TEXTSAMMLUNG
das argument des monats
ausgabe: (22)07-09/08 juli-september/2008  (blieb bis 12/2008 stehen)
 
Freiheit - ein mythos des wegs

2.22.333

den mythos der freiheit hatte Hegel grandios als theologie der geschichte auf den weg gebracht; der endpunkt des weges war, wie bekannt, der preussische staat Friedrich Wilhelms nummero drei(a). Hegel's begriff der geschichte ist ein fall dieser geschichte und mit dieser einschätzung könnte der fall in den analen der historia abgelegt werden - ein zulässiges verfahren, dem gedanken Hegel's ist das verfahren aber nicht angemessen. Die idee, dass die freiheit zunächst nur die freiheit eines einzigen, dann einer gruppe, schliesslich aber aller sei, zeigt zweierlei. Der gedanke des weges, auf dem die idee der freiheit sich entfalten kann, ist das erste, das zweite ist Hegel's theorie, dass die freiheit über die dialektik von position und negation sich in der absoluten freiheit erfülle. Soweit das individuum als ich auf dem wege ist, kann der Hegel'schen freiheit die faszination nicht abgesprochen werden, aber diese freiheit verschwindet im grauen des endes, wenn das individuum als ich seinen weg gegangen ist; im moment ihres aufgehobenseins bricht die dialektik von position und negation ab und verschwindet. Die frage nach dem grund des abbrechens ist im kontext der Hegel'schen dialektik ebensowenig beantwortbar, wie die in der dialektik implizierte frage, warum der ganze weg überhaupt notwendig sei, auf dem der gedanke der freiheit seiner vollendung entgegenstrebe. Diese frage beantwortet der theologe ex professo abschliessend(b), der philosoph aber bleibt an die frage gefesselt. Auch der philosoph antwortet, aber seine antwort ist im moment ihrer wiederaufnahme eine neue frage, die der alten frage gleich ist. Die antwort Hegel's habe Ich zur kenntnis genommen, aber für mich, anders als für den gläubigen, ist sie eine neue frage(c).


2.22.333a

philosophie und theologie sind nicht dasselbe; den alten streit, wer nun wem zu befehlen und zu dienen habe, kann Ich ruhig beiseite legen, beunruhigend aber bleibt, wenn der philosoph einen gedanke mit methoden entfaltet, die ihm als philosoph nicht verfügbar sind. Im himmel der philosophen gibt es keine götter, und sollte der besagte himmel dennoch bevölkert sein, dann können seine bewohner nur individuen als ich sein, für die die unterscheidung von erde und himmel ein gegenstand der meteorologie ist. Der gegenstand der theologen aber ist das wesen des gottes oder der götter und die sind keine individuen, die ein ich sein könnten. Diese differenz ist nicht disputierbar und taschenspielertricks, wenn auch beliebt, sollten ausser betracht bleiben. Ich akzeptiere Hegel's projekt nicht, den begriff der freiheit im kontext der theologie zu entfalten; denn die ersetzung der funktionstelle: gott, mit dem gott der philosophischen tradition: das sein, ist logisch unzulässig.  <==//


2.22.333b

der theologe(1) antwortet präzise, aber seine antworten können beliebig abgefragt werden; denn wer glaubt, der weiss auch, wie er das passende wort finden wird. Das ist im sinn des Kant'schen aufklärungsdiskurses zwar bequem, lässt aber den zweifelnden, die not des weges verspürend, unbefriedigt mit einer antwort zurück, die drohend eine neue frage ist, die der theologe wieder beantworten wird, antworten, die den gläubigen in seiner angst beruhigen sollen.
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(1) die philosophen sind um antworten auch nicht verlegen und, um eindruck zu machen, scheuen sie sich nicht, beim kollegen, dem theologen, anleihen im design zu machen. Die polemik des alten Schopenhauer, der gegen die kathederphilosophen gewettert hatte, mache Ich mir nicht zu eigen, aber eine antwort ist dann gut, wenn sie unterhält.     <==//


2.22.333c

das erscheinen der antwort als neue frage zeigt an, dass das individuum als ich sich dem prozess des lebens nicht entziehen kann, solange es als individuum, das ein ich sein will, existent ist. Auf dem weg kann das individuum als ich den wunsch denken, der weg, sein lebensweg, möge ein ende haben, aber das gedachte ende des wegs ist entweder die projektion seines physischen todes, der, real geworden, jede weitere frage abgeschnitten haben wird, oder seine projektion ist auf einen ruhepunkt fokussiert, von dem aus das individuum als ich, ein wanderer, sowohl auf den weg zurückschauen kann, den es gegangen ist, als auch auf den weg vorausblicken muss, den es noch zu gehen hat, ein weg, der sich in der weite des horizonts zu verlieren scheint. Der gedanke aber ist leer, der im ziel vollendet ist. Wer antworten verkauft, denen die frage ausgetrieben worden ist, der ist ein falschmünzer, gleichgültig, ob er sich als philosoph oder theologe verkauft. Sicher, die antwort, die in raum und zeit ein begrenztes problem abschliesst, kann ruhe verschaffen, aber diese ruhe ist eine trügerische ordnung; denn jede frage beunruhigt, weil sie das individuum als ich motivieren könnte, seinen blick auf die welt offen zu halten.   <==//


(quelle: das werk. argumente 2.22.333, 2.22.333a-c (unpubliziert))
finis

stand: 08.12.31.     eingestellt: 08.06.30.

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