TEXTSAMMLUNG

das zitat des monats
ausgabe: 04/02 april-juni2002

text:
 

Die kunst rechtfertigt nichts.

    Marina Picasso, nichte von Pablo Picasso
    zitiert nach: El País, 30.01.2002, p.56 : El arte no justifica nada.


kommentar:
 

Es ist üblich, kunst und moral zu verknüpfen, etwa in der weise: der grosse künstler muss auch ein guter mensch (gewesen) sein; bequemer scheint es aber zu sein, die genialität mit der verruchtheit zu verknüpfen. Das eine wie das andere hat in der sache keine zureichende begründung.

Richtig ist, dass die moral und die kunst wichtige aspekte menschlicher existenz sind. Ohne moral ist keine gesellschaftliche ordnung möglich, die dem individuum als ich in der gemeinschaft mit seinen anderen sicherheit gibt; ohne kunst liesse diese existenz sich nicht von der anderer lebewesen unterscheiden. Der unzulässige argumentative schritt aber ist die verknüpfung des einen mit dem anderen, indem das eine durch das andere kausal erklärt und gerechtfertigt wird.

Pablo Picasso war unstreitig ein genie, als mensch vielleicht ein miststück; Marina Picasso, seine nichte, hatte darüber berichtet*, der versuch aber, die bilder und plastiken des künstlers mit seinem sozialen verhalten erklären oder sein soziales verhalten mit diesen kunstwerken rechtfertigen zu wollen, ist immer das werk derjenigen, die solche verknüpfungen behaupten. Post festum werden beziehungen hergestellt zwischen den bewunderten kunstwerken und dem zumeist nicht öffentlich bekanntem handeln des künstlers; es werden kausalitäten konstruiert, die das eine mit dem anderen erklären sollen. Ich bestreite nicht, dass es da beziehungen gibt, die offenkundig sind, z.b. Picasso's bild: Guernica, und sein politisches handeln, aber Ich bezweifle, dass zwischen der komposition des bildes und dem erscheinungsbild seines politischen handelns eine kausalität der form: wenn - dann, plausibel konstruiert werden kann. Die komposition des bildes folgt anderen gesetzen als das handeln eines individuums als ich auf der politischen bühne. Als Picasso Guernica malte bestimmten die gesetze der harmonie die anordnung der bildelemente auf dem bild - an den vorstufen ist das demonstrierbar; und soweit emotionen, die durch die politischen ereignisse evoziert sein können, das aesthetische urteil bestimmten, sind es vorgänge im forum internum des künstlers, das für jeden anderen verschlossen ist. Diese vorgänge, sobald sie sprachlich fixiert und vom künstler geäussert worden sind, gehören nicht mehr seinem forum internum an, sondern es sind objekte für andere, die damit nach ihrem urteil umgehen. Nicht anders ist das politische und das soziale verhalten des künstlers zu beurteilen. Picasso hatte sich auch zu streitfragen der politik geäussert, und sein renommee als künstler verschafften diesen meinungen auch die gehörige öffentliche resonanz, wobei Ich offenlasse, wer wen für seine zwecke instrumentalisiert hatte. Diese auftritte unterliegen dem kalkül der macht, der der künstler ebenso ausgesetzt ist wie der politiker.

Die rechtfertigung des sozialen einschliesslich des politischen handelns durch die kunst - merkwürdig, die relation vice versa betrachtet, wird nie erörtert - ist zwar ein bekanntes phänomen, aber die häufigkeit der versuche steht in einem direkten gegensatz zu den erfolgen. Die kunst, was immer es auch sein mag, bedarf keiner rechtfertigkeit, und ihre nützlichkeit wird durch motive bestimmt, die die kunst immer nur als ein mittel zum zweck betrachten. Der zweck der moral ist allein, dem konkreten handeln eines individuums als ich das maass und damit seine legitimität zu vermitteln. Gegenstand der moral ist ein konsens über normen, auf die sich diejenigen, die es betrifft, verständigt haben, und die für alle uneingeschränkt gelten sollen. Entscheidend hierfür ist der wille derjenigen, die einen bestimmten konsens als für sich geltend akzeptiert haben. Ich schliesse damit nicht aus, dass für den einen oder anderen aesthetische überlegungen den willen zum konsens leiten können, aber entscheidend ist das nicht. Zwar kann der konsens aesthetischen normen genügen, aber daraus, dass das normensystem den gesetzen der harmonie genügt, kann nicht abgeleitet werden, dass darum das normensystem auch gelten muss. Es ist daher begreifbar, dass es menschen gibt, die als künstler genial, in ihrem moralischen verhalten aber inakzeptabel sind, so wie es andererseits menschen gibt, die moralich ohne fehl und tadel sind, künstlerisch aber banausen. Wie das ich sich entscheidet ist in seiner autonomie gegründet.

Zusatz: Ich verkenne keinesfalls, dass jeder in der bürgerlichen gesellschaft zwängen unterliegt, die die idee der autonomie des ich ad absurdum zu führen scheint. Ich denke aber, dass an der unterscheidung: autonomie des ich versus bürgerliche freiheiten, festgehalten werden sollte, wenn der diskurs den bedingungen rationalen argumentierens genügen soll**.
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*      cf. auch: Spiegelinterview mit Marina Picasso, Der Spiegel 40/2001.p.240-241; Marina Picasso:  Und trotzdem eine Picasso". München: 2001
**    Ulrich Richter: Die begründung der ratio im horizont der für das ich unentscheidbaren alternative: ratio/nicht-ratio.
in: www.ur-philosoph.de/003:ratio/begr. argumente: arg.1.-4.5; text: *abs.:001-058; subtext: 01/st-34/st.


 

stand: 02.06.28.

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