TEXTSAMMLUNG
das argument des monats
ausgabe: (37)01/21 //01-03/2021 januar-märz/2021
Roma locuta - eine illusion, aber in raum und zeit
nicht das letzte wort.
"Roma locuta, causa finita" - der streit, das ist erfahrung, geht
weiter - über generationen(a).
Das individuum als ich, sein genosse eingeschlossen, unterliegen
einer illusion, wenn sie hoffen, mit der entscheidung sei auch der
streitige fall entschieden. Die tatsache steht, dass eine
entscheidung gefallen war, mehr nicht. Die entscheidung hat fakten
gesetzt und eine neue situation ist geschaffen, in der andere
interessen vorrangig sind, interessen, die neue konflikte schaffen
können.
Das problem ist in zwei perspektiven zu beurteilen, die eng
miteinander verknüpft sind, aber getrennt gehalten werden sollten.
Einerseits ist mit der entscheidung, richtig oder falsch, eine
neue, eine andere situation geschaffen, in der die streitigen
interessen befriedet sein sollen. Andererseits ist mit der
entscheidung das potential gesetzt, das einen neuen streit
produzieren kann(b). Im
horizont dieser erfahrungen erscheint die feststellung banal, dass
es keine form von entscheidungen geben kann, mit der ein streit
abschliessend(auf ewig) entschieden sein wird, gleichwohl es
interessengeleitete praxis ist, den entschiedenen streit als
"suspendiert" zu händeln(c),
solange, bis die unentschiedenen gegensätze wieder aufbrechen. Im
blick auf diese erfahrung ist der schöne spruch, oben zitiert,
falsch, weil die bedingung, die eine entscheidung erforderlich
gemacht hatte, mit der entscheidung zwar geklärt, aber nicht
aufgelöst ist. Rom hat mit seinem spruch nur die bedingungen neu
formuliert, unter denen der alte grund ungelöst weiter wirksam
ist. Die entscheidung, die befrieden soll, perpetuiert den streit
in einer anderen form. Die logik dieser erfahrung ist gegründet in
der gesetzten kausalität(d).
Es sollte aber nicht ignoriert werden, dass mit der entscheidung,
die den streit abschliessend beenden soll, eine chance gegeben
ist, das miteinander der trennenden gründe in raum und zeit zu
harmonisieren. Die bedingung des erfolgs ist ein geheimnis, das in
der entscheidung des streits fundiert ist. Prima vista ist jede
entscheidung die trennung eines imaginierten ganzen in seine
teile, das eine affirnierend, das andere negierend, verbunden mit
dem wissen, dass das eine nicht gelten soll, das andere aber
gelten muss. Der blick des entscheiders auf seine entscheidung ist
ein anderer blick als der blick des anderen, für den die
entscheidung gelten soll. Das, was mit der entscheidung aufgehoben
sein soll, das ist mit der entscheidung perpetuiert, weil der
adressat der entscheidung von dieser entscheidung eine andere
vorstellung hat als der urheber der entscheidung(e). Dieser gegensatz ist nicht aufhebbar, es
sei, der adressat der entscheidung adaptiert die entscheidung
seines autors als seine eigne entscheidung. Dieser mechanismus,
als ein geheimnis erscheinend, kann mit dem terminus versöhnung,
fixiert werden, weil alle, die es betrifft, sich in autonomer
entscheidung für das eine oder das andere entschieden haben, sich
selbst bindend, an das entschiedene sich autonom bindend.
Die idee der versöhnung, gegründet auf einen anderen fundament,
ist die alternative zur entscheidung. In jedem moment seiner
gelebten gegenwart muss das individuum als ich sich entscheiden,
einerseits autonom in seinem forum internum, andererseits frei auf
dem forum publicum, im vereinbarten recht gebunden. Im
widerstreit, der in der versöhnung aufgelöst sein muss, steht
einerseits die bindung an die autonome entscheidung, die nur das
individuum als ich in seinem forum internum leisten kann, und
andererseits muss das individuum als ich auf dem forum publicum
entscheidungen realisieren, die mit dem recht vereinbar sind, auf
das sich alle, die es betrifft, sich geeinigt haben, frei von
jedem gewalttätigen zwang. Diese entscheidungen setzen als
leistung einen willen voraus, den alle, die es betrifft, ad
personam aufbringen müssen, wenn sie wollen, dass der streitfall
bereinigt werden soll. Dieser wille, den alle, die es betrifft,
aufbringen müssen, jeder für sich sich selbst absolut bindend,
kann, real in einer willenshandlung, mit keiner entscheidung des
je anderen erzwungen werden(f).
In der idee des rechts, den ausgleich der interessen sichernd, ist
die praxis gegründet, dass im verfahren der rechtsetzung
festgelegt ist, welche normsetzende entscheidung legitim sein soll(g). Mit dem verfahren,
korrekt angewendet, ist aber nicht das ziel zu erreichen, dass mit
der entscheidung, die den streit beenden soll, der streit auch
abschliessend aus der welt geschafft ist. Ein streit endet nur
dann, wenn das individuum als ich und sein genosse wollen, jeder
für sich, dass ihr streit beendet ist- überzählig ist der blick
nach Rom.
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(a)
der spruch, auf Augustinus zurückgehend, ist
allgemeingut geworden(01).
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(01) zitat nr.: 2323, in: Kudla,Hubertus: Lexikon der
lateinischen Zitate. 3500 Originale mit Übersetzungen und
Belegstellen. München: 2007 (3.aufl.). (a) <==//
(b)
d'accord, auch das ist eine entscheidung. Der
bejubelte friedensvertrag, von der siegreichen partei als
siegfrieden missverstanden, ist die quelle für neuen streit,
weil das gefühl dominant ist, dass man der gewalt gewichen ist
und wieder sinnt man auf rache. (b) <==//
(c)
der kompromiss ist eine form der streitentscheidung,
mit der partiell die streitpunkte unter abwägung der
fortdauernden gegensätze aufgelöst sind. Als element der praxis
etabliert der kompromiss einen modus vivendi, der einerseits die
lösung bestimmter streitfragen verspricht, der andererseits aber
die gründe für den fortwährenden streit nicht auflöst. Auch die
streitentscheidungen ex cathedra sind in der substanz
kompromisse, weil kein am streit beteiligter seine vorstellungen
von der auflösung des streits mit den beschränkten machtmitteln,
ihm verfügbar, in einer entscheidung gegen widerstand
durchsetzen kann. (c)
<==//
(d)
die begriffe: kausalität und zufall, sind zueinander
ein widerspruch. Auf der argumentebene der begriffe ist das
problem entschieden, unentschieden ist das problem auf der
argumentebene der phänomene. In der phänomenologie der
kausalitäten impliziert jeder grund eine bestimmte wirkung, mit
deren feststellung der zufall ausgeschlossen ist, aber das, was
real als zufall erscheint, das kann ein grund unter vielen
möglichen gründen sein, der instrumentalisiert wird. Nicht
anders zu beurteilen sind die phänomene des zufalls, in denen
jede möglichkeit impliziert ist, die, wenn der zufall real
geworden ist, ein ereignis sind, in raum und zeit jedes andere
ereignis ausschliessend - als ereignis ist der zufall das
ereignis und kein anderes. Auf der argumentebene der phänomene
ist jedes ereignis mit jedem grund austauschbar. Diese
austauschbarkeit schliesst aus, dass ein streit geschlichtet
werden kann, weil es möglich ist, ein zufälliges ereignis
entweder als neue norm auszuweisen, al gusto, oder einen
zufälligen grund zu behaupten, der ewiges nicht gewährleisten
kann(01).
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(01)
es ist kein zufall, dass die formel: "Roma locuta,
causa finita", im kontext einer theologie geprägt worden ist.
Die theologen, um glaubwürdig zu sein, müssen behaupten, dass
sie als vertreter des gottes die entscheidung ihres gottes(*1)
vermitteln, die nur eine abschliessende entscheidung sein
kann, mit der die endgültige lösung verkündet ist, de facto
aber stehen im fokus nur die interessen, die im geflecht der
machthabenden geklärt werden.
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(*1) machttechnisch ist dieser anspruch auf den papst
übertragen worden. (d)
<==//
(e)
ausgewiesen ist ein dilemma, das keine dritte
möglichkeit als ausweg zulässt. Der widerstreit von zufall und
kausalität, erscheinend in raum und zeit als dialektik, ist
nicht aufhebbar. Eine andere perspektive ist der versuch, in der
gesetzten kausalität den zufall einzuhegen, mit dem ziel, einen
modus vivendi zuschaffen, der als maasstab tauglich sein soll,
wahr und richtig zu unterscheiden, der aber nicht das maass ist,
einmal ex cathedra verkündet, mit dem entschieden wird, was
richtig ist und was falsch sein soll. (e) <==//
(f)
das fundament der streitschlichtung in den formen der
versöhnung ist das prinzip der anerkennung des anderen als
der_andere. Dazu andernorts en detail(01).
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(01) //==>INDEX/register:
stichwort: prinzip:_adaad_a.
(f) <==//
(g)
das verfahren der normsetzung, das fundament des
rechtsstaats, muss unbestritten sein. Die entscheidung der
normsetzung im unbestrittenen verfahren kann aber nur dann
gültig sein, wenn die anforderung erfüllt ist, dass jeder
bürger, fähig und ermächtigt, sich die norm in freier
entscheidung zu eigen machen kann(01). Die realitäten, in denen
die einschlägigen entscheidungen gefällt werden, sind andere.
Macht und gewalt bestimmen, was der gegenstand einer
entscheidung ist, die ergangen ist per order de mufti. Gewalt
kann vieles bewirken, aber nicht den abschluss des streits.
Dieser flammt wieder auf, wenn der druck der gewalt gewichen
ist, oder die gegengewalt paroli bieten kann. Gewalt und macht
bewirken zwar entscheidungen, aber sie befrieden nicht den
streit. Das ist anders, wenn die ordnung der herrschaft
gesichert ist, und jeder genosse, der herrschaftsordnung sich
frei unterstellend, sich sicher weiss, dass er nur zu dem
handeln und dulden gezwungen werden kann, zu dem er selbst
gesagt hatte: ja!
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(01)
den zusammenhang zwischen freiheit und notwendigkeit hat
Immanuel Kant hinreichend deutlich gemacht, wenn er schreibt:
"Meine äußere(rechtliche) Freiheit ist die Befugnis, keinen
äußeren Gesetzen zu gehorchen, als zu denen ich meine
Beistimmung habe geben können",(*1).
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(*1) Kant,Immanuel: Zum ewigen Frieden.Ein philosophischer
Entwurf. Königsberg: 1795(A),1796(B), BA22, in:
Kant,Immanuel: Werke. Bd.XI/p.204. Hrsg. von W.Weischedel.
Frankfurt am Main: 1969.
(g) <==//
finis
eingestellt: 21.01.01.
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