TEXTSAMMLUNG

zitat des monats
ausgabe: 07/03 - juli-september/2003

text:

"Ausschliesslich für die herkömmliche Landesverteidigung gegen einen konventionellen Angreifer dienende Fähigkeiten werden angesichts des neuen internationalen Umfelds nicht mehr benötigt."
Dr.Peter Struck, Verteidigungsminister
zitiert nach: Frankfurter Rundschau, 17.05.2003, p.1
überprüft: nr.62, satz 1 der neuen "Verteidigungspolitischen Richtlinien", 21.05.2003.


kommentar:

zitate haben auch ihre geschichte, und oft ist es ihre erste erwähnung, die für seine interpretation leitend ist. Es schwingt in einer frequenz, die beim adressaten eine resonanz erzeugt, die prägend wirken kann. Ein grund mehr, das zitat, aus seinem ursprungskontext herausgerissen, in einem neuen kontext erscheinend, am ursprungstext zu überprüfen. Auf der homepage des ministers ist der erlass publiziert worden; der berichterstatter der FR hat aus dem entwurf einen satz zitiert, der im rechtlich wirksamen erlass unverändert wieder auffindbar ist. Aber in der korrekten philologie erschöpft sich das problem nicht. Das zitat hat eine eigene existenz, in den kontexten erscheint es, wenn es zitierend aktualisiert wird, mehrfach gebrochen, und es setzt bedeutungen frei, an die sein autor (vielleicht) nicht gedacht hat, die aber reflexionen anstossen, für die ihre autoren unmittelbar verantwortlich sind, den urheber des zitats von seiner mittelbaren verantwortung aber nicht freistellen können. Diese brüche können dokumentiert werden, aber keine dokumentation kann die differenzen zum verschwinden bringen.

Der satz, bestes verwaltungsdeutsch, formuliert in der alltagssprache die aussage: die Bundeswehr ist überflüssig geworden. Und, so der nüchterne alltagsverstand weiter, was macht man mit überflüssigem? - nun man legt es beiseite, bestenfalls bewahrt man das überflüssige noch als dokument für das museum auf, (vielleicht) zur belehrung. Also, herr minister, folgen Sie dem vernünftigen gedanken und wickeln Sie die Bundeswehr ab! - das geld dafür fehlt schon seit jahrzehnten im haushalt des staates (vom aktuellen ganz zu schweigen). Doch die vernünftigen gedanken teilen das schicksal der utopien von einer besseren welt - es bleiben nicht realisierte gedanken.

Wenn also der unmittelbar vernünftige gedanke nicht realisierbar ist, dann haben vielleicht die mittelbar realisierbaren gedanken eine ratio, die der mühe einer kritik wert sind. Was will der minister sagen, wenn er andeutet, dass der auftrag der verfassung (Art.87a II GG) in den zeiten weltweiter globalisierung obsolet geworden ist? Zumindest der blick auf Europa (den Balkan einschränkend herausgenommen) zeigt, dass kein staat von einer fremden macht im klassischen sinne der weltgeschichte militärisch bedroht ist (und Ich sehe auch keine nation in Europa, die gegen den nachbarn kriegerische absichten hegen würde, von unverbesserlichen nationalisten abgesehen, die das recht in seinen schranken hält). Wozu dann richtlinien, die "dem weiten Verständnis von Verteidigung" (nr.4) eine neue struktur geben sollen? Es steht ausser zweifel, dass die welt seit 1945 einem tiefgehenden wandel unterworfen ist, der ein eurozentriertes oder ein abendländisch zentriertes denken nicht nur anachronistisch erscheinen lässt, sondern das einfach der realität der globalisierten welt nicht mehr angemessen ist. Insofern kommt dem satz von Peter Struck, dass Deutschland auch am Hindukusch verteidigt werde, eine gewisse plausibilität zu, aber plausibilität ist ein zu schwaches argument, um damit die umstrukturierung der Bundeswehr von einer verteidungsarmee zu einer eingreiftruppe zu rechtfertigen, die -und hier ist der blick auf die geschichte nicht unwichtig- zu einer angriffsarmee umfunktioniert werden kann, wenn dies den herrschenden interessen zupass ist. Worte sind wohlfeil und die einbettung der absichten in die zusammenarbeit mit den verbündeten bekommt einen anderen sinn, wenn die verbündeten ihre absichten neu "aufstellen" (im jargon der weltweitoperierenden konzerne). Ist das instrument erst einmal verfügbar, dann wird es auch benutzt.

Die "Verteidigungspolitischen Richtlinien" sind das etikett, mit dem ein skandal verdeckt werden soll, der zwei seiten hat. Die eine seite ist, dass das programm einer flexiblen eingreiftruppe weder mit dem wortlauf des grundgesetzes vereinbar ist noch mit seinem geist, der die erfahrungen von 1933-1945 verinnerlicht hat. Der verweis auf die gefahren des terrorismus ist als argument zu fadenscheinig, um den verfassungsbruch bemänteln zu können. Es hat noch nie funktioniert, dass gewalt mit gewalt beseitigt wird, eher das gegenteil ist richtig, dass gewalt nur neue gewalt produziert, und der moderne terrorismus unterscheidet sich darin prinzipiell nicht von den historisch bekannten formen. Ich bestreite nicht, dass es notwendig sein kann, unmittelbare gewalt mit gegengewalt einzudämmen (im sinne des begriffs der bewahrung der eigenen existenz), aber die latente gewalt, mit der der moderne terorismus droht, kann nur durch das recht eingeschränkt werden. Es ist absurd, den terrorismus damit bekämpfen zu wollen, in dem man das recht beseitigt, das davor wirksam schützt.

Die andere seite ist, dass unter der tarnkappe der verteidigung das potential der durchsetzung eigener interessen mit gewalt verdeckt werden soll. Diese aussage eine verleumdung? - Auch hier kann der blick auf die jüngste historia aufklärend sein. Die derzeitige administration der USA, das land, das vor rund 225 jahren mit der modernen demokratie ernst gemacht und diese idee über 200 jahre mit beachtlichen erfolgen realisiert hatte, von denen die deutschen 1945 profitieren konnten, diese derzeit amtierende administration hat im Irak demonstriert, was "verteidigung" auch bedeuten kann, wenn die partiellen interessen einer groossmacht durchgesetzt werden sollen, von denen die einen behaupten, es gehen den Cheneys & Co. nur um's öl und die dollars, und andere sagen, es müsse endlich "das böse", in den worten eines gewissen Hitlers verschärft ausgedrückt, "mit stumpf und stiel"  ausgerottet werden. 1939 war das ein angriffskrieg, im jahr 2003 heisst das im schönsprech: prävention. In der sache keine differenz - allein die begründungen werden jeweils der zeit angepasst: dem Hitler waren es die juden, der Saddam Hussein war das schibboleth Bush's, und was werden für künftige kreuzritter die begründungen sein, wenn sie meinen, das gewaltpotential in der faust zu haben? Ich habe keinen plausiblen grund anzunehmen, dass die derzeitige elite der deutschen politik groossmachtsträume hat, aber was wird geschehen, wenn diese elite eine bundeswehr geschaffen haben wird, die überall auf der welt "flexibel" einsetzbar ist? Heute ist der köder: kampf dem terror fundamentalistischer fanatiker, schutz der menschenrechte (die neue debatte um den Kongo) - begründungen, die respektabel sind, aber die köder sind vergiftet - der angler weiss das und dem fisch hilft die erkenntnis nicht mehr, wenn er zugeschnappt hat.

stand: 03.09.28.

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