TEXTSAMMLUNG

die meinung des bürgers
ausgabe: 10-12/04 oktober-dezember 2004  (und 01-03/05 januar-märz 2005)

Die Schröder-jobs - oder wie die soziale vernunft in einem euro versenkt wird.

Herr Clement, bei herrn Schröder als bundesminister für arbeit beschäftigt, hat im gewürge um die reformen des arbeitsmarktes den 1-Euro-job in die debatte geworfen. Ich vermute aber, dass weder er der erfinder dieses zauberinstrumentes gewesen sein dürfte, noch dass er als verantwortlicher für diese erfindung in seinem amtsbereich haftbar gemacht werden kann. Den medienkracher ersonnen hat irgendein ministerialer in seiner amtsstube, der, beim mahl in der kantine, seinem vorgesetzten mit dieser fantasie beglückt hatte. In einem minister-memo dürfte dieser vorgesetzte diener die idee seinem herrn in der vorlagemappe abgelegt haben, worauf diesem herrn, der minister Clement, die ersehnte erleuchtung zuteil geworden ist, an der er auch als ausweis seiner unvergleichlichen tatkraft auch unverzüglich die öffentlichkeit teilhaben liess. Verantwortlich aber für die realisierung dieses projekt ist der herr Schröder, der als bundeskanzler die reform des arbeitsmarktes zur chefsache gemacht hat.

In einer ersten reaktion wurde das projekt als "Reichsarbeitsdienst in neuem Gewand"(1) qualifiziert; Clement protestierte entrüstet(2). Der herr minister hätte besser geschwiegen, sich dafür aber ein wenig in der geschichte umgesehen. Historische vergleiche sind immer problematisch, aber die assoziationen, mit denen in den vergleichen operiert wird, verweisen zumeist auf strukturen des denkens, die solche vergleiche zumindest plausibel machen und in ihrer plausibilität gelegentlich, wie Ich meine, auch aufklärend wirken können. Es fällt auf, dass der vergleich: reichsarbeitsdienst/1-Euro-job, drei parameter enthält, die gleich sind: 1. das akute gesellschaftliche problem (arbeitslosigkeit). 2. die alimentation der arbeitslosen mit geringfügiger zuzahlung für aufgenötigte arbeit. 3. das gemeinwohl als rechtfertigung. Ich stelle klar, dass jeder vergleich der nationalsozialistischen führerpolitik mit der demokratischen gesetzgebung in der BRD unangemessen und historisch falsch ist(3), aber Ich werde das fatale gefühl nicht los, dass heute ebenso gelogen wird wie damals gelogen wurde. Der historische zweck des reichsarbeitsdienstes war es gewesen, die gesellschaft für den von Hitler geplanten krieg zu konditionieren, die reformen, die die regierung Schröder mit der vereinten opposition Merkel/Westerwelle unter dem etikett: Hartz IV, durchzieht, werden die pauperisierung eines bedeutenden teils der gesellschaft zum ergebnis haben. Über Hitlers betrug diskutiere Ich nicht, weil sein zweck nur mit gewalt durchsetzbar gewesen war, und die gewalt ist in der politik nicht diskursfähig; über den betrug der regierung Schröder und anderer ist zu diskutieren, weil die gesellschaft noch nicht in die lager der ganz reichen und der ganz armen zerfallen ist, aber zerfallen wird, die in ihrer substanz politikunfähig sein werden(4).

Um was geht es bei den 1-euro-job's? Als instrument gegen die massenarbeitslosigkeit werden arbeitsverhältnisse geplant, die den 1-Euro-jobber befähigen sollen, auf dem ersten arbeitsmarkt sich wieder eine chance zu verschaffen. Man sagt auch, dass dem langzeitarbeitslosen eine chance geboten werde, sich wieder an eine geregelte arbeit zu gewöhnen(5). Faktisch laufen die gesetzlichen vorschriften ab 1.1.2005 aber darauf hinaus, den 1-Euro-jobber auf eine vollzeitstelle zu verpflichten, die mit einem aufschlag von ca.160-180€ pro monat auf das Alg II entlohnt wird. Die fessel der sozialhilfe bleibt bestehen mit allen rechtlichen einschränkungen, die einem normalbürger nicht zugemutet werden, und die ein hohn auf das gleichheitsprinzip der verfassung sind(6). In der veröffentlichten meinung rechnet man vor, dass mit dem 1-Euro-job ein williger sozialhilfeempfänger auf gut 1000€ kommen könne, was doch, vergleicht man diesen wert mit der stütze, gleich ob nach dem alten regelsatz der hilfe zum lebensunterhalt oder dem neuen Alg II, eine deutliche besserstellung sei(7).

Ich bestreite nicht, dass die zusammenlegung von arbeitslosenhilfe und sozialhilfe für manchen alten sozialhilfeempfänger eine verbesserung seiner bisherigen misere sein kann, aber für alle arbeitslosen, die künftig nach einem jahr aus der arbeitslosenversicherung herausfallen werden, bedeutet das neue Schröder-recht eine substanzielle verschlechterung ihrer gesellschaftlichen chancen. Sie werden zu einer verfügungsmasse degradiert, die die etablierten der gesellschaft nach bedarf instrumentalisieren können. Mit der parole: Deutschland müsse am markt wieder wettbewerbsfähig werden, nutzen die manager der konzerne jede chance, um, unter dem vorwand, die produktionskosten zu senken, den shareholdervalue zu vergrössern. Wer den blick auf die realitäten im gesellschaftlichen lebensprozess noch nicht verloren hat weiss, dass diese programme nur mit dem lohndumping durchzusetzen sind(8). Es ist nicht bestreitbar, dass sowohl die produktivkraft vieler menschen(9) als auch die produktivität vieler arbeitsverhältnisse(10) beschränkt ist, sodass nach dem prinzip der zahl: 1, der wert dieser arbeitsleistung anders bestimmt werden muss, als er in den üblichen situationen des gesellschaftlichen lebens bestimmt wird, für die die situation der konkurrenz durchaus beförderlich sein kann. Wer diesen teil der gesellschaft aber erbarmungslos dem gesetz der konkurrenz unterwirft, der raubt diesen mitgliedern der gesellschaft ihre würde, auf die jeder in einer demokratischen gesellschaft ein von der verfassung garantiertes recht hat(11).

Ein skandal sind diese 1-Euro-jobs, weil sie von einer partei durchgesetzt werden, die, wieder in der macht, unter dem bundeskanzler Schröder ihre tradition verkauft und vergessen hat. Das "S" für sozial im parteilogo der SPD ist genauso obsolet geworden wie das "C" für christlich im logo der CDU/CSU und das "F" für freiheitlich im logo der FDP, die anderen beiden der drei grossen parteien, die zumindest im historischen rückblick über lange zeit das bewahrt und ausgebaut hatten, was die verfassungsväter und verfassungsmütter 1949 auf den weg gebracht hatten.

------------------------------------------------------

Anmerkungen:

(1) so wird der Thüringer DGB-chef Frank Spieth in einer meldung der Frankfurter Rundschau, 20.08.2004, zitiert.     <--//

(2) cf. ebd. Frankfurter Rundschau, 20.08.2004       <--//

(3) die ideologischen voraussetzungen der nationalsozialisten verbieten jeden versuch einer gleichsetzung der politischen ordnung von Hitlerdeutschland mit der staatlichen ordnung der Bundesrepublik, obgleich nicht vergessen werden sollte, dass der faschismus und die davon abgeleiteten weltanschauungen ihr geistiges material sowohl den bürgerlich-liberalen als auch den sozialrevolutionären traditionen des 19.jahrhunderts eklektisch entlehnt hatten, die das ideelle fundament der demokratischen ordnung in der BRD sind. Die differenz liegt allein in den konsequenzen, die die faschisten wie die liberalen demokraten aus den geschichtlich gewordenen ideen gezogen hatten.    <--//

(4) noch ist der konsens allgemein gültig, dass die gewalt keine maxime der politik sein kann. Faule eier auf den bundeskanzler Schröder, so wie kürzlich in Wittenberge geschehen, sind keine legitimen methoden im politischen streit, aber, und dieser aspekt scheint mir in der entrüstung über das geschehene untergegangen zu sein, es wäre eine form von dummheit und beschränktheit, wenn dieses ereignis nicht auch als ein symptom gedeutet würde für die möglichkeiten, die aufbrechen werden, wenn der zorn der getäuschten die grenzen des konsenses aufbricht und in gewalt umschlägt, weil die betrogenen sich nicht länger mit der gebetsformel abspeisen lassen: zu Hartz IV gibt es keine alternative.   <--//

(5) es ist zynismus, wenn die aus dem arbeitsprozess freigesetzten auch noch dafür verantwortlich gemacht werden, dass sie die veränderungen im arbeitsmarkt praktisch nicht mehr nachvollziehen können und folglich es verlernt haben, sich auf diesem markt noch angepasst zu bewegen.     <--//

(6) man sagt, die sozialhilfe sei eine hilfe für den bedürftigen. Es ist daher konsequent, wenn die bedürftigkeit definiert wird und grenzwerte bezüglich der rechtlichen verfügbarkeit über kapital per gesetz festgelegt werden. Das instrument der grenzsetzung ist nicht zu kritisieren, wohl aber sind die verfahren kritisch zu prüfen, mit denen festgestellt und sichergestellt werden soll, dass die hilfebedürftigen die festgesetzten grenzen auch nicht überschreiten. Es ist zu konstatieren, dass die hilfebedürftigen dem generellen verdacht unterliegen, dass sie, um vorteile zu lasten der gemeinschaft einzustreichen, falsche angaben machen. Es ist aber eine binsenweisheit, dass die ehrlichkeit der bürger nicht zu hoch veransschlagt werden darf, wenn sie den vorteil haben und der staat der geschädigte ist, und in dieser hinsicht gibt es zwischen den reichen und den armen keine prinzipielle differenz. Die gesellschaft belügt sich selbst, wenn bei den armen erbarmungslos die öffnung aller taschen verlangt und durchgesetzt wird, und die reichen mit dem steuergeheimnis abgeschottet und, wie kürzlich unter dem finanzminister Eichel geschehen, auch noch mit einer amnestie für steuerhinterziehung bei laune gehalten werden. Dabei ist es ein offenes geheimnis, dass diejenigen, die ihre steuererklärung gestalten können, dem staat ein vielfaches von dem vorenthalten können, was ein sozialhilfeempfänger beim staat je ergaunern könnte. Mich erstaunt es immer wieder, dass, von den finanzministern undementiert, über die jahre in der öffentlichen diskussion die zahl: 300 milliarden DM (in Euro ist die zahl nur kleiner), zitiert wird, die dem staat jährlich an steuern vorenthalten werden. Ich halte die ziffer für zu grooss, aber im zweistelligen milliardenbereich dürfte diese zahl sich schon bewegen, wie vor einem jahr der Bundesrechnungshof bemängelt hatte*. Offenbar sind das grössen, an die sich kein finanzminister mehr herantraut, obgleich auf diesem felde viel für die sanierung des maroden staatshaushaltes getan werde könnte.
----
* zusatz: bericht des Bundesrechungshofes vom 09.09.2003. Dazu mehr in meinem argument des monats: Der zerfall der zivilgesellschaft, anm.9 -->ausgabe 10/03 okober-dezember/2003      <--//

(7) in der veröffentlichen meinung ist man mit den rechenexempeln ziemlich flott, und die musterrechnungen bei mustermann und musterfrau kommen ja auch ziemlich überzeugend daher. Aber schaut man sich diese zahlenwerte genauer an, dann zeigt sich schnell, dass ihr aussagewert nur bedingt gültig ist; denn verglichen werden immer nur einzelne parameter der neuen gesetzgebung, nicht aber die gesamtsituation des menschen in seiner gesellschaft. Da relativieren sich die 1000€, und die misere der betroffenen wird sichtbar.    <--//

(8) der Siemenskonzern hatte kürzlich den weg gewiesen, wie künftig die löhne der arbeitnehmer im markt gestaltet werden sollen. Mit den 1-Euro-jobs wird ein staatlich garantierter niedriglohnsektor geschaffen sein, in den jeder arbeitnehmer abgeschoben werden kann, der für den arbeitgeber nicht mehr profitabel ausbeutbar ist. Das reformierte arbeitsrecht der agenda 2010 wird darauf ebenso abgestellt sein, wie der für die 1-Euro-jobs noch geltenden klausel des gemeinwohls von den neoliberalen sprachakrobaten der rechte spin noch verpasst werden wird, um die sicherung des shareholdervalue zum vorrangigsten ziel des gemeinwohls zu avancierend.   <--//

(9) Ich denke an die besonderen situationen der behinderten. Der behinderte, gleich welcher art seine behinderung auch sein mag, kann physisch nicht die leistung erbringen, die die gesellschaft als norm gesetzt hat, auch dann nicht, wenn er diese anforderungen erfüllen will. Diesem muss die gesellschaft als ganze rechnung tragen.
<--//

(10) Ich denke an alle arbeitsverhältnisse, in denen die zeit als konstante nicht manipulierbar ist. Ein kellner kann, wenn er zur mittagszeit den gästen das mahl serviert, in der verfügbarbaren zeit nur eine begrenzte anzahl von gästen zu deren zufriedenheit bedienen. Man kann ihn auf einen akkord verpflichten, aber ob die beteiligten dann auch zufrieden sein werden, das kann aus erfahrung bezweifelt werden.     <--//

(11) das ist ein problem, und wie könnte es gelöst werden? - Die interessengruppen wie arbeitgeber und gewerkschaften können das nicht unter sich aushandeln, weil auf grund ihrer interessen ihre anteile an der macht in der gesellschaft ungleich verteilt sind. Dieses problem kann nur der starke staat auflösen, der regeln setzt, indem er die gesellschaftlich notwendige arbeit dem konkurrenzdruck entzieht und maasstäbe des vergleichs setzt, die der sache angemessen sind, nicht aber den renditeerwartungen von shareholdern. Ohne eine umverteilung des in der gesellschaft erarbeiteten mehrwerts ist das nicht möglich. Es gab einmal in der BRD(alt) den konsens, lang ist's her und noch viel länger schon vergessen, dass die besteuerung der bürger nach ihrer leistung zu erfolgen habe. Das derzeit geltende steuerrecht, von kanzler Kohl geschaffen und von herrn Schröder fortgeführt und verfeinert, verfährt offensichtlich nach dem alttestamentlichen spruch, wer hat, dem wird gegeben; der volksmund sagt es präziser und drastisch: der teufel scheisst immer auf den grössten haufen.     <--//
finis

stand: 04.10.22./05.04.15.

zurück/übersicht   //
zurück/bibliographie   //
zurück/textsammlung/überblick   //