TEXTSAMMLUNG
das argument des monats
ausgabe: (34)07/17 //07-09/2017 juli-september/2017  (blieb bis 09/2018 stehen)
Ist mehrheit mehrheit?
Anmerkungen zu einer entscheidungsregel.

Text:

Als maxime des entscheidens dürfte die regel, die mehrheit solle entscheiden und entscheidet, vernünftig sein. Ein ernsthafter einwand, so scheint es, ist nicht verfügbar - ein simpler gedanke, der zu konfrontieren ist mit dem bedenken, wirksam als horizont, wenn die verfahren analysiert und reflektiert werden, mit denen nach mehrheit entschieden wird, unausweichlich die frage aufwerfend, was die immanente grenze der mehrheitsregel ist.

Der kern der mehrheitsregel ist prima vista ein fall der zahlenreihe: "1, 2, 3 ... n"(a). Die mehrheit ist definiert als die rangstelle in der zahlenreihe, auf der zum ersten eine bestimmte menge von zahlen in einer zahl fixiert ist, dividiert mit der zahl: 2, und zum zweiten die zahl: 1, die der einen teilmenge addiert wird, der anderen teilmenge aber subtrahiert ist(b). Mit dieser definition ist die maasszahl fixiert und benannt, mit der entscheidbar ist, welche der streitenden parteien, jede partei für sich, behaupten kann, die mehrheit aller, die es betrifft, zu repräsentieren.

Secunda vista ist die sache verwickelter. Im politischen diskurs werden varianten der mehrheitsregel diskutiert, deren debatten im ergebnis darauf hinauslaufen, dass zwar ausgezählt wird, welche der streitenden parteien die mehrheit repräsentiert(c), aber, und dieser einwand zählt: was ist die mehrheit von was? Als kriterium der unterscheidung kann die gewählte maasszahl für die mehrheit nur die zahl einer möglichen mehrheit sein, die anderen kriterien einer mehrheit bleiben nicht_bestimmt. Es ist also zweckmässig, einige situationen, als mehrheitsentscheidung real im politischen prozess, in den blick zu nehmen, um die logik der regel: entscheidung mit mehrheit, zu erfassen. Es kann nicht genügen, die möglichen antworten auf die nackte zahl zu beschränken, es ist auch notwendig, die realen faktoren des politischen prozesses in die antworten einzubeziehen, die mit differierenden zahlen interpretiert werden.

Der simpelste fall einer mehrheit ist die formel: die hälfte plus 1,(d). Im politischen diskurs ist es üblich, von einer absoluten mehrheit zu reden, in der Bundesrepublik Deutschland sagt man auch, das sei die kanzlermehrheit(e).

Die einfache mehrheit, eingeschlossen die relativen mehrheiten, sind komplex gestaltet und die komlexität ihrer strukturen ist formbar. Die gesamtheit aller, die es betrifft, ist zwar der bezugspunkt der einfachen mehrheit, aber gezählt werden, komplexe mehrheiten formend, allein diejenigen, die an der abstimmung sich beteiligt haben. Das kann zu zahlen führen, die aufregen können. So kennt man im Deutschen Bundestag den brauch, dass die anwesende minderheit der abgeordneten des Hohen Hauses ein gesetz als beschlossen durchwinken kann, z.b. mit dem ergebnis: 5 ja-stimmen gegen 4 nein-stimmen bei 2 enthaltungen und einer ungültigen stimme(f) - das ist zulässige praxis, so lange der amtierende bundestagspräsident es toleriert, dass die beschlussfähigkeit des Hohen Hauses nicht festgestellt wird. Es gehört schon viel phantasie dazu, 5 ja-stimmen aus einer menge von 630 stimmen als mehrheit zu deklarieren(g).

Jede mögliche zahl der zahlenreihe kann, reduziert auf die skala: 1 - 100, in der gesamtheit aller die mehrheit einer gruppe repräsentieren, erforderlich ist allein, dass definiert ist, welche zahl der bezugspunkt sein soll(h).

Üblich im politischen prozess sind auch qualifizierte mehrheiten, die bekannteste zahl ist die sogenannte 2/3-mehrheit. Andere zahlenpaare sind im gebrauch: 60:40, 75:25 und 90:10. Jede kombination zwischen: 1 - 100, die addiert 100 ergibt, ist möglich. Die variabilität der kombinationen ist ein indiz, dass das, was eine mehrheit ausweist, qualifiziert oder relativ, nicht in der zahl gegründet werden kann, sondern in einem merkmal begründet sein muss, das zureichend mit keiner zahl der zahlenreihe: "1, 2, 3, ... n" benannt werden kann. Mit diesem argument ist hinreichend markiert, dass mit keiner zahl begründet wird, was die mehrheit aller, die es betrifft, sein soll, der scheinbaren objektivität der zahl: 1, und aller anderen zahlen zum trotz, die darauf beschränkt sind, in der zahlenreihe eine rangstelle zu markieren(i).

Das problem der mehrheitsregel ist fixiert in dem grund, der benannt sein muss, wenn die benannte zahl einen sinn haben soll und dieser sinn ist nicht in der logik der zahlenreihe: "1, 2, 3 ... n" auffindbar, weil er in der erfahrung verortet ist, die, das ist tradition, die sphäre der werte umfasst, und es ist gleichrangig, ob die schätzungen der verfügbaren werte positiv sind oder negativ. Der blick wird also auf die phänomene zu richten sein, die im fokus des interesses stehen, interessen, die mit dem anspruch geltend gemacht werden, die mehrheit aller, die es betrifft, zu vertreten.

Im politischen prozess wird die mehrheitsregel dann zu einem stein des anstosses, wenn die entscheidung der mehrheit von der minderheit bestritten wird und die streitparteien nicht willens sind, den dissens aufzuklären. Einerseits wird die gefallene entscheidung akzeptiert, approbiert mit der zahl, die die mehrheit indiziert, andererseits sind die gründe zu hören, mit der die mehrheit ihre entscheidung rechtfertigt. Der kern des konflikts ist nicht die behauptung, dass die geforderte zahl, die mehrheit markierend, nicht erreicht worden sei; denn zählen können alle, die es betrifft(j). Der kern des streits ist die behauptung, dass die gruppe, die die mehrheit repräsentiert, nicht legitimiert sei, die entscheidung für alle, die es betrifft, zu treffen, weil die gründe der mehrheit, so sagt es die unterlegene minderheit, unzureichend(k) seien und die sache nicht tragen können, über die mit mehrheit, fixiert in der zahl, entschieden worden ist(l). Die logik des arguments der minderheitspartei ist exakt das spiegelbild des arguments der mehrheitspartei, damit sind die begründungen austauschbar, die gegeneinander geltend gemacht werden, sowohl von der mehrheit als auch der minderheit(m). Das strukturmerkmal der mehrheitsregel ist der dissens, der den politischen prozess dann nicht zerstört, vielmehr diesen befördert, wenn alle, die es betrifft, in einem konsens sich zusammengefunden haben(n), mit dem die widerstreitenden interessen, fundiert in werten(o), als gegensätze erlebt werden, die in akzeptablen kompromissen austariert sind(p).

Diese einsicht mag als ein nicht_auflösbares dilemma erscheinen, aber in diesem dissens ist auch die chance verborgen, die erkannt sein muss, sowohl von der mehrheitspartei als auch von der minderheit, wenn sie sich streiten, wie die geltende mehrheitsregel im bestimmten fall auszulegen ist(q). Die mehrheitspartei muss in ihren argumenten anerkennen, dass der minderheit rechte und ansprüche zustehen, deren respektierung und erfüllung die bedingung ist, dass die gesellschaft als ein ganzes funktionieren kann, ohne in teilgruppen zu zerfallen, unfähig, über das zu kommunizieren, was alle betrifft(r). Die minderheit muss in ihren argumenten erkennen lassen, dass sie die erforderlichen entscheidungen für geboten hält und den kompromiss divergierender interessen will, den politischen prozess nicht mit verfahrentricks blockierend, deren zweck die obstruktion ist(s).

Der anwender der mehrheitsregel muss von der überzeugung geleitet sein, dass alle, die es betrifft, mit der mehrheitsentscheidung genau das erreichen können, was sie dem jeweils anderen nicht verweigern dürfen, wenn sie ihre interessen, legitim und dem anderen zumutbar, realisieren wollen. Im politischen prozess aber ist es eine illusion, dass die mehrheitspartei die minderheit mit seiner mehrheitsentscheidung davon überzeugen wird, ihre rechte und ansprüche nicht nur wahren zu wollen, sondern auch voll zu gewähren. Dieser hoffnung steht das interesse aller, die es betrifft, entgegen, macht zu erwerben und macht nicht zu verlieren. Jede entscheidung mit mehrheit wird in einer situation vollzogen, in der es keine abschliessenden antworten geben kann, weil alles in raum und zeit im fluss ist und mit jedem moment der gelebten gegenwart eine veränderte situation real sein kann, die mit neuen lösungen bewältigt werden muss, weil die alten lösungen, traditional und konventionell, nicht mehr in die gewandelte situation passen(t). Die mehrheit muss im blick haben, was sie der minderheit zumuten kann, wenn sie den sozialen frieden nicht gefährden will(u). Die minderheit muss akzeptieren, dass sie entscheidungen auch dann mitträgt, wenn die entscheidung, im horizont der geltenden kausalität(=sachzwang)(v) rational entwickelt, ihr interesse negativ beeinträchtigt. Diese einsichten in das funktionieren einer gesellschaft zum wohle aller, die es betrifft, setzt einerseits den konsens über die definierten werte voraus, so die geltung der verfassung und der gesetze, andererseits ist die fähigkeit und das wollen zum kompromiss gefordert, streitig gefallene interessen miteinander kompatibel zu machen, ohne im jeweils anderen >den feind< zu vermuten, der in der minderheit zu halten sei, die gewalt nicht ausschliessend.
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Anmerkungen:
(a)
Richter,Ulrich: Das prinzip der zahl: 1. //==> adm:(20)/09/07. 2.absatz.       (a)<==//
(b)
d'accord, die definition ist umständlich. In der praxis sagt man
schlicht: von hundert fünfzig plus eins ((100:2) = 50 + 1). Solange gezählt wird, kann es keinen streit geben.     (b)<==//
(c)
die interpretation der zahlen kann dann streitig fallen, wenn nicht eindeutig geklärt ist, was die menge aller, die es betrifft, sein soll. Von jeder teilmenge kann behauptet werden, dass diese teilmenge die mehrheit darstelle. Typisch dafür sind die übersichten, mit denen eine gesamtheit in drei und mehr gruppen von unterschiedlicher grösse geteilt ist und passende konstellationen durchdekliniert werden(01).
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(01)
als beispiel eine übersicht, typisch für die geläufigen wahlumfragen: Union 32%,(+) SPD 31%,(+) FDP 9%,(+) Grüne 8%,(+) Linke 7%,(+) AfD und alle anderen zusammen als rest 13% = 100.      (c)<==//
(d)
mit dieser formel können unendlich viele zahlen verknüpft werden,
so die zahlen: (50 + 1 von 100), (65 +1 von 130), (315 +1 von 630), usw.(01).
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(01)
in der darstellung als bruchzahl:


      (d)<==//

(e)
im Art.63 II 1GG ist die sogenannte kanzlermehrheit definiert, aber das, was prima vista eindeutig festgelegt ist, das erweist sich secunda vista als >gestaltungsfähig< und kanzler wird man auch mit einfacher mehrheit(01).
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(01) das verfahren ist in Art.63 IV 2GG geregelt.     (e)<==//
(f)
für die feststellung der mehrheit kommt der stimmenthaltung und/oder der ungültigen stimme eine sonderstellung zu. Es ist eine konvention, dass stimmenthaltung und ungültige stimme bei der feststellung der mehrheit unberücksichtigt bleiben, mit einem  verblüffenden ergebnis: die zahl der ja-stimmen kann kleiner sein als die summe aller anderen stimmen.      (f)<==//
(g)
abstimmungen im Hohen Haus mit >kleiner< besetzung sind gängige parlamentspraxis, ein brauch, der solange öffentlich unbeachtet bleibt, solange das faktum in der publizierten meinung nicht als skandal inszeniert wird, weil eine minderheit der beteiligten sich nicht an die spielregeln hatte halten wollen. Das wirkt manchmal wie weisse salbe, weil der prozess der meinungsbildung über gesetzentwürfe in der regel in den parlamentsausschüssen geführt wird und deren votum eine bestimmende vorgabe für das plenum ist.     (g)<==//
(h)     anm.: (c/01).      (h)<==//

(i)

die zahlen der zahlreihe: "1, 2, 3, ... n", fixiert in den zahlzeichen, markieren die rangstelle in der reihe - jede denkbare zahl besetzt eine rangstelle und mit dem zahlzeichen: n, ist die eine rangstelle benannt, die von keiner anderen zahl besetzt werden kann. Pars pro toto, die zahl: 51, die die 51.rangstelle in der reihe markiert, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Zu simpel? - geläufig im politischen prozess ist die rede: mehrheit ist mehrheit, eine tautologie, mit der eine begründung erfolgreich vorgetäuscht werden kann, aber eine tautologie ist keine begründung. Die zahl, mit der eine mehrheit benannt wird, sagt nichts aus über die mehrheit, die mit dieser zahl fixiert ist - auch nur eine formel, die eine tautologie ist.      (i)<==//
(j)
merkwürdig, mit der fähigkeit, exakt zählen zu können, ist die chance impliziert, die geltenden mehrheiten zu manipulieren. In der regel scheut der manipulateur die änderung der maasszahl, mit der die mehrheit fixiert ist(01), geläufiger sind die techniken, den parameter für die menge der gezählten items so anzupassen, dass die gewünschte mehrheit auch erreicht werden kann(02) - mit den objektiven zahlen wird subjektiv ein unehrliches spiel in szene gesetzt.
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(01)
einer dpa-meldung(*1) zufolge wurde in einer im US-senat anstehenden streitfrage die verfahrensregel für die zulässigkeit des >filibuster< so angepasst, die administration des neuen präsidenten, herr T. ist in not, dass die aktuelle mehrheit der republikaner die opponierende minderheit der demokraten überstimmen kann. Bislang galt die regel: 60:40, jetzt genügt: 51:49. Es geht also, wenn's gehen soll, und die gewünschte mehrheit ist produziert.
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(*1)   Westfälische Nachrichten, 07.04.2017.         (j/01)<==//
(02)
es ist bekannt und üblich, dass die machthabenden, wenn sie sich der wahl stellen, das wahlrecht so gestalten, dass durch die wahlmodalitäten die notwendigen mehrheiten generiert werden können. Bewährt sind diese manipulationen, die ordentlich gesetzt werden, bevor die wahl stattfindet:
1. der zuschnitt der wahlkreise und die grösse der institutionen(*1).
2. die entscheidung durch mehrheits- oder verhältniswahl(*2).
3. die wahl der mandatierten in direkter oder indirekter wahl(*3). Das sind legitime möglichkeiten, das wahlverfahren zu gestalten, weil die realität in den ergebnissen nicht 1:1 repräsentiert werden kann, aber, die verknüpfung der mehrheitsregeln mit den objektiven methodischen problemen der repräsentanz des wählerwillens öffnet den raum für gestaltende manipulationen, die solange unschädlich sind, solange der politische prozess offen gehalten ist, in dem pragmatisch die erforderlichen entscheidungen getroffen werden(*4).
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(*1)
für den zuschnitt der wahlkreise ist entscheidend zum ersten das verhältnis zwischen der menge der wähler und der zahl der gewählten, zum zweiten die grösse und der zuschnitt der wahlkreise, die aus technischen gründen eingerichtet werden. Der mandatsträger, der mit einer mehrheit von 500 stimmen gewählt ist, hat ein anderes gewicht als der mandatsträger, der für das gleiche ziel 500.000 stimmen benötigt. Für eine gestaltete mehrheit gibt es viele varianten(+1).
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(+1)   als beispiel sei das preussische dreiklassenwahlrecht(1849-1918) zitiert.              (j/02/*1)<==//
(*2)
die vorteile, respektive die nachteile des mehrheits- und des verhältniswahlrechts sind bekannt. Die machthabenden werden, dem eigenen interesse folgend, die form der wahl wählen, die ihren interessen am vorteilhaftesten ist. Der entscheidende differenzpunkt der beiden wahlsysteme ist die streitfrage, wie die jeweiligen minderheiten behandelt werden, die im gewählten gremium mit unterschiedlichem gewicht vertreten sind. Das mehrheitswahlrecht kann zu krassen missverhältnissen führen, das verhältniswahlrecht niviliert, aber keines dieser wahlsysteme kann die absolute gleichheit der abgebenen stimmen gewährleisten, weil die logik der zahlen diesem ziel in der quere steht. Es ist pragmatische erfahrung, dass mit den gemischten wahlsystemen die mathematische ungleichheit am besten minimiert wird.         (j/02/*2)<==//
(*3)
das zusammenspiel von direkter und indirekter wahl der mandatsträger kann in den politischen systemen zu widerprüchlichen ergebnissen führen. Das letzte beispiel ist die wahl des US-präsidenten, 2017. Ein wahlmännergremium wählt mit absoluter mehrheit den US-präsidenten, die wahlmänner werden in direkter wahl vom volk gewählt, gewichtet nach den US-bundesstaaten, teils nach mehrheitswahl, teils nach verhältniswahl. Die kandidatin: Hilary Clinton, konnte ca.1 million wähler mehr hinter sich versammeln als ihr gegenkandidat: Donald Trump, der aber, konsequenz der indirekten wahl, die mehrheit der wahlmänner für sich gewonnen hatte - er wurde US-präsident.         (j/02/*3)<==//
(*4)
die hoffnung, ein objektives wahlverfahren schaffen zu wollen, ist eine illusion. Wo eine gestaltungsmöglichkeit gegeben ist, da wird die eingeräumte chance auch missbraucht. De facto unterscheiden sich die im politischen prozess gebräuchlichen wahlsysteme nur im grad der realen abweichung von der systemischen gleichheit: 1:1, die das wahlsystem: one man one vote, als versprechen bereit hält. Die wirkweise aller real praktizierten wahlsysteme ist bekannt und jedes system weist vor- und nachteile auf, die bewusst in kauf genommen werden müssen. Solange vor dem wahlakt festgelegt ist, nach welchem system gewählt werden soll, können alle, die es betrifft, abschätzen, was (für ihr interesse) besser ist oder nicht - eine entscheidung mit mehrheit und der kreis der vorgebrachten argumente ist wieder geschlossen. Das absolut perfekte, das soll heissen, das absolut gerechte wahlystem gibt es nicht - es ist die fata morgana der politik.
          (j/02/*4)<==//            (j/02)<==//       (j)<==//
(k)
im streit um die mehrheiten hat das gegenläufige argument die funktion, die verneinung zu markieren. Die antwort auf die frage, ob die tragenden gründe zureichend seien oder nicht, stehen im politischen diskurs immer zwei termini zur verfügung, die sich in der vorsilbe: un, und der verneinung: nicht,(01) eindeutig unterscheiden, so die termini: unzutreffend und nicht_zutreffend. Die logische verneinung: nicht_zutreffend, ist eindeutig, weil über das verneinte nichts prädiziert werden kann; mehrdeutig ist die verneinung: unzutreffend, die eine position zum gegenstand hat. In der position des verneinten ist der faktische dissens ausgedrückt, mit dem die mehrheitsregel in den fokus des politischen streits gestellt ist. Es wird eine meinung gegen eine andere meinung gesetzt, und jeweils eine meinung soll gegen die andere, diese vernichtend, durchgesetzt werden. Dieser konflikt kann aber nicht im gegeneinander entschieden werden, sondern nur in einem miteinander, indem die widerstreitenden interessen gestaltet werden, das soll heissen, miteinander kompatibel gemacht werden. Der kompromiss ist ohne streit mehrheitsfähig, nicht aber das diktat, das der vermeintlich stärkere als mehrheit auszugeben versucht. Im politischen prozess wird mit der verneinung im gewand einer position der zweck verfolgt, die position des (vermeintlich) stärkeren im nebel des unbestimmten verschwinden zu lassen, um diese als mehrheit zu präsentieren.
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(01)
im relationalen argument wird die verneinung immer mit dem wort: nicht, und unterstrich(=nicht_) markiert. Zur erläuterung: die verneinung von wahr ist nicht_wahr, der terminus: unwahr, hat zwar eine verneinung zum gegenstand, ist, logisch betrachtet, keine negation, sondern eine position.      (k)<==//
(l)
im kontext der macht- und herrschaftstheorien wird versucht, die gestaltende macht der mehrheit(01) mit dem gebot qualifizierter mehrheiten zu begrenzen. Die regel: qualifizierte mehrheit, wirkt dann uneingeschränkt, wenn nicht versucht wird, die gesetzten bedingungen zu umgehen. Keiner der im politischen prozess involvierten wird in der perspektive der pragmatik die einschränkenden festlegungen für unvernünftig erklären, im konfliktfall aber sind die beteiligten nicht gewillt, das dem streit zugrunde liegende gegensätzliche interesse aufzulösen. Weder ist es möglich, mit der logik der zahlenreihe die meinung der minderheit zu beurteilen, noch kann dem urteil zureichend die meinung der mehrheitspartei zugrundeliegen, weil ihre maasstäbe wertungen sind, die mit wertungen begründet werden(02). Zwar ist es üblich, wertentscheidungen mit zahlen zu fixieren(=zensuren), aber das ist eine täuschende objektivität, deren horizont widerstreitende interessen sind, die sowohl von der mehrheitspartei wie von der minderheit verfolgt werden. Den divergierenden interessen korrelieren die zahlen der mehrheiten und die mit den zahlen verknüpften divergierenden wertungen sind kein argumente, die den streit schlichten können.
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(01)
die logik jeder machtbeziehung ist real in den versuchen der machthabenden, die eigene macht zulasten der macht des jeweils anderen machthabers auszudehnen. Dieser mechanismus ist dann kein anlass, die mehrheitsregel in zweifel zu ziehen, wenn gewährleistet ist, das stichwort ist: teilung der gewalten, dass alle, die es betrifft, gewillt sind, sich an die vereinbarten regeln zu halten, die über das hinausgehen müssen, was in der mehrheitsregel als zahl statuiert ist.
(02)
das argument, mit dem der konflikt aufgelöst werden soll, ist zirkulär, aber es ist eingebunden in das zirkelargument, dem keiner sich entziehen kann, der im politischen prozess tätig ist(*1)
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(*1)
zum zirkelargument, Richter,Ulrich. www.ur-philosoph.de //==>index //==>INDEX der argumente/stichwort: zirkelargument.     (l)<==//
(m)
es sollte auffallen, dass der wechsel der begründungen immer dann zu beobachten ist, wenn in den gewählten gremien die mehrheiten gewechselt haben und das politische personal ausgewechselt worden ist. Die alte regierungsmehrheit, die nun oppositionelle minderheit ist, argumentiert wie die alte oppositionsminderheit, die nun regierungsmehrheit ist. Die anstehende politischen konfliktthemen sind dieselben, die klagen sind die alten, die neue mehrheit macht's nicht besser und die ausrede mit den sachzwängen(01) funktioniert unverändert.
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(01)    //==> anmerkung: (v).      (m)<==//
(n)
die mehrheitsregeln funktionieren immer dann geräuschlos, wenn über die politische ordnung konsens besteht(01). Den konsens im blick sind die allgemeinen beobachtungen trügerisch, weil die gesellschaftliche ordnung einerseits als stabil erfahren wird, die andererseits im fluss ist, angetrieben von den wechselnden interessen. Der konsens sollte ein hohes gut sein(02); denn er ist die bedingung, dass im streit um die gegensätzlichen interessen kompromisse geschaffen werden können, die das allgemeine wohl zum zweck haben und nicht ein partikulares interesse. Die aktuelle diskussion um die zukunft der demokratie ist nur ein symptom dafür, dass die werte, die dem politischen geschehen eine perspektive verschaffen, selbst im streit stehen, für den es, so scheint's, keine regel mehr gültig ist und die gewalt scheidet als alternative aus.
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(01)    es wird vom verfassungskonsens gesprochen.
(02)
es ist eine fehlinterpretation des konsenses, wenn behauptet wird, dass die am politischen prozess beteiligten mit dem konsensgerede nur die faktischen konflikte überdecken wollen, weil die akteure im poltischen prozess unfähig sind, praktikable kompromisse mit aussicht auf dauer zu schaffen. Der politische kompromiss hat andere bedingungen als der verfassungskonsens. Im kompromiss wird versucht, gegensätzliche interessen kompatibel zu machen, der konsens, kompromisse zu wollen, ist die bedingung, dass ein kompromiss auf dauer geschaffen werden kann.        (n)<==//
(o)
ein sicheres symptom für die krise in der globalisierten welt(01) ist die beobachtung, dass die grundwerte, fundament der gesellschaftlichen ordnung, beliebig geworden sind. In jeder gemeinschaft gilt die regel, dass die grundwerte jenseits der diskussion stehen sollten und als geltend akzeptiert sind(02). Dieses gewissheit ist geschwunden und unter dem schibboleth: mehrheitsregel, werden auch die grundwerte dem votum der jeweiligen mehrheit unterworfen, die, ihre struktur analysiert, nur agglomerationen von gruppen sind, die gerade über die macht verfügen, bestimmte meinungen durchzusetzen. Es ist die verfügbare macht, die einzelne politiker dazu verleitet, auf kosten der jeweiligen minderheiten, regelungen als gesetz durchzudrücken, die nicht dem gemeinwohl verpflichtet sind, aber das partikularinteresse befriedigen. Einerseits wird der schein einer legitimität geschaffen, nämlich die entscheidung der >mehrheit<, andererseits wird die meinung einer gruppe, die tatsächliche mehrheit reräsentierend oder nicht(03), zu lasten der minderheit illegitim als gesetz durchgedrückt, auch mit gewalt, die weder legal ist noch legitim. Es gibt einen kanon von grundwerten, die keiner mehrheitsentscheidung unterworfen werden kann, weil der notwendige ausgleich, die teilhabe am recht, mit der mehrheitsentscheidung nicht bewahrt wird.
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(01)
bis 1989 war die globale welt nach dem ost/west-schema überschaubar sortiert, diese klarheit ist seit diesem epochendatum im schwinden und die debatte über die politischen strukturen der staaten reichen von den demokratisch/liberal verfassten staaten bis zu den autoritär/diktatorischen staaten, die unter dem einenden dach der UN zusammengesteckt sind. Die tendenz ist, dass die idee der demokratie immer mehr erodiert. Autokratische staaten, das ist empirisches wissen, neigen zur gewalt, um verfügbare macht weiter zu behaupten.     (o/01)<==//
(02)
über den kanon der grundwerte kann und muss gestritten werden, und es ist nicht immer klar, welche werte unabdingbar gelten sollen. Es gibt aber einen konsens, dass bestimmte grundwerte mit einer mehrheitsentscheidung nicht zur disposition gestellt werden können. Über diese grundwerte kann im politischen prozess nicht entschieden werden, gleichwohl wird als gegenstand eines diskurses über den kanon dieser grundwerte debattiert, es muss sogar darüber diskutiert werden, damit die grenzen klar bleiben, was im politischen prozess zu entscheiden ist und was nicht.    (o/02)<==//
(03)
auf das verfassungsreferendum vom 16.04.2017 in der Türkei ist hinzuweisen. Es bestehen erhebliche zweifel, dass die von der wahlkommision festgestellte mehrheit tatsächlich die geforderte numerische mehrheit der ja-stimmen ist. Wenn am zählergebnis zweifel bestehen, das ist brauch in demokratischen wahlen, dann muss, für die öffentlichkeit nachprüfbar, noch einmal gezählt werden.    (o/03)<==//           (o)<==//
(p)
das problem der mehrheitsregel wird kalkulierbar gemindert, wenn für die entscheidungen eine win/win-situation geschaffen ist. Die unterlegene minderheit muss das gefühl haben, durch die mehrheitsentscheidung nicht benachteiligt worden zu sein und die mehrheit soll die chance haben, den nutzen der entscheidung für sich einzukassieren. Das kann gelingen, wenn das gleichgewicht zwischen diesen ansprüchen realisiert wird und das ergebnis in engen grenzen von einer imaginäre mittellinie abweicht. D'accord, eine so organisierte gesellschaft mag als >langweilig< angesehen werden, aber das potential für konflikte, die mit gewalt ausgetragen werden, ist klein.       (p)<==//
(q)
jede entscheidung mit mehrheit ist manipulierbar, der grad der
manipulationen schwankt, abhängig von der realen situation, und so, wie die dinge stehen, wird kein argument ausgelassen, das die chance verspricht, die gewünschte mehrheit zu produzieren, den anspruch untermauernd, mit der angezeigten zahl die mehrheit erlangt zu haben(01). Mehrheiten werden von den machtgruppen und ihren führern organisiert. Prima vista kann das nicht ehrenrührig sein, weil der politische prozess in diesen formen organisiert ist(02), aber jenseits dessen, was im comment toleriert wird, gibt es praktiken, die an rechtsbruch grenzen und oft nur schamloser rechtsbruch sind(03).
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(01)
die phänomene der manipulationen sind nicht überschaubar und die mächtigen sind in ihren handlungen hemmungslos, wenn nur der zweck erreicht werden kann, dass mit der produzierten mehrheit das ziel auch erreicht ist, die macht weiter zu behaupten. Eine praxis ist, mehrheiten zu errechnen, sei's, dass solange gezählt wird, bis das amtliche ergebnis passt(*1), sei's, dass der zuschnitt der wahlkreise so gewählt wird, dass es für die gewünschte mehrheit reicht(*2) oder sei's, dass die wählerlisten gestaltet, vulgo frisiert werden(*3), um den schein der mehrheit zu erzeugen. Mehrheiten werden auch organisiert, indem das regelwerk der wahl kurzfristig geändert und/oder abweichend interpretiert wird(*4). Im vorfeld der wahl kann das legitim sein, aber das wird nur unter dem anschein von legalität erreicht, weil öffentliche kontrolle über den politischen prozess faktisch nicht gewährleistet ist. Das ist üblich in autokratischen staaten mit einer korrupten verwaltung(*5).
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(*1)
die wahl G.W.Bush's zum US-präsidenten 1999. Die auszählungen im staat: Florida, wurden solange wiederholt, bis ein gericht sich bereitgefunden hatte, das gerade ausgezählte als das richtig gestellte ergebnis zu bestätigen. Vieles sprach dafür, dass das richtige ergebnis de facto falsch ist.         (q/01/*1)<==//
(*2)
der zuschnitt eines wahlkreises wird im dunstkreis rechtlich möglicher manpulationen bewerkstelligt. Es ist ausgeschlossen, dass das resultat neutral sein wird, weil die rechnerische gleichheit der wahlkreise untereinander praktisch nicht möglich ist. Solange die toleranzmarge für abweichungen klein ist, sind diese verzerrungen zu akzeptieren.         (q/01/*2)<==//
(*3)
es wird immer wieder beklagt, dass die wahllisten unvollständig seien und/oder veraltet. Der eintrag in die wahllisten, d.h. das recht an der wahl teilzunehmen, wird, teils legal, teils illegal, entweder behindert oder gefördert, je nachdem wie die machtverhältnisse in der gesellschaft gerade verteilt sind.         (q/01/*3)<==//
(*4)
es wird über das verfassungsreferendum in der Türkei, 16.04.2017, berichtet, dass die wahlkommision im laufenden wahlvorgang die regel geändert hatte und, gegen das gesetz, erlaubte, auch nicht gestempelte wahlbriefe als gültig zu zählen. Im vorfeld des referendums waren in der unabhängigen wahlkommission vier vertreter durch regierungsbeschluss ausgetauscht worden. Die vermutung ist nicht unbegründet, dass die wahlkommission von der regierung: Erdogan, so besetzt wurde, dass der wahlbericht, wahrheit und dichtung, im sinn der regierung abgenickt wird.              (q/01/*4)<==//
(*5)
die lektüre der zeitungen, die über wahlen in anderen ländern berichten, lassen diesen schluss zu, pars pro toto Russland unter Putin.          (q/01/*5)<==//           (q/01)<==//
(02)
pars pro toto die parlamentarische debatte, deren zweck es ist, dass die abgeordneten ihre kollegen im stimmverhalten so beeinflussen, dass im ergebnis eine mehrheit festgestellt werden kann. Das ist teil des politischen prozesses, auch dann, wenn die sitten dieses diskurses viel zu wünschen übrig lassen.      (q/02)<==//
(03)
die grenzen legitimer einflussnahme sind dann überschritten, wenn der abstimmungsprozess durch administrative maassnahmen behindert und den wahlberechtigten faktisch die stimmabgabe unmöglich gemacht wird. Es war im rundfunk zu hören gewesen, dass beim verfassungsreferendum in der Türkei, 16.04.2017, der verhängte ausnahmezustand liess dies zu, über den wahltag wähler in arrest gesteckt worden waren. Die inhaftierten hatten damit kein recht an den wahlen teilzunehmen, sie waren de facto von der teilnahme ausgeschlossen(*1).
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(*1)
ein verfahren, das in der deutschen geschichte nicht unbekannt ist. Hitler hatte, um im Reichstag das ermächtigungsgesetz (24.03.1933) durchzubringen, die am 06.03.1933 gewählten abgeordneten der KPD, auch einige SPD-abgeordnete, einfach in die bereits eingerichteten KZ's gesteckt. Rechnerisch sank dadurch die 2/3-grenze für die erforderlichen änderungen in der verfassung.      (q/03)<==//       (q)<==//
(r)
effektiv sind auch die maassnahmen der machthaber, mit denen sie einfluss auf den politischen prozess der meinungsbildung nehmen. Die versuche der politischen gruppen sind ein teil des gesellschaftlichen diskurses, öffentlich auf den prozess der meinungsbildung im wahlvolk einfluss zu nehmen, aber wenn mit argumenten, die nicht überzeugen, die meinung nicht im gewünschten sinn beeinflusst werden kann, dann wird auf die struktur der meinungsbildung einfluss genommen und diese zweckgerichtet verändert. Das mittel der wahl ist traditional die zensur, aber rechtlich ist die offene zensur in den meisten staaten der globalisierten welt per gesetz ausgeschlossen, folglich sind es die formen der indirekten zensur, die als mittel gebraucht werden, um die gewünschte mehrheit in der wahl zu erzeugen(01), oder die gefällten mehrheitsentscheidungen der öffentlichen kontrolle zu entziehen(02). Diese praktiken ergänzen sich(03).
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(01)
zu zitieren ist der fall: Ungarn. Die ökonomische struktur der veröffentlichten meinung ist so durch gesetzesmassnahmen der regierung: Viktor Orban, verändert worden, dass keine zeitung und kein privater sender ökonomisch selbstständig arbeiten kann. Die öffentlichen auflagen sind so gestaltet, dass sie nicht als zensur interpretiert werden können, aber exakt die wirkung der zensur haben, nämlich die verbreitung abweichender meinungen zu unterbinden.       (r/01)<==//
(02)
zu zitieren ist der fall: Polen. Eine unabhängige verfassungsgerichtsbarkeit gibt es nicht mehr, weil die regierung: Jaroslaw Kaczynski, die besetzung des gerichts parteiisch umorganisiert hat und mit einen verfahrenstrick faktisch die rechtliche überprüfung der gesetze behindert(*1).
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(*1)
das gericht muss die eingereichten klagen in der kalendarischen ordnung abarbeiten, früher konnte das gericht nach eigenem urteil über die aktuelle relevanz der klagen entscheiden.       (r/02)<==//
(03)
die faktische einschränkung der pressefreiheit und die beschränkung der jurisdiktion gehören zusammen, gleichwohl unterschiedlichen bereichen zugeordnet. Es geht darum, dass die mehrheitspartei, die die mehrheit in einer wahl erlangt hatte, diese mehrheit gebraucht, um künftig ihre kontrolle durch die minderheit zu unterbinden. In der presse muss gesagt werden können, was an den entscheidungen der mehrheit nicht mit dem gesetz vereinbar ist und im streitfall muss der zuständige richter unbeeinflussbar urteilen können, was rechtlich erlaubt ist und was nicht. Derzeit liefern die EU-staaten: Polen und Ungarn, genügend hinweise, dass die regierende mehrheitspartei die rechtsordnung dann missachtet, wenn die legitime rechtsordnung ihrem interessen im wege steht.        (r/03)<==//         (r)<==//
(s)
es ist nicht allein die mehrheitspartei, die alles daran setzt, die erforderlichen mehrheiten zu schaffen(01), die minderheiten sind nicht weniger aktiv, wenn's gilt, die meinung der minderheit als mehrheit auszugeben(02). Die phänomenologie der verfahrenstricks ist weitgefächert und können durchmustert werden(03). Ich beschränke mich auf diese verfahren.

1. das palaverprinzip.
Es ist in seiner struktur unbestritten das angemessene verfahren, mit dem alle, die es betrifft, den erforderlichen konsens in einer streitfrage herstellen sollen und können. Wenn alle einem ergebnis zustimmen, dann kann, mit wirkung für die gesamtheit, das urteil nicht_falsch sein(04). In seiner handhabung ist das verfahren beschwerlich, aber das ergebnis kann keinen beschweren, weil jeder dem ergebnis zugestimmt hat(05). Die einstimmigkeit des votums, eine besondere form des mehrheitsprinzips, hat aber zur kehrseite, dass eine stimme genügt, die abschliessende entscheidung zu hintertreiben(06). Das palaverprinzip ist das wirksamste instrument der minderheit, seine meinung der mehrheit aufzunötigen(07).

2. das vetorecht.
Es ist die kehrseite des palaverprinzips, weil der minderheitspartei die macht eingeräumt ist, aus welchen gründen eines interesses auch immer, die mehrheitspartei unter druck zu setzen. Das motiv für das vetorecht ist die idee des schutzes. Der schwächere soll vor dem stärkeren geschützt sein, seine praxis erweist sich im horizont der gegensätzlichen interessen als potential der erpressung(08).

3. die techniken, den abschluss einer debatte zu verhindern und/oder hinaus zu zögern.
Das sog. filibuster täuscht einen kampf um das richtige argument vor, mit dem die meinung der mehrheitspartei, respektive die meinung der minderheit als legitim gerechtfertigt werden soll. Die grenze zwischen dem, was für die rationale erörterung eines problems notwendig ist, und dem, was mit irrationalen argumenten die notwendige entscheidung verhindern soll, ist fliessend. Wer das >filibustern< praktiziert, dem obliegt die beweispflicht zu erklären, dass er über das bessere argument verfügt.

4. der politische slogan: wir sind das volk.
Der ruf suggeriert eine mehrheit, die, wenn gezählt wird, mit der realen zahl dementiert ist. Das problem ist die unklarheit, wer faktisch die mehrheit repräsentiert. Sind es die rufer auf der demonstration oder ist es die schweigende mehrheit, die immer wieder mangels zahlen beschworen wird? Es sind vermutungen, nicht mehr, aber wer die chance hat, diese vermutungen in den politischen prozess zu implementieren, dem kann erhebliche macht zufallen(09).
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(01)

es ist auf die palette möglicher handlungen zu verweisen, die gemäss des mottos(=maxime): legal - illegal - scheissegal(=gewalt), im politischen prozess hinlänglich bekannt sind.     (s/01)<==//
(02)
es wird im politischen diskurs unterstellt, dass das abwehrende argument das bessere sei und das bessere argument repräsentiere folglich auch die mehrheit, allen denkbaren zahlen zum trotz. Diese interpretation ist falsch.      (s/02)<==//
(03)
es sollte beachtet werden, dass diese verfahrenstricks immer mit den techniken verknüpft werden können, mit denen die mehrheitspartei ihre mehrheiten absichert. Oft sind die techniken so eng miteinander verknüpft, dass es fasst gleich_gültig ist, ob die mehrheit und/oder die minderheit sich darauf beruft. Das palaverprinzip hat im vetoprinzip sein pendant.     (s/03)<==//
(04)
der terminus: nicht_falsch, wird in der bedeutung: illegitim, gebraucht. Die zustimmung ist das resultat einer autonomen entscheidung, die nicht abgezwungen sein kann.      (s/04)<==//
(05)
die praxis des entscheidens ist komplizierter, weil der entscheider abhängig ist von den interessen, in derem umkreis er letztendlich sein zustimmendes votum abgibt.      (s/05)<==//
(06)    das ist der kern des vetoprinzips.      (s/06)<==//
(07)
in der sogenannten graswurzelbewegung wurde das palaverprinzip angewendet, oft mit den entsprechenden erfahrungen in der gruppe, zerfallen in mehrheiten/minderheiten. An dem unvermögen, in einer sachdiskussion das pro und contra angemessen zu erörtern, sind diese gruppen letztendlich gescheitert, oft banal an der frage, wer den abwasch in der WG macht.     (s/07)<==//
(08)
es genügt, auf die jüngste geschichte des UN-sicherheitsrats in der >Syrienfrage(2012ff)< hinzuweisen. Mit geostrategischen erwägungen der fünf veto-mächte wird jede regung des moralischen gewissens ignoriert, ein zynismus, für den es in der historia nur wenige vergleichbare parallelen gibt.      (s/08)<==//
(09)
mit diesem trick wird auch das volk getäuscht, wenn die mehrheit das referendum ansetzt und die mittel verfügbar hat, das votum zu manipulieren.      (s/09)<==//       (s)<==//
(t)
es ist eine banale beobachtung, dass soziale gruppen in ihrem verhalten die tendenz erkennen lassen, immer dann an den alten regeln des entscheidens festzuhalten, wenn sie sich von der behauptung alter praktiken einen nutzen versprechen können, jenen nutzen nämlich, der in den nachteilen für andere sein korrelat hat(01). Das retardierende moment ist verstehbar, aber dieses moment kann nur dann funktionieren, wenn die beobachtbaren abweichungen von der regel beachtet werden und die abweichungen den bereich des tolerierbaren nicht überschreiten. Die konflikte sind programmiert, aber es gibt kein verfahren, das in die zukunft mit aussicht auf dauernden erfolg die konflikte händeln wird, und die realen auflösungen der konflikte bahnen sich, kurzgeschlossen, ihren weg in den formen der gewalt(02). Es mag sein, dass das resignierende >klein beigeben< der ohnmächtigen die konflikte mit den mächtigen, die falsche mehrheit repräsentierend, in ihrem übermaass von gewalt etwas mildern kann, aber die gewalt, die drohung mit gewalt genügt, den status quo als sicher erscheinen zu lassen - eine problematische  sicherheit, in der die mehrheitspartei sich wiegt, wenn sie die mehrheit ursurpiert hat.
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(01)
das kerninteresse jeder mehrheitspartei ist, den status quo zu erhalten, der bisher die mehrheiten verschafft hat. Das ist solange kein problem, solange der austausch der macht zwischen den gruppen austariert ist und die minderheit die reale chance hat, mehrheit zu werden(*1).
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(*1)
das ist die bedingung der herrschaft, die auf der ebene des staates mit dem terminus: demokratie, bezeichnet wird.
(02)
es genügt, auf die historia der revolutionen zu blicken, der ungezählten revolten und aufstände gegen die machtgruppen, die behaupten, die mehrheit zu repräsentieren.      (t)<==//
(u)
die bedingung des gesellschaftlichen friedens ist in der formel der goldenen regel fixiert(01). Möglich ist das handeln nach dieser maxime, wenn die vereinbarten regeln und verfahren eingehalten werden und die den verfahren zugrunde liegenden prinzipien respektiert sind(02). Es ist eine illusion zu hoffen, dass die welt, die gesellschaftliche realität, in der die menschen ihre existenz realisieren, einmal so beschaffen sein wird, dass keiner sich mehr genötigt sieht, den genossen zu täuschen, um's ein wenig besser zu haben, aber es ist notwendig, diese utopie zu denken, damit ein ziel real greifbar ist, das als maass für eine befriedete gesellschaft instrumentalisiert werden kann(03).
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(01)
meine formel der maxime lautet: was du nicht willst, das man dir (an)tut, das füge auch keinem anderen zu. Das prinip dieser maxime ist die wechselseitigkeit der ansprüche, die immer in einem zustand der gleichheit gehalten sein müssen. Real ist die gleichheit nicht erreichbar, aber dieser nullpunkt, der imaginiäre punkt auf der skala: 1-0-1, muss gedacht werden, damit die abweichungen von diesem punkt nicht jedes maass übersteigen.
(02)   eines der prinzipien ist das ideal der gerechtigkeit.
(03)
in dieser perspektive ist das ideal der gerechtigkeit zu denken(*1).
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(*1)   //==> mdb:(24)07/17.      (u)<==//
(v)
die berufung der mehrheit auf den sachzwang ist zumeist nur camouflage, weil die mehrheitspartei das interesse hat, sein interesse zu verbergen, um das interesse der minderheit brandmarken zu können(01). Der sachzwang, so genannt im jargon der politiker, hat sein fundament in der geltenden kausalität, die, akzeptiert von allen, die es betrifft, weder dem votum einer mehrheit unterworfen sein kann, noch den einwänden einer minderheit unterworfen ist. In den grenzen der kausalität muss entschieden werden, was die mehrheit der minderheit zumuten darf, wenn der soziale friede nicht gestört werden soll, und was die minderheit akzeptieren muss, wenn über das handeln entschieden wird, dessen zweck die bewältigung des existenz aller ist, die es betrifft.
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(01)
das problem kann wirkungsvoll an der debatte über den klimawandel demonstriert werden. Einerseits sind die veränderungen im klima ein faktum, das zu erkennen ist, solange der planet: erde, existiert, andererseits sind die gründe streitig, was die ursachen und die folgen der beobachteten fakten sind und sein werden. Das ist das feld der interessen und diese sind in der gesellschaft streitig.     (v)<==//
finis
stand: 18.10.01.
eingestellt: 17.07.01.

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