zitat des monats
ausgabe: 10/03 - oktober-dezember/2003
text:
"Auch zukünftigen Generationen muss das Erlebnis der Mauer unmittelbar sinnlich vermittelt werden, damit sie aus der Geschichte anschaulich lernen können".sprecherin N.N. der Initiative "Pro Mauer";
zitiert nach: Walter Prigge. Rekonstruktionswut auf der Lauer. Die Mauer als Weltkulturerbe: Ihr Verschwinden sollte erinnert werden. Frankfurter Rundschau, 28.08.2003.
kommentar:
Auch das fiktive zitat ist ein zitat und als solches hat es eine erkennbare funktion. Das fiktive zitat wird dem zitierten in den mund gelegt, weil sein erfinder, gleichviel aus welchen motiven, den namen des zitierten nutzen will, um seinem gedanken mehr resonanz zu verschaffen; in vielen fällen ist es nur die erschleichung einer autorität, um einem schwachen argument kraft anzumalen, aber das muss nicht so sein: es kann auch ein kunstgriff sein, der im vorgriff auf ein mögliches geschehen einen sprecher erfindet, der etwas sagt, was sein schöpfer direkt nicht sagen kann, weil seine spekulation mit dem etikett der phantasterei belegt und so als rationales argument disqualifiziert werden könnte. Die initiative "Pro Mauer" ist eine schöpfung von Walter Prigge, aber so wie die dinge heute, im 13.jahr nach dem fall der mauer, liegen, ist es nicht mehr unmöglich, dass es sie eines tages geben könnte, so wie es sich vor 1989 kein politisch rational denkender zeitgenosse vorstellen konnte, dass es jemals eine initiative pro Berliner Hohenzollernschloss geben wird - und die gibt es, das belegt die debatte um den wiederaufbau des Berliner Schlosses(1).
Welchen gedanken will Walter Prigge in die öffentliche diskussion stellen?
Vordergründig geht es um einen vorschlag, der schwer nachvollziehbar ist. Der abriss der Berliner mauer 1990 soll teil der liste des Unesco-Weltkulturerbes werden, und da der abriss 1990 so deutsch-preussisch gründlich erledigt worden war, fehlt's heute an einem anschaulichen objekt, an dem das ereignis anschaulich erinnert werden könnte, also, um dem mangel abzuhelfen, nichts einfacheres als jenes verschwundene objekt wieder zu restaurieren, so wie man das mit dem Hohenzollernschloss auch vorhat, das ebenso preussisch-deutsch 1950 bis auf ein paar reste geschliffen worden war, die 1964 geschichtsklitternd den neuen staat repräsentieren sollten.
Der horizont aber ist die erinnerungskultur. Soweit reale objekte des zu erinnernden ereignisses vorhanden sind, können sie im museum abgelegt werden und als kristalisationskerne der erinnerung instrumentalisiert werden. Schwieriger ist es mit den ereignissen, von denen keine realen objekte mehr vorhanden sind, sei es, dass sie in der zeit verloren gegangen sind, weil ihr erinnerungspotential verkannt worden ist, sei es, weil die objekte in den ereignissen zerstört worden sind. Dinge, die im geschichtlichen prozess des vergessens verloren gegangen sind(2), werden mit didaktischer absicht als modelle rekonstruiert - ein verfahren, das dann hilfreich sein kann, wenn nicht die illusion von authentizität erweckt wird. Es wird aber auch versucht, zerstörtes wieder zu restaurieren, indem das verschwundene alte und authentische durch neues ersetzt wird, das die illusion nähren kann, es sei wieder das alte, eben die authentische geschichte(3).
Historische ereignisse und ihre materiellen gegenstände sind in der zeit nicht wiederholbar(4). Ich halte es für einen selbstbetrug, wenn die menschen verloren gegangenes in der alten gestalt restaurieren, es wieder neu schaffen(5) - diese dinge sind weder das alte noch sind sie originär das neue. Mit diesen dingen werden, wie W.Prigge das formuliert, "Gedächtnisorte" geschaffen, die in meiner sicht der dinge eine doppelte funktion haben. Ihre fassade hat die funktion, auf eine historische authentizität des objekts zu verweisen, die das objekt nicht einlösen kann; dieser mangel wird mit argumenten aus der ästhetik kompensiert(6). Das ist, zumindest scheint es unverdächtig zu sein. In seiner zweiten funktion verdeckt und verbirgt die schöne, quasi authentische fassade bewusst motive, die den öffentlichen markt der reflexion meiden müssen, weil ihr restauratives interesse als unzeitgemäss eingeschätzt wird; das ist das problem. Jedes historische objekt ist ein spiegel seiner zeit, und erst in der erinnerung konstruiert der erinnernde das bild, das er von dem historischen objekt hat; der erinnernde sieht sein objekt so, wie er die koordinaten seines geschichtsbewusstseins gestaltet hat. Unstreitig dürfte sein, dass die koordinaten der vergangenen zeiten andere waren als diejenigen, die heute wirksam sind. Der gegenstand des streits ist die geltung der koordinaten, die das historische bewusstsein und das wissen der menschen heute bestimmen. In diesem bewusstsein und wissen haben die historischen objekte, die real überdauert haben oder denen in sekundären dokumenten eine zweite realität zuteil geworden ist, die funktion der vermittlung, die die kristalisationskerne der erinnerungen sind, die die menschen in ihrer gelebten gegenwart konkret leben. Der streit um die koordinaten der deutung historischer objekte muss öffentlich geführt werden; das ist ein streit, den starke kräfte in der gesellschaft fürchten; sie ziehen es vor, im vertrauten klüngel entscheidungen zu fällen, die medienkonform und pseudoöffentlich auch mit bürgerinitiativen durchgesetzt werden - an kapital fehlt's nie, und dem kapital ist es gleichgültig, ob das objekt die mauer der verhassten kommunisten ist oder das schloss vergangener herrschaftlichkeiten - nur die rendite muss am ende stimmen.
anmerkungen:
(1) mein beitrag
in dieser debatte: Das schöne schloss. Die utopie der demokratie und
der restaurative schein des bösen. -->bibliographie, 008:schloss
(zurück zum text über die Browserfunktion) <--//
(2) erläuterung:
es ist ein natürlicher prozess, dass die dinge des täglichen
lebens im prozess der geschichte vergessen werden, und es ist eine verstehbare
reaktion, dass die menschen diese dinge, die verbraucht sind, vernichten.
Erst im historischen rückblick, der immer auch ein prozess der gestaltung
der geschichte ist, wird den menschen die bedeutung dieser gegenstände
bewusst, und was sich dann noch finden lässt, erhält einen musealen
wert, den es in seiner zeit niemals gehabt hatte. Viele stücke, die
heute in den archäologischen museen zu besichtigen sind, hatten dieses
schicksal (diesen aspekt des kulturerbes beleuchtet das Röm.Germ.Museum
in Köln mit seiner präsentation von alltagsgegenständen,
die, damals als massenware produziert, in gebrauch gewesen waren). <--//
(3) ein beispiel
aus der jüngsten geschichte ist die Brücke in Mostar, die im
serbisch-kroatischen bürgerkrieg zerstört worden war, und jetzt
-dank modernster bautechniken- im alten aussehen wieder aufgebaut worden
ist. Die geschichte des wiederaufbaus der kriegszerstörten städte
Europas nach 1945 ist der beleg schlechthin für diesen aspekt der
restaurierenden erinnerung; das jüngste beispiel ist der fast abgeschlossene
wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden. Ich verkenne nicht, dass die
situation nach 1945 von der not bestimmt gewesen war, mit knappen mitteln
eine lebbare umwelt wieder aufzubauen und die zeiten der not sind zumeist
keine günstigen zeiten für weitläufige reflexionen über
die möglichkeiten der zukunft, aber das, was dem beobachter in den
restaurierten stadtkerne mit ihren alt aussehenden fassaden heute als objekt
präsentiert wird, sind potemkinsche illusionen. <--//
(4) davon ist
die erhaltende restauration historischer gegenstände strikt abzugrenzen;
sie ist notwendig, weil das material der dinge einem beständigen transformationsprozess
unterworfen ist, der jedes stück der geschichte im prozess der zeit
materiell verändert. Das ist aber ein anderes problem, das mit der
wiederherstellung verschwundener historischer objekte, von gewissen handwerklichen
techniken abgesehen, nichts gemein hat. Die eingriffe in die alte materialsubstanz
der dinge zielt darauf ab, das historische objekt als ganzes in form und
gestalt zu bewahren, weil es von den menschen heute für so wertvoll
eingeschätzt wird, dass sie es beständig in gebrauch halten wollen
- eben als objekt ihrer erinnerungen. Die patina des alten ist die substanz
der erinnerung. <--//
(5) es ist schwierig,
im einzelfall eine grenze zu ziehen zwischen dem, was an resten wieder
aufbaufähig ist und dem, was vernichtet werden muss. Von vielen gebäuden
nach 1945 waren die aussenmauern so weit intakt geblieben, dass an diesen
resten der wiederaufbau ausgerichtet werden konnte; das zerstörte
wurde wieder einer vernünftigen bürgerlichen nutzung zugänglich
gemacht. Wo die alte substanz aber bis auf kümmerliche reste zerfallen
war (so die Dresdner Frauenkirche) oder das zerstörte bis auf die
fundamente geschliffen wurde (so das Berliner Hohenzollernschloss, jetzt
die Berliner mauer), dürfte die grenze überschritten sein. Wenn
diese objekte einer wiederaufbauenden restaurierung unterworfen werden,
dann sind andere motiven maassgebend als diejenigen mit den zwecksetzungen
des täglichen lebens. <--//
(6) es heisst,
das alte sei schön gewesen. Sicher, die fassade eines schlosses im
stil von Versailles unterscheidet sich vom zweckbau einer global operierenden
Bank, daraus ist aber nicht ableitbar, dass Versailles schön (oder
abscheulich hässlich) und der zweckbau abscheulich hässlich (oder
schön) ist (sowohl die fassade der bank wie die des domizils des sonnenkönigs
können nach den regeln des goldenen schnittes gestaltet sein). In
den debatten um die restaurierung des zerstörten alten ist die ästhetische
keule das schwächste argument, dennoch ist sie das schlagende argument,
weil diejenigen, die in den streitigkeiten entscheiden, mit ihrem geschmack
das letzte wort haben. <--//
stand: 03.12.30.
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