TEXTSAMMLUNG

die meinung des bürgers
ausgabe: 01/04 - januar-märz/2004    (bis juni/2004)

Reformen ja! - aber nicht diesen murks.

Es mag sein, dass das procedere der gesetzgebung formal noch der verfassung entsprochen hat, aber das ausbaldowern von regelungen im separée hat der demokratie in Deutschland 2003 das lebenslicht ausgeblasen. Da heisst es nur mal so locker, dass man sich um 1.300.000.000,00€ verrechnet habe (auf die nullen kommt es in den oberen etagen nicht mehr an), und die normen, später sind sie das recht, haben kunstfertig und beflissen die bürokraten der institutionen formuliert, die, weil die zeit nicht mehr ausgereicht haben soll, von den abgeordneten des Bundestages und den vertretern der Länder im Bundesrat nach den vorgaben der fraktionseinpeitscher ungelesen abgenickt werden (die dissidenten der SPD-linke sind fadenscheinige feigenblätter)(1).

Wie das verfahren so auch die sache. Man spart bei denen, die nichts mehr haben, um die millionen denen in den arsch zu geigen, die immer mehr haben, und nichts besseres wissen, als dieses kapital an den börsen zu verzocken. Und da entblödet sich ein Herr Müntefering(2) von der Schröder-SPD, die frohe botschaft verkündend, dass die halbierte steuerreform 0,6% an konjunkturaufschwung bringen werde - die ökonomieexperten, hochdotierte kaffeesatzleser liegen mit ihren prognosen regelmässig mit 1-2% daneben, und sie lassen die standardnotiz niemals aus, dass auf dem arbeitsmarkt erst ein reales mehr an BIP von mindestens 2% erste wirkungen zeige. Einst hatte der herr Schröder gesagt, als bundeskanzler wolle er sich an seiner arbeitsmarktpolitik messen lassen - wörter, die der herr heute als geschwätz von gestern beiseite schiebt. Es ist simples 1x1, dass die rechnung nicht aufgehen wird, wenn auf der steuerseite den habenden die millionen zugeschustert und auf der sozialen seite weggespart werden. Was unter dem stichwort: HartzIV(3), umgesetzt wird, das entzieht dem konsum unmittelbar die milliarden, die unter dem stichwort: vorgezogene steuerreform 2004, in den konsum gepumpt werden sollen. Auf der einen seite wird die statistik der sozialhilfeempfänger (und der davon mittelbar betroffenen) um eine 7-stellige zahl vergrössert, auf der anderen seite werden die neuen subventionen(4) im unteren bereich mit den gestiegenene kosten der sogenannten gesundheitsreform verrechnet, oder sie verschwinden in der börsenspekulation(5). Eine rationale wirtschaftspolitik ist das nicht, und mit der sozialen gerechtigkeit befasst sich die SPD der herrschaften Schröder, Scholz und Co. nicht mehr. Gerhard Schröder ist als kanzler unfähig. Es reicht nicht, dass der herr vor jahren an den gittern des bundeskanzleramtes in seligen Bonn gerüttelt und gerufen hatte, ich will hinein, so wenig es gereicht hatte, dass der herr Kohl 1982 seine strickjacke im amt ablegte und für sich behaglich 16 jahre eingerichtet hatte: ich bin bundeskanzler, basta! Ein politisches ziel, das in der strategie des machterwerbs und des machterhalts sich erschöpft, ist im ziel erledigt; von einem politiker, der seine verantwortung nicht auf erfolgreiche medienevents reduziert, erwarte Ich, dass sein wirken über den tag hinausreicht, indem er kenntlich macht, dass eine gemeinschaft von menschen mehr ist als ein tanzbär, der zur belustigung (zu wessen belustigung eigentlich?) auf dem neoliberalen markt vorgeführt wird. Dem herrn Kohl gebrach es daran, so wie es dem herrn Schröder daran gebricht.

anmerkungen:

(1) die PDS-abgeordnete Pau machte in einer geschäftsordnungsdebatte vor dem grossen abstimmungsshowdown darauf aufmerksam, dass sie das bündel an zu beschliessenden gesetzen in der faktisch verfügbaren zeit nicht durchlesen konnte und beantragte die vertagung der abstimmung um 3 tage, was die vereinigte mehrheit von regierungs- und oppositionsparteien ablehnte. Diese nachricht war beiläufig im WDR5 am 19.12. erwähnt worden, in der presse habe Ich darüber keine meldung zu gesicht bekommen. <--//

(2) nach dem ausgestrahlten originalton Münteferings im WDR5 am 15.12.  <--//

(3) das projekt: Hartz IV, enthält noch ein weiteres programm; Ich schätze es ein als das programm der gezielten pauperisierung des unteren gesellschaftsdrittels der BRD. In der BRD gibt es seit 1972/74 etwa keinen arbeitsmarkt mehr, auf dem die marktteilnehmer frei die bedingungen der arbeit aushandeln könnten. Der arbeitsmarkt ist ein mangelmarkt, auf dem das gesetz des stärkeren gilt. Die situation hat sich 2003 nur verschärft. Wenn in dieser situation der kündigungsschutz aufgelöst und das prinzip der tariflöhne beseitigt wird, dann wird für die schwächsten marktteilnehmer ein soziale abwärtsspirale in gang gesetzt, die seinerzeit, Karl Marx selig, theoretisch beschrieben hatte, und die im sogenannten Manchesterkapitalismus realität gewesen war. Dass die Marx'sche prognose in ihrer theoretischen schärfe im 20. jahrhundert nicht weltweit realität geworden war, ist liberalen theoretikern und politikern zu verdanken, die unter dem stichwort: soziale marktwirtschaft, dem 1x1 rechnung trugen, und auf eine angemessene verteilung des gesellschaftlich erarbeiteten reichtums pochten und dies partiell auch durchgesetzt hatten. Diese politik ging unter, als neoliberale ideologen wie Friedman und Hayek den song des kapitals anstimmten und das kapital willige politiker rekrutieren konnte, so die dame Thatcher und die herren Reagan und Kohl. Die neoliberale maxime der niedrigsten kosten bei billigsten arbeitslöhnen und höchsten gewinnen für die besitzer des shareholdervalue zerstört die fundamente, auf denen eine zivilisierte gesellschaft wachsen kann, von der alle profitieren können - Adam Smith selig kannte diesen zusammenhang noch. Nachdem Kohl die schützenden zäune eingerissen hatte, rundet die Schröder-SPD in der Bundesrepublik Deutschland diese entwicklung ab; das triumvirat der union, die dame Merkel und die herren Stoiber und Koch werden es danken. <--//

(4) die vorgezogene steuerreform 2004 ist eine neue variante der steuersubventionen. Medienwirksam wird behauptet, dass die subventionen gekürzt werden (so die pendlerpauschale, die gedeckelt wird), faktisch aber schafft diese steueränderung neue subventionstatbestände. Man gleicht mit der senkung der steuerlast die härten der sogenannten gesundheitsreform aus, die, um einen fetischisierten beitragssatz zu senken, die nachfragenden versicherten zugunsten der anbieter mit den umverteilten kosten belastet. Der blick auf die neuen steuertabellen (Ich stütze mich auf eine graphik in der Frankfurt Rundschau/ 18.12.2003, p.4) erfasst drei bemerkenswerte phänomene: zum ersten, dass die prozentwerte der entlastung im untersten bereich sehr hoch sind, aber bereits in der nächsten und den folgenden klassen sind sie in etwa gleich; ein lediger zwischen 12-20000€ wird mit 41,8% entlastet, zwischen 20-30000€ mit 11,5%, alle höheren (die tabelle endet mit 100000€) zwischen 7,2-5,2%. Zum zweiten, dass die reale entlastung der steuerbürger genau im umgekehrten verhältnis steht. Der bis 12000€ schwere steuerbürger wird mit 118€ entlastung abgespeist, wer 100000€ auf die waage bringt, darf mit 2442,32€ entlastung rechnen - d.h. sein vorteil ist rund 20x höher, wenn er real die konsumgüter kauft, obgleich seine entlastung nach prozenten ca.7x geringer ist. Das ist höhere mathematik, die nur noch denjenigen zugänglich ist, die davon profitieren; von der entlastung der steuermillionäre schweigt diese tabelle dezent. Zum dritten: der steuerbürger, der alleinerziehend ein kind zum rentenzahler auffüttert, wird vom herrn Eichel, wenn er so in der mittellage zwischen 14-30000€ jahresbruttolohn hat, mit 0,8-0,9% bedient, bei der höchsten klasse spendiert der herr der finanzen schon 4,9%, in absoluten zahlen heisst das: unten gibt's 14,40, oben 1860,35€, die vergleichszahl ist 129x mehr. Man sieht, in der verteilung der neuen subventionen verfährt die vereinigte regierung/opposition wie gehabt, in den worten des volkes: der teufel scheisst auf den grössten haufen.
<--//

(5) damit die spekulation künftig noch besser flutscht, hat die regierung Schröder (von einem protest der opposition ist mir nichts zu ohren gekommen) die spekulation in Hedgefonds an den deutschen börsen gesetzlich erlaubt. Der witz dieses spielchens ist, dass man nicht auf die steigende kurse spekuliert, um so seinen reibach zu lasten dritter zu machen, sondern man macht das viel eleganter mit den fallenden kursen, und wenn diese firmen pleite spekuliert sind, dann fegt der finanzminister mit den milliarden der steuerbürger die scherben zusammen. Das hat mit der klassischen ökonomie Adam Smith' nichts mehr zu tun, und seinem späteren antipoden, dem alten Marx, war in seiner kritik des kapitalismus dieser dreh nicht einmal als möglichkeit eingefallen. Das ist spelunkenpoker, der sich als Monacokultur aufgeilt. <--//


stand: 04.07.15.

zurück/übersicht   //
zurück/bibliographie   //
zurück/textsammlung/überblick   //