gott oder seiner idee kann auch im schema des trialektischen modus dargestellt werden.
1.relation: das_individuum_als_ich<==|==>gott/idee
2.relation: das_individuum_als_ich<==|==>fetisch
3.relation: fetisch<==|==>gott/idee.
Das individuum als ich kann seinen gott oder seine idee nur im horizont des ausgeschlossenen dritten moments, den fetisch, bestimmt präsent haben. Nicht anders den fetisch, dessen bedeutung im horizont des ausgeschlossenen dritten moments, den begriffen: gott oder idee, bestimmt ist. Das schlachtfeld der ideologen ist die dritten relation, die einen volativen inhalt hat.
Den gedanken in einer graphik wiederholt:


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* lesehilfe:
das relationszeichen: <==|==>, lies: relationiert abhängig
die relation: das_individuum_als_ich<==|==>(fetisch)<==|==>gott/idee, lies: das individuum als ich relationiert abhängig den fetisch, der fetisch relationiert abhängig den gott oder die idee. *<==//    (2)<==//


2.21.123c

welche gegenstände zum objekt einer identifikation gemacht werden, das ist in der postmodernen welt beliebig geworden. Die beobachtung ist geläufig, dass bestimmte weltdinge zu bestimmten zeiten und an bestimmten orten in allerwelts munde waren oder sind. Die folgerung aus der beobachtung ist entweder eine tautologie oder eine binsenweisheit, eben die behauptung, dass diese dinge der welt in vielermans munde sind oder waren. Allein den dingen ist ihre bedeutung nicht zu entnehmen, gleichwohl aber ihren manipulationen, die, von der werbung ins öffentliche bewusstsein gestellt, die dinge der welt in das bewusstsein des individuums als ich stellen und daraus ebenso wirksam wieder verschwinden lassen. Als phänomene sind diese weltdinge ein gewichtiger teil der kulturgeschichte, gleichgültig, ob die gegenstände in der kultur der alltagswelt verortet sind oder der kultur der eliten. Was diese weltdinge miteinander verbindet, das ist die beobachtung, dass ein individuum als ich sich mit diesen dinge der welt identifiziert oder identifiziert hatte, und der banalität dieser weltdinge zum trotz, diese weltdinge, von der werbebranche heftigst beworben, sind, registriert und dokumentiert, mit einer erzählung verknüpft, die das individuum als ich erzählen kann, wenn es diese geschichte erzählen will.
(quelle: Das werk. Argumente: 2.22.123, 2.22.123a-c.(unpubliziert))
finis

stand: 08.06.30./ 08.05.01.

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