TEXTSAMMLUNG

die meinung des bürgers
ausgabe: 07/04 juli-september 2004

Narrenhände

Früher sagte man: narrenhände beschmieren tisch und wände - was waren das doch für harmlose zeiten, als die erwachsenen sich darüber ärgerten, dass der immer missratene nachwuchs saubere tischplatten und frisch verputzte wände in ihrer wüsten einfarbigkeit modifizierte und die öden flächen in ihrer subkutanen aggressivtät mit zeichnungen, sprüchen und farbklecksen bändigte, die mit den verfügbaren mitteln wie bunte kreide, bleistift oder tinte angebracht wurden - manch einer probierte auch sein neues messer aus, dem das holz des tisches ausgeliefert war, das sich aber an den harten mauern unschöne scharten holte. Richtig - juristisch ist das sachbeschädigung, und manch ein übeltäter machte auch unbequeme bekanntschaft mit der obrigkeit; denn strafe muss sein, so sagte man.

Was aber ist das, wenn die manager vieler öffentlicher verkehrsunternehmen und ihre eingekauften subunternehmer die schönen grossen fenster der modernen und zweckmässigen fahrzeuge mit werbung zukleistern und auch noch dreist behaupten, die einnahmen aus der werbung würden die fahrpreise niedrig halten, die die öffentliche hand mit grossen summen jahrein-jahraus subventioniert? - Sachbeschädigung nach StGB scheidet aus, weil die täter als eigentümer oder nach BGB als ihre handlungsgehilfen nicht in frage kommen; die beschädigten fahrzeuge sind keine fremde sache, und die eigenen dinge kann bekanntlich jeder nach gutdünken ruinieren.

Was dann? Dummheit? - da kommt man der sache schon näher. Objektiv betrachtet ist das bekleben der fenster mit werbung eine sachwidrige nutzung von flächen. Die menschheit hatte jahrhunderte benötigt, um von den kleinen und blinden butzenscheiben zu funktionsfähigen fenstern zu kommen, die grooss und sicher den innenraum vom aussenraum vor den unbillen des wetters schützen, das tageslicht nahezu ungehindert in den raum fallen lassen und dem, der drinnen ist, den blick nach draussen ohne störende objekte freigibt. Seit ca.10 jahren sind die manager der öffentlichen verkehrsbetriebe am werk, die, neoliberal gestylt, meinen, alles an ihren fahrzeugen in werbeflächen umfunktionieren zu dürfen, um diese gewinnbringend, so sagen sie, am markt der nachfragenden werbeindustrie anzudienen. Der öffentliche auftrag dieser verkehrsbetriebe aber ist, die bedürfnisse der bürger nach mobilität zu befriedigen, und die öffentliche hand zahlt hohe subventionen, um im interesse aller den verkehr mit kleinen privatfahrzeugen in den ballungszentren in grenzen zu halten. Zu den aufgaben dieser öffentlichen verkehrsbetriebe gehört es nicht, die fahrzeuge in rollende litfassäulen umzuwidmen, die, öffentlich hoch subventioniert, den profit der werbebranche vergrössern, und den fahrkomfort der benutzer in einer weise einschränken, der den tatbestand eines sachmangels der angebotenen transportleistung erfüllt, und folglich die rückbehaltung des fahrpreises rechtfertigt. Es ist schon erstaunlich, mit welcher chuszpe die manager arrogant, frech und dumm behaupten, dass die aufgeklebten werbefolien auf den fenstern die sicht des benutzers nach draussen nicht behindern würden und auf ein gutachten des TÜV verweisen, das beweise, dass die sicht für die fahrgäste nicht beeinträchtigt werde - So? wenn das den tatsachen entspricht und die maxime gilt, jeden flecken eines fahrzeuges als kostbare werbefläche zu vermarkten, um geld zu machen, warum haben dann diese klugen manager, so fragt man sich, noch nicht den befehl gegeben, auch die windschutzscheibe beim fahrer mit werbung zuzukleben? Und, die clevere logik dieser herrschaften auf die spitze getrieben, so erstaunt es doch, dass es diese herrschaften, die zwingende logik der optimierung der einahmen immer im blick, bisher unterlassen haben, auch die rollflächen der fahrreifen mit werbefolien zu verschönern. Aber gemach, nicht einmal der durchgeknallsteste werbefritze ist zu diesem schwachsinn fähig, und die polizei achtet immer noch auf das erforderliche minimum an fahrsicherheit für die beförderten personen, aber dem benutzer der fahrzeuge, die für die serviceleistung des ÖPNV zahlen, muten diese herrschaften den werbedreck auf den fenstern zu, von dem die benutzer der fahrzeuge - und das ist die innenansicht des skandals - als adressaten auch noch ausgeschlossen sind. So werden fahrgäste verhöhnt, und diese verhöhnung erfüllt die tatbestände der beleidigung und der nötigung. Der werbedreck auf den fenstern ist eine beleidigung, weil die manager die fahrgäste, im jargon der werbesprüche kunden, zum frachtgut degradieren, das von A nach B gekarrt wird, und für dieses privileg auch selbst noch zu zahlen haben; der werbedreck auf den fenstern ist nötigung, weil der bürger, der, wenn er ein bestimmtes ziel zu einer bestimmten zeit erreichen will oder erreichen muss und auf die öffentlichen verkehrsdienstleistungen angewiesen ist, keine chance hat, sich den zumutungen durch die werbeverdreckten fahrzeuge(1) zu entziehen.

Eigentlich ist im prinzip nichts dagegen zu sagen, dass die verfügbaren flächen eines fahrzeugs, die geeignet sind, für die werbung in gebrauch genommen werden. Pragmatisch betrachtet kann das für alle ein vorteil sein, und es gibt fahrzeuge, die demonstrieren, dass die unterschiedlichen interessen aller beteiligten miteinander verknüpft werden können, ohne das andere dadurch genötigt und beleidigt werden. Das wird aber nur dann glücken, wenn die verantwortlichen, die entscheiden, die rangordnung der werte und ziele beachten, und nicht neoliberal d'accord jedem versprechen eines shareholdervalue nachlaufen. Es gibt grenzen des zumutbaren, und wer diese grenzen der zumutungen überschreitet ist dumm. Die werbung auf den fenstern der fahrzeuge des ÖPNV(2) ist eine solche grenzüberschreitung.

anmerkungen:
 

(1) ein anderer fall ist das ärgerliche scratching, mit dem jugendliche die fenster der fahrzeuge traktieren, und diese so in ihrer ordentlichen funktion beeinträchtigen. Das ist sachbeschädigung, die unbefugte an fremdem gut zu verantworten haben, und die dafür auch mit den entsprechenden sanktionen belegt werden. Den vandalismus kann man beklagen, aber letztlich ist die gesellschaft der dummheit dieser täter ohnmächtig ausgeliefert, so lange die medien und die werbung mit ihrem schwachsinn den intellektuellen horizont der täter verhängen. Damit würde sich der kreis schliessen. Die manager der öffentlichen verkehrsbetriebe machen es diesen jugendlichen doch nur vor....  <--//

(2) es ist ein anderer fall, wenn ein privatmann meint, sein fahrzeug mit werbung ästhetisch aufrüsten zu müssen. Das ist seine privatsache, und berührt den anderen nicht in seiner wahlfreiheit, in dieses fahrzeug einzusteigen oder nicht. <--//

stand: 04.10.21./ 04.07.15.

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