TEXTSAMMLUNG
die meinung des bürgers
ausgabe (20)01-03/2014/ januar-märz/2014
 

Das schreckgespenst: mitgliederbefragung, oder die angst der damen/herren: politiker, vor dem votum des volkes.
 

Es erstaunt immer wieder, mit welchen argumenten eine politische kontroverse ins zwielicht gestellt wird, wenn diese nicht in das konzept der damen/herren: politiker, passt. Im aufbrechenden streit wird kein argument ausgelassen, passend und auch nicht, um eine kampagne zu inszenieren, von der die protagonisten auf dem theater sich einen vorteil versprechen. Das letzte beispiel ist das mitgliedervotum der SPD zum koalitionsvertrag, den die Union und die SPD ausgehandelt hatten, das, eher ein zweckbündnis aus der not betrieben, in guter kürzelmanier auch schon sein beiwort weg hat, die GroKo(01).

Nach der Bundestagswahl(22.09.2013) hatten die unterhändler der SPD es als klug, die gegner sagen: als gerissen, eingeschätzt, die parteibasis in den entscheidungsprozes einzubinden und das parteivolk über die annahme oder ablehnung des ausgehandelten koalitionsvortrages entscheiden zu lassen. Das ist, wie's dem bürger im staatskundegrundkurs immer wieder eingebleut wird, gute demokratische praxis, aber, statt den genossen grosses lob für ihren demokratischen wagemut zu zollen, gab's kleinliche kritik und so wurde auch eifrig die meinung lanziert, das votum der parteibasis könne die abgeordneten ihrer gewissensfreiheit berauben und einem imperativen mandat unterwerfen(02). So weit - so gut oder schlecht, das ist eine frage des politischen standpunkts.

Der blick in das gesetz fördere die rechtskenntnis, ein rechtssatz, der in der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster kolportiert wurde(03). Den akteuren im streit sei empfohlen, in das GG zu schauen und, kurzgeschlossen, sei die einschlägige passage auch gleich zitiert: "Sie ((das ist "alle Staatsgewalt")) wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen ((...)) ausgeübt"(Art.20II2GG). Jeder zweifel sollte ausgeräumt sein(04), aber, und das ist das merkwürdige an dieser sache, alle, die an diesem streit mitgewirkt haben, wussten um die haltlosigkeit ihrer bedenken und dennoch beteiligten sie sich an diesem streit.

Es ist keine neue erkenntnis, dass den approbierten staatsdemokraten, den damen/herren: politiker, die direkte demokratie seit eh und je verdächtig ist. Sich in das mandat wählen lassen, das ist noch zu ertragen, dass aber das volk auch noch in der sache, dem geschäft nämlich, durch abstimmung unmittelbar mitentscheiden will, das heisst doch, mit verlaub, die demokratie übertreiben. D'accord, es ist nicht notwendig, den streit über die vor- und nachteile einer repräsentativen und/oder direkten demokratie in der breite zu diskutieren; denn das perfekte staatssystem kann es nicht geben und die strukturelemente der repräsentativen oder der direkten demokratie haben, abgestellt auf das zu lösende problem, ihre unbestrittenen vorteile, aber auch ihre nachteile. Es gibt sachprobleme, die besser, das heisst effizienter, von einem kleinen gremium entschieden werden, besetzt mit fachleuten, die das zu lösende problem beurteilen können, aber nicht in jeder politischen frage ist auf das urteil der fachleute sicherer verlass. Das sind fragen, für die das votum aller, die es betrifft, in der sache angemessener ist, weil alle die verantwortung für die entscheidung tragen. Es sollte darüber gestritten werden, ob es zweckmässig ist, das bis jetzt geltende system von wahlen und abstimmungen auf der bundes- und der landesebene zu ändern. Ich denke, dass die bürger der Bundesrepublik Deutschland bis dato die streitfrage gut gehändelt haben und das votum der SPD-basis ist ein gutes argument, das instrumentarium der direkten demokratie auszuweiten, aber es sollte nicht übersehen werden, dass die aktivitäten der staatsbürger bescheiden sind, wenn in anderen fragen, nicht unwichtig für das politische leben, entschieden werden soll(05).
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Anmerkungen:
(01)

das alles ist nun auch schon wieder historia und geschichte. Die neue bundesregierung, wieder unter der alten leitung der frau Merkel, hat, während Ich diesen text komponiert habe, die erste arbeitssitzung absolviert. Das votum der SPD-basis ist eindeutig gewesen: über 70% beteiligung und zustimmung. Das ist ein faktum, das die kritik an dem gewählten verfahren widerlegt hat.    <==//
(02)
Stefan Hebel, Frankfurter Rundschau(02.12.2013), schreibt: "Am Donnerstag dann hatte das 'Handelsblatt' den Leipziger Verfassungsrechtler Christoph Degenhardt aufgetan, der die Befürchtung äusserte, ein mächtiges Mitgliedervotum drohe die Abgeordneten im Sinne eines 'imperativen Mandats' zu binden und der Gewissensfreiheit zu berauben"(*1).
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(*1) Ich hatte versucht, den zitierten artikel im "Handelsblatt" einzusehen. Das war mir nach vielen versuchen im internet nicht gelungen. Die homepage des Handelsblatt's war nicht auffindbar gewesen und das, was Ich gefunden hatte, das gab über das gesuchte keine auskunft. Die versuchte kontaktaufnahme per e-mail mit der redaktion war negativ, weil das absenden der mail mit einem code bewehrt war, den das system nicht zur verfügung gestellt hatte. Ich lasse es dahingestellt sein, ob Christoph Degenhardt sich mit der zitierten fassung geäussert hat. Aus anderen quellen war mir diese meinung auch zu ohren gekommen..    <==//
(03)
den satz: der blick in das gesetz fördert die rechtskenntnis, habe Ich des öfteren in den rechtswissenschaftlichen diskursen zwischen 1980 und 1985 gehört. Es soll das geflügelte wort eines damals bekannten rechtsprofessors gewesen sein. Eine bestätigung für diese information habe Ich bisher nicht gefunden, also gilt die regel: auch wenn die sache nicht wahr ist, so ist die sache doch gut erfunden..   <==//
(04)
das Bundesverfassungsgericht hat die sache entschieden (eilentscheidung,07.12.2013). Die praktische ausgestaltung des satzes in der form der gesetzgebung ist lückenhaft. Bisher hat der gesetzgeber es vermieden, auf der bundesebene solche abstimmungen zuzulassen. Das ist eine politische frage, die hier nicht weiter zu diskutieren ist. .    <==//
(05)
kürzlich war in Berlin ein volksentscheid über den rückkauf der vor jahren privatisierten kommunalen wasserwirtschaft gescheitert, weil das erforderliche beteiligungsquorum von 25% verfehlt worden war. Das problem dieser abstimmungen ist die lethargie des bürger, politisch tätig zu werden. Solange die verfahren der repräsentativen demokratie funktionieren, ist es vernünftig die mittel der direkten demokratie nicht auszuweiten; denn gefahr ist nicht in verzug, wenn die bürger darauf achten, dass die gewählten mandatsträger, die damen/herren: politiker, ihre pflicht erfüllen..   <==//
finis

stand: 14.04.21.
eingestellt: 13.12.31.

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