TEXTSAMMLUNG
zitat des monats
ausgabe: 01/03
januar-märz/2003

text:

"Das Prinzip 'Gleicher Lohn für gleiche Arbeit' ist heute keine realistische These mehr, sondern Wunschdenken."
Peter Hartz (Arbeitsdirektor des Volkswagen-Konzerns und Berater der Regierung Schröder(1998-2002))
qu.: Der Spiegel 48/2002, p.32 (interview p.31-33)


kommentar:
 

Zitate sind fragmente, die von einem anderen zu einem neuen ganzen zusammengefügt werden. In dieser gestalt hat das zitat ein eigenrecht, für das der zitator* die verantwortung hat, ohne dadurch den zitierten aus seiner verantwortung zu entlassen.

Die sogenannten realitäten, die Ich beobachten und beschreiben kann, sind das eine, ihre bewertung aber ist etwas anderes, und genau das verwechselt Herr Hartz, wenn er ein prinzip der sozialen ordnung, konkretisiert in einer utopie, mit eben dieser sozialen realität vergleicht und als wunschdenken abmeiert.

Unbestreitbar benennt Herr Hartz ein mächtiges interesse in der gesellschaft, das darauf abzielt strukturen in der gesellschaft zu schaffen, die einem teil der gesellschaft -es ist immer der kleinere- die früchte der arbeit aller auf kosten des anderen teils der gesellschaft zuschanzen soll. Unbestreitbar sind auch die offenkundigen erfolge weniger, sich unter dem schein des rechts das eigentum der anderen unter den nagel zu reissen - pardon, sich anzueignen (was keinen unterschied macht). Der blick auf die statistiken der welt zeigt, in welchem maasse reichtum und armut ungleich verteilt sind, nicht nur in der sog. Dritten Welt, sondern auch im sog. reichen Deutschland. Und ebenso unbestreitbar ist, dass es unter den menschen ein gefühl und auch ein wissen um die ausgleichende gerechtigkeit gibt, ohne die eine gewaltfreie, zumindest eine gewalteingrenzende gesellschaft weder denkbar noch realisierbar ist.

Eine politik, die der realität angemessen ist und darin dieser realität gerecht werden kann, muss diese bedingungen in ihr kalkül einbeziehen: einerseits die gier der menschen auf kosten der anderen zu leben, den starken wunsch der menschen nach ausgleichender gerechtigkeit anderersseits. Die menschen müssen praktisch lösungen erproben, die den bedingungen wechselseitig angemessen sind. Das ist in der praxis keine leichte und vor allem keine bequeme aufgabe, weil das maass, nach dem die gier einerseits beschränkt, andererseits die gerechtigkeit realisiert werden soll, immer in streit sein werden. Was soll die forderung konkret bedeuten: gleiche arbeit - gleicher lohn? Das keinen einwand duldende mathematische prinzip: 1 = 1 , ist in der sozialen wirklichkeit immer nur annähernd durchsetzbar, weil der wert eines goldklumpen und der wert eines schweines nur über den konsens der beteiligten, des verkäufers wie des käufers, als gleich gesetzt wird. Dieser handel kann nur dann zustande kommen, wenn beide, jeder für sich, das gefühl leben können, das ihnen zustehende erhalten zu haben, also wenn jeder sich autonom für den konsens entscheiden konnte - und wenn nicht? Dann ist die transaktion das diktat des stärkeren. Ich bestreite nicht, dass in der sozialen realität die verfügbaren freiheiten für alle beschränkt sind; nolens volens müssen die menschen manchen wunsch als unrealisierbar ablegen, aber diese zwänge können nicht das prinzip einer ausgleichende gerechtigkeit aushebeln, das in der utopie des gleichen lohnes für gleiche arbeit formuliert ist. Wenn dieses maass beseitigt werden sollte und verloren geht, dann werden auch die besitzenden ihrer zusammengerafften reichtümer nicht froh sein können.... Der beraubte sinnt auf rache, die rache muss der räuber fürchten; eine zivilgesellschaft ist auf diesem grund nicht möglich. Das fundament der zivilgesellschaft ist der ausgleich der interessen, und - so scheint es mir - an dem willen zum ausgleich fehlt es heute.

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Um die einordnung des zitats meinen adressaten zu ermöglichen dokumentiere Ich die ganze passage:
Der Spiegel: Die Gewerkschaften sind wieder Interessenwahrer der Arbeitsplatzbesitzer?
Hartz: Das Prinzip 'Gleicher Lohn für gleiche Arbeit' ist heute keine realistische These mehr, sondern Wunschdenken. Europaweit gibt es bei Entgelten und Arbeitszeiten selbst der Stammbelegschaften bereits jetzt erhebliche Abweichungen. Tatsache ist, dass es auch bei den Gewerkschaften unterschiedliche Meinungen gibt. In der Frage der Entlohnung haben sich die konservativen Flügel durchgesetzt. <--//


stand: 03.04.01.

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