TEXTSAMMLUNG

die meinung des bürgers
ausgabe: (18)09-12/2012 september-dezember/2012 /(blieb stehen bis 04/2013)

Der mindestlohn - seine logik ökonomisch und politisch betrachtet.
 

Die diskussionen um den mindestlohn sind zumindest in der Bundesrepublik Deutschland eine unendliche geschichte. Mit logik haben die debatten nichts tun, mit ökonomischer vernunft wenig, aber viel mit den interessen der lobbyisten, die kein argument auslassen, wenn ihr ziel ist, die einführung eines gesetzlichen mindestlohns hinauszuzögern. Sie wissen, dass zeit geld ist, nämlich das geld der anderen, das sie in die eigene tasche stecken.

Folgendes ist einem bericht der Frankfurter Rundschau zu entnehmen(a). Ein wissenschaftlicher beirat des wirtschaftsministeriums, besetzt mit "gut drei Dutzend Hochschulehrern", "lehnt die Einführung einer deutschlandweit einheitlichen Lohnuntergrenze ab". Die experten meinen, dass "ein einmal eingeführter Mindestlohn zum Spielball politischer Interessen würde". Und weiter: "Bei einem flächendeckenden Mindestlohn drohe eine Politisierung der Lohnfindung. Diese gehöre aber in die Hände der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände".

Die wiederholung eines falschen arguments, das sollte geläufig sein, macht dieses argument nicht richtig. Und wenn die absicht bestimmend ist, die eigenen interessen zu verbergen, dann wird unverfroren das gespenst: politische interessen, bemüht. Die theoretiker der politischen ökonomie sollten es eigentlich wissen, dass die arbeit, wenn sie erbracht werden soll, zumindest soviel an ertrag erbringen muss, dass die existenz des arbeitenden gesichert ist, der sich die subsistenzmittel, die für die erhaltung seiner arbeitskraft unbedingt nötig sind, sich mit dem entgelt für die geleistete arbeit verschaffen kann(b). Der grenzwert ist bestimmt durch die fakten der ökonomie und politik, für den grenzpunkt ist der terminus: mindestlohn, im gebrauch(c). In der politischen öffentlichkeit ist anerkannt, dass die tarifparteien in der Bundesrepublik Deutschland zum ersten schon immer lohnuntergrenzen vereinbart haben und zum zweiten hat der staat mit dem begriff: steuerliches existenzminimum, ein instrument in der hand, das die untergrenze des zu versteuernden einkommens mit einer zahl fixiert. Der skandal in der Bundesrepublik Deutschland ist, dass einerseits die tarifparteien nicht fähig sind, das existenzminumum für jeden staatsbürger in allgemeinen tarifverträgen verbindlich festzulegen(d), und dass der staat, repräsentiert durch die damen/herren: politiker, andererseits nicht willens ist, das existenzminimum realistisch zu definieren und per gesetz festzulegen(e). Mit dem unterlassen, einen mindestlohn gesetzlich zu fixieren, unmittelbar von jedem arbeitnehmer einklagbar, ist eine situation geschaffen, in der die starken zu lasten der schwachen einen sonderprofit erzielen können, der von allen gezahlt werden muss(f); denn der staat ist verpflichtet, das zum existenzminimum notwendige aus öffentlichen mitteln zuzuschiessen.

Am markt hat der mindestlohn die funktion, den marktwert der arbeit zu definieren, der, vom arbeitnehmer einklagbar, vom arbeitgeber zu zahlen ist(g). Es ist ein konstitutives moment der bürgerlichen freiheiten, dass keiner, der arbeit vergibt, gezwungen sein kann, den marktwert der arbeit in der fassung des gesetzlichen mindestohns zu zahlen. Wer das nicht will - gut! - allein die arbeit, die er getan haben will, die muss er selbst tun. Er muss gezwungen werden können, den marktwert der arbeit zu zahlen, die er bei dem anderen einkaufen will.
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(a)

"Röslers Berater lehnen Mindestlohn ab", in: Frankfurter Rundschau, 24.08.2012,p.13. Die agentur: Reuters, wird als quelle des berichts genannt.  <==//
(b)
vom gewinn ist noch nicht die rede. Es ist selbstverständlich, dass in der betriebswirtschaftlichen rechnung der grenzwert zwischen nutzen und kosten kalkuliert wird, das sollte auch für den arbeitenden menschen gelten. Übrigens ist dieses kalkül auch in der natur wirksam. Das lebewesen kann sich nur dann in der existenz halten, wenn es genügend nahrung findet, auf dauer die bilanz mindestens auf null haltend.  <==//
(c)
die konstitutiven merkmale des begriffs: mindestlohn, sind durch variablen bestimmt, die als variable zwar definiert sind, deren wert aber mit einer zahl nicht absolut festlegbar ist. Über diese variablen muss im diskurs rational gestritten werden und die zahl, die als sozial tolerierbar erkannt werden soll, wird sich, wenn es gewollt ist, immer festlegen lassen. Das problem ist, welche variablen es sein sollen, die in das kalkül einbezogen werden müssen, um mit dem begriff: mindestlohn, rational operieren zu können. Es gilt die erfahrung, dass das existenzminimum nicht durch das brot allein definiert werden kann, aber über alles, was mehr ist als das sprichwörtliche brot der bibel, kann gestritten werden(01).
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(01) in diesem essay werde Ich nicht darüber reflektieren, was die essentials eines sozial akzeptierten existenzminimums sein müssen. Auch werde ich keine bestimmte zahl für einen mindestlohn propagieren. Diese erwägungen sind teil des sachdiskurses, für den das fundament unbestritten sein muss. Wenn der konsens über den streitigen grenzpunkt gewollt ist, dann werden sich pragmatisch auch kompromisse formulieren lassen, die für alle, die es betrifft, akzeptabel sind.  <==//
(d)
das ritual der tarifverhandlungen, periodisch wiederkehrend, ist nach dem recht des stärkeren organisiert. Der starke diktiert, zu fügen hat sich der schwache, auch dann, wenn alle daten anzeigen, dass die zahl zu niedrig taxiert ist(01).
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(01) in der Bundesrepublik Deutschland werden tariflöhne gezahlt, die den lohnabhängigen nötigen, ergänzende leistungen aus Hartz IV zu beantragen. Das kann nicht richtig sein.  <==//
(e)
das individuum als ich, das physisch und psychisch fähig ist, sich mit seiner arbeit in der existenz zu halten(01), muss sich das brot mit seiner arbeit verdienen können. Es wird nicht bestritten, dass das individuum als ich, das, aus welchen gründen auch immer, physisch und/oder psychisch gehindert ist, die durchschnittliche arbeit zu leisten, nur das als lohn erhalten kann, das der faktisch geleisteten arbeit äquivalent ist. Einerseits ist es schlichter ökonomischer unsinn, den arbeitgeber zu verpflichten, mehr als den realen wert der geleisteten arbeit zu zahlen, andererseits ist die gemeinschaft(02) verpflichtet, die differenz zwischen dem wert der real geleisteten arbeit und dem unabdingbaren existenzminimm mit den verfügbaren mitteln der gemeinschaft auszugleichen.
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(01)
die termini: normalbürger und/oder vollwertiges mitglied der gemeinschaft, sind dem verdacht ausgesetzt, "not political correct" zu sein. Es ist ein faktum, "political correct", dass es menschen gibt, die ohne die hilfe des anderen nicht überleben können. Die differenzen in der leistungsfähigkeit, keiner sozialen wertung unterwerfbar, markieren die sogenannte normalität in der gesellschaft und die sogenannten abweichungen als gegensatz. Diese gegensätze den bedingungen des marktes ohne ausgleichendes korrektiv auszusetzen, ist ökonomisch kontraproduktiv, sozial nicht überbietbar zynisch.
(02)
mit dem terminus: gemeinschaft, sind sowohl der verband der sozialen gruppe(*1) bezeichnet als auch der staat.
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(*1)
der begriff: gemeinschaft, ist, so wie der begriff im politischen diskurs gebraucht wird, nicht präzis definiert. Ich gebrauche den begriff: gemeinschaft, als oberbegriff, der zwei unterbegriffe zusammenfasst, die in ihrer funktion gegensätzlich sind. Ich bezeichne diese begriffe mit den termini: der verband der sozialen gruppe und der staat. Ausgehend von der unterscheidung: oikos und polis, die Aristoteles in die politische theorie eingeführt hatte, kommt dem verband der sozialen gruppe, grob gekennzeichnet, die funktion der familie zu, dem staat die funktion des modernen staates(+1).
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(+1)  Richter,Ulrich: Die dimensionen des politischen. Argumente: 2.42.06-10. //==>014:das_politische.
(Hinweis: die C-fassung wird noch redaktionell bearbeitet. Es ist geplant, die C-fassung bis zum 1.4.2013 zu publizieren.)   <==//
(f)
die unterlassung, einen mindestlohn per gesetz festzulegen, ist der fortdauernde versuch, die arbeitgeber zu subventionieren(01). Die lücke zwischen dem gezahlten lohn und dem festgestellten existenzminimum ist ein faktum und diese lücke muss aufgefüllt werden. Was der arbeitgeber an vorenthaltenem lohn in die eigene tasche steckt, das wird vom staat ausgeglichen. Das ist eine form  ungerechtfertigter bereicherung, die der staat, präziser, die damen/herren: politiker, nicht nur dulden, sondern durch unterlassen nicht zum eigenen schaden gezielt fördern.
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(01) diese subventionierung einer bestimmten klientel ist in keinem öffentlichen haushalt offen als subvention ausgewiesen. sie sind als sozialeistungen im etatposten: soziales, versteckt, und erscheinen in den transferzahlungen, die das fehlende zum existenzminimum auszugleichen, das zu sichern der staat gesetzlich verpflichtet ist.  <==//
(g)
in den debatten um den gerechten lohn sollten zwei argumentebene strikt voneinander unterschieden werden. Auf der einen argumentebene ist die sicherung des existenzminimums zu erörtern, auf der anderen argumentebene kann um die gerechte verteilung des gesellschaftlich erarbeiteten mehrwerts gestritten werden. Die verteilung des mehrwerts(01) kann den regeln des marktes unterstellt sein(02) und der preis der arbeit wird nach der regel von angebot und nachfrage in tarifverträgen festgelegt, die von den marktteilnehmern, vertreten durch die arbeitgeberverbände und gewerkschaften, auszuhandeln sind. Es ist vernünftig, wenn der staat sich auf seine ordnungsfunktion beschränkt und regeln definiert, die allgemein gültig sind, regeln die praktikabel auf den ausgleich der gegensätzlichen interessen abzielen.
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(01)
klarstellung. Der mehrwert ist der teil der arbeitsleistung, der über das zur existenz notwendige hinausgeht. Erst im mehrwert der arbeit ist der genuss des lebens möglich, das durch die arbeit gewonnen wird.
(02)
Ich sage: kann, und widerspreche den neoliberalen theoretikern, die muss sagen. Es gibt vernünftige gründe, die den markt als den besseren ort der verteilung knapper und begehrter güter ausweisen, aber diese einschätzung kann nur dann gelten, wenn der markt funktionsfähig ist, das heisst, wenn die ungleichheit der marktteilnehmer auf eine eng begrenzte marge um den theoretischen nullpunkt beschränkt ist. Die märkte der welt heute erfüllen diese bedingung nicht(*1).
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(*1) Richter,Ulrich: Der markt als begriff und die phänomene der märkte. //==>In: www.ur-philosoph.de  //==>bibliographie //==>verzeichnis //==>textsammlung //==>argument des monats //==>(26)11-12/2011. <==//
finis
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stand: 13.04.27.
eingestellt: 12.09.22.
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