TEXTSAMMLUNG
das fragment des monats
ausgabe (031)/31//2023/ fdm/23.031/ juli/2023

Autonomie und freiheit.

Das wort: freiheit, ist ein faszinosum. Der knecht beruft sich auf seine freiheit ebenso wie der herr. Nicht übersehen werden sollten die diktatoren und die demokraten, die den cantus firmus: freiheit, bei jeder gelegenheit anstimmen, passend/unpassend.

Es ist eine bestürzende beobachtung, dass das wort: freiheit, als passpartout gebraucht wird und als passpartout ist der terminus potentiell auch missbrauchbar; denn im schlachtruf: freiheit, geht das wissen unter, dass jede beanspruchte freiheit nicht grenzenlos ist, sondern gehändelt werden muss als eine gebundene freiheit(a); denn der freiheitsraum des einen ist reziprok eingeschränkt durch den freiheitsraum des je anderen. Der freiheitsanspruch des autokraten kann tödlich sein für den genossen, weil der autokrat den freien genossen neben sich nicht dulden kann. Der freiheitsanspruch des neoliberalen, auf den freien markt pochend, hat die verarmung des konkurrenzunfähigen marktteilnehmers zur konsequenz und der freiheitsanspruch des liberalen demokraten hat mit der maxime: laissez-faire, nichts gemein, weil in der gesellschaft mit dieser maxime die ordnung dem jeweils stärkeren anheim gestellt ist, das interesse darauf fokussierend, im eigenen machtanspruch die freiheit des schwächeren verschwinden zu lassen.

So wie die dinge stehen, scheint es ein aussichtsloses unterfangen zu sein, den begriff: freiheit, als ein versprechen zu bestimmen, jedem mitglied der gesellschaft das seine möglich zu machen.

Es ist ein moment der logik, dass in jeder denkbaren form von freiheiten der begriff: freiheit, einer causa bedürftig ist, mit der das individuum als ich in raum und zeit die phänomene ausweisen kann, die als begründung einer bestimmten freiheit tauglich sind. Die auswahl des gültigen grundes erneuert in jedem fall das böse spiel, eine letzte causa festlegen zu wollen, mit der der eigene freiheitsraum einerseits vergrössert werden soll und andererseits der freiheitsraum des je anderen verkleinert wird, der die machtmittel nicht hat, um seine causa durchzusetzen. Im widerstreit der macht erscheinen die realen freiheiten als spielsteine, die oft mit der gewalt verknüpft sind.

Das problem des begriffs: freiheit, real in den phänomenen der bürgerlichen freiheiten(b), ist rational dann auflösbar, wenn ein anderer gedanke hinzugenommen wird, dessen logik fundiert ist in der dichotomie der möglichkeiten: entweder das eine oder das andere - tertium non datur. Die idee der freiheit also nur eine frage des blinden zufalls? - nein! Wenn das modell der dichotomie: ja/nein, konstitutiv in der idee: autonomie des ich, um das moment: bindung, erweitert wird, dann gilt, wenn die entscheidung zwischen den möglichkeiten: a oder b, gefallen ist, dass das eine: a, gilt und das andere: b, nicht gelten kann. Mit der entscheidung ist der zufall in ein faktum transformiert, eine idee, die Ich mit dem terminus: autonomie des ich, markiere. Der grundgedanke der autonomie des ich ist, das sich das individuum, das das ich sein will, sich selbst das gesetz gibt. Aus seinem individuellen impuls schöpfend, keiner bedingung unterworfen, entscheidet es sich, entweder für das eine oder das andere, und wenn es sich entschieden hat, dann hat es sich selbst absolut an das eine: a, oder das andere: b, gebunden. Im akt der autonomen entscheidung, missverständlich als freie entscheidung klassifiziert, hat es sich ohne bedingung einerseits entschieden(c) und andererseits sich selbst autonom absolut an das entschiedene, immer eine position seiend, gebunden. Das, was als die "freie" entscheidung des individuums als ich erscheint, korrekt formuliert: die autonome entscheidung des individuums als ich, das ist die selbstbindung des individuums als ich, die absolut wirkt, aber nur relativ sein kann für den genossen.

In diesem sinn ist es falsch zu argumentieren, dass die autonomie des ich und die freiheiten des bürgers identisch seien. Die differenz ist strikt zu beachten; denn jeder kann, wenn er sich mächtig wähnt, den freiheitsraum des bürgers einschränken, gleich_gültig, ob legal oder nicht, die autonomie des ich aber kann der mächtige dem ohnmächtigen nicht nehmen, weil der mächtige keinen zugang zum forum internum des ohnächtigen hat. Er kann den ohnmächtigen zwar töten, aber er kann ihn nicht zwingen, seine autonomie als ich an ihn abzutreten.

Die frage der autonomie ist kategorisch entschieden, im streit aber bleiben die bürgerlichen freiheiten, dokumentiert in einem prozess der dialektik zwischen dem individuum als ich und seinem genossen.
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(a)
Immanuel Kant: "Niemand kann mich zwingen, auf seine Art (wie er sich das Wohlsein anderer Menschen dünkt) glücklich zu sein, sondern ein jeder darf seine Glückseligkeit auf dem Wege suchen, welcher ihm selbst gut dünkt, wenn er nur der Freiheit anderer, einem ähnlichen Zwecke nachzustreben, die mit der Freiheit von jedermann nach einem möglichen allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, (d.i. diesem Rechte des anderen) nicht Abbruch tut." (Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis. in: Kant,Immanuel: Werke. Bd.XI. p.145. Frankfurt am Main: 1969).  (a)<==// 

(b)     INDEX/register //==>stichwort: freiheit/die_bürgerlichen_freiheiten.  (b)<==// 
(c)
die entscheidung aus autonomie wird irrtümlich als freie entscheidung klassifiziert. Diese zuordnung ist falsch, weil im forum internum des individuums als ich die entscheidung aus autonomie nicht den katagorien: raum und zeit, unterliegt.  (c)<==//   
(finis)

stand: 23.08.01.
eingestellt: 23.07.01.
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