TEXTSAMMLUNG
das
fragment des monats
ausgabe (008)/08/2021/ fdm/21.008/ august/2021
Die gerechtigkeit - ein transitorisches phänomen.
Die gerechtigkeit, das ist in der tradition eine
konvention, wird in den debatten über das, was das gerechte sein
soll, gehändelt wie ein daseiendes weltding, das feststellbar
sein soll als dieses und nicht als jenes, gleich jedem anderen
ding der welt in raum und zeit. Dem realen dictum steht aber die
überlegung entgegen, dass das, was im moment der gelebten
gegenwart als gerecht festgestellt wurde, als ein factum der
vergangenheit in diese abgesunken ist, und, in einem anderen
moment der gelebten gegenwart, in den erinnerungen aller, die es
betrifft, als ungerecht erkannt wird, feststellungen, die
heftigst umstritten sind. Denkwürdig ist der befund, dass das,
was das maass sein soll, selbst der gegenstand des realen
streits ist.
Der widerstreit der meinungen ist verortet in den perspektiven,
die möglich sind, wenn die frage beantwortet werden soll, was
die gerechtigkeit entweder ist oder sein soll. Es ist eine
differenz, ob das, was die gerechtigkeit sein soll, begriffen
als das klärende maass zwischen den interessen aller, die es
betrifft, das resultat eines prozesses sein soll oder der
prozess selbst ist, in dem eine anwort gesucht werden kann. Der
prozess vollzieht sich in der zeiterfahrung zwischen dem, was
gestern war und morgen sein soll mit dem heute als nullpunkt auf
einer linie zwischen den zahlen: -1 und + 1.
Die meinung wird geteilt, dass die gleichheit das maass der
gerechtigkeit sein solle. Aber das, was prima vista plausibel
erscheint, das ist einerseits für den begriff: gerechtigkeit,
nicht unbeachtlich, andererseits aber nicht entscheidend. Die
gleichheit zielt ab auf die dinge der welt, die das_andere sind,
die gerechtigkeit aber ist das merkmal, das das individuum als
ich mit seinem genossen verbindet, zueinander der_andere seiend.
Der aspekt der gleichheit kann im vergleich der je
wechselseitigen interessen ein starkes argument sein,
gegenwärtig im symbol der waage, aber es kann im prozess der
sozialen beziehung zwischen dem genossen: B, und dem individuum
als ich: A, nicht das entscheidende argument sein, weil mit der
idee der gerechtigkeit interessen verknüpft sind, individuell
bestimmt, über die das individuum als ich, sein genosse
eingeschlossen, autonom entscheiden, interessen, die verschieden
sind und nur in ausnahmen gleich sein können. In der differenz
der interessen ist das wissen gegründet, dass in der gleichheit
der differierenden interessen das die gerechtigkeit normierende
maass nicht auffindbar sein kann, weil die gleichheit möglicher
interessen in raum und zeit kein stabiler, sondern eine
variabler faktor ist, der starke abweichungen vom statistischen
nullpunkt, die absolute gleichheit signalisierend, manifest
macht. Im prozess der sozialen beziehung können das individuum
als ich: A, und sein genosse: B, den punkt: 0 , nur
transitorisch durchlaufen, entweder in richtung der zahl: +1 ,
oder der zahl: -1 , die ideal gedachte gleichheit in eine neue
ungleichheit verändernd. Das problem der gerechtigkeit ist, die
zahl der abweichung vom idealen nullpunkt festzulegen, mit der
der genosse: B, und/oder das individuum als ich: A, der
überzeugung sein können, ihnen stehe das gerechte zur verfügung.
D'accord, es gibt konventionen, mit denen festgelegt ist, was
als ungerecht gilt, weil das prinzip der sozialen gleichheit
signifikant verletzt ist(a). Diese konventionen sind abhängig
von der macht, die das individuum als ich: A, und sein genossen:
B, unter sich aufteilen müssen. Das kann nur gelingen, wenn
beide sich auf einen modus vivendi verständigen, der jedem für
sich die gewissheit gibt, in der sozialen beziehung über das
gerechte verfügen zu können.
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(a)
das prinzip der sozialen gleichheit in der
gesellschaft ist dann nicht verwirklicht, wenn 1% der
gesellschaftsmitglieder über 99% der vermögenswerte verfügen
und sich 99% die verbliebenen 1% teilen müssen.
finis
stand:21.09.01.
eingestellt: 21.08.01.
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