TEXTSAMMLUNG

zitat des monats
ausgabe: 07/04 - juli-september/2004

text:

Ohne zweifel, die massenvernichtungswaffen sind aids, verschmutztes wasser und armut.
Rupert Everett, britischer schauspieler
quelle: El País, 10.02.2004, p.40. "Las armas de destrucción massiva son sin duda el sida, el agua contaminada y la pobreza"
kommentar:

Der bestimmte ort verschafft dem zitat sein gewicht. Ich unterscheide zwischen dem ort der entdeckung des zitats und dem ort seiner instrumentalisierung. Das zitat war mir als schlagzeile ins auge gefallen, also las Ich das interview, um den kontext zu erfahren. Rupert Everett, ein britischer schauspieler (1959*), mir unbekannt, engagiert sich in der ONG: Global Fund, und im interview berichtete er über seine erfahrungen in Afrika. Gewalt, sagt er, sei das signum Afrika's, und der terror hat in diesen regionen ein anderes gesicht als in den wohlstandszonen USA, Europa oder Japan. Wenn Herr Bush von massenvernichtungswaffen spricht, die die westliche kultur, d.h. die amerikanische lebensart bedrohen, dann ist es eine sache, eine andere sache ist es, wenn ein bürger, dem das gefühl des mitleidens noch nicht abhanden gekommen ist, die gründe der not benennt und diese als massenvernichtungswaffen identifiziert, die nicht nur in Afrika endemisch sind. Was auf den ersten blick frappiert, das erweist sich als eine einsicht, die präzise auskunft gibt über den zustand der welt im jahr 2004.

Mit dieser feststellung habe Ich den objektiven standpunkt einer sachbeschreibung verlassen und den ort der interessengeleiteten interpretation des zitats erreicht. Was viele menschen in der welt mit guten gründen vermutet hatten, das hat die zeit nun an's licht gebracht. Die imaginierten massenvernichtungswaffen des diktators Saddam Hussein waren der vorwand, mit dem der amerikanische präsident G.W.Bush und seine entourage um Cheney und konsorten den Irak mit krieg überzogen hatten, der mit hightec-waffen geführt worden war, die im schrecken hinter keiner ABC-waffe zurückstehen. Es kann keinen dissens darüber geben, dass die ABC-waffen, wenn sie in die hände von desperados(1) fallen sollten, die menschliche zivilisation vernichten können; bis dato hatte das gleichgewicht des schreckens diese waffen eingegrenzt, aber mit dem untergang der Sowjetunion ist dieses gleichgewicht der groossmächte aufgebrochen worden, und was die menschheit derzeit noch notdürftig schützt, das ist die komplexität dieser waffensysteme, die mehr erfordern als ein paar kinder, die gerade eine kalaschnikow schleppen können. Zumindest besteht noch die hoffnung, dass die gesellschaften fähig sein werden und bereit bleiben, die kontrolle dieser waffen nicht abzugeben, und so die gewaltätigen konflikte in der ganzen welt auf die herkömlichen waffensysteme begrenzt bleiben, deren schreckenspotential nicht kleingeredet werden darf.

Aber der blick auf das schreckenspotential moderner waffen sollte den blick auf die anderen gefahren nicht verstellen, die für die menschliche zivilisation ebenso bedrohlich sind. Solange das historische bewusstsein der menschen in der zeit zurückreicht, war den menschen ihre gefährdung durch krankheit, mangel an ressourcen und zerstörung der umwelt bewusst gewesen. Bis ins 20.jahrhundert hinein war das als ein unabwendbares schicksal erfahren worden, aber die technischen möglichkeiten, die bis heute entwickelt worden sind, haben zumindest diesen schrecken in seiner form relativiert. Krankheiten können geheilt werden, die produktion an nahrungsmitteln ist statistisch gesehen für alle ausreichend, und die nachhaltige nutzung der natur ist möglich, wenn diese gewollt wird. Aber wollen die gesellschaften auf der welt, die am reichtum dieser welt so ungleich partizipieren, dass jeder bürger dieser welt an den vorteilen partizipieren kann, die die medizin, die agrarwirtschaft und die biowissenschaften bereitstellen? - Der blick auf den zustand der erde ist deprimierend. Die gesundheit der menschen ist dem kalkül von pharmakonzernen ausgeliefert, die mit dem leid der menschen ihre geschäfte machen. Aids, die moderne geissel Afrikas, könnte eingedämmt werden, wenn die patente auf wirksame medikamente nicht dazu missbraucht würden, den profit der aktionäre zu mehren. Das wasser und die luft werden zu einer ware gemacht, die am markt meistbietend verhökert wird, und die armut der massen ist die konstante im kalkül der wenigen reichen und ihrer kleinen schicht von helfershelfern. Krankheit, armut und wassermangel sind waffen, mit denen die menschen sich gegenseitig vernichten. Man mag einwenden, dass dies schon immer so gewesen sei, und das historische wissen scheint diese meinung zu bestätigen, aber unter der bedingung der globalisierung, die jeden flecken erde dem neoliberalen kosten-nutzen-denken unterwirft, haben diese waffen ein potential angesammelt, das den massenvernichtungswaffen des kalten krieges in nichts mehr nachsteht.
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(1) Saddam Hussein war ein brutaler diktator gewesen, und seine mordtaten sind nicht entschuldbar, aber es wäre ein böser irrtum, ihn als desperado anzusehen. Er war ein nüchterner rationalist, der eiskalt abschätzte, wie weit er gehen kann, um seine macht, die der zweck seiner existenz gewesen war, nicht zu gefährden. Anders Osama bin Laden, der möglicherweise niemals eine mordwaffe direkt geführt hat, aber tausende morden liess. Ihn kann man als desperado einschätzen, weil er einer idee nachjagt und nur eines unbedingt kennt: alles oder totales verderben. Da ist es schon bemerkenswert, dass US-vizepräsident Cheney aus der Bush-entourage weiter die behauptung aufrechthält, dass Saddam mit Al Quaida zusammengearbeitet habe, obgleich ein US-untersuchungsausschuss beweise öffentlich gemacht hat, dass die kontakte des schurken Saddam mit den schurken bin Laden über unverbindliche kontakte nicht hinausgekommen waren. Herr Rumsfield, auch aus der Bush-entourage, war da schon konkreter gewesen; einschlägig vertraut mit den terror verhandelte er in den 80iger jahren mit dem herrn Saddam, und schon versorgten die USA unter Reagan den Saddam mit US-waffen, die er mit Bush junior 2003 wieder einsammeln wollte und bis jetzt nicht gefunden hat. Aber, aber! - das waren auch andere zeiten gewesen; denn der herr Saddam machte gerade krieg gegen den Chomeini im Iran, und für den herrn Rumsfield hatte der damals die rolle des terroristen.
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stand: 04.10.21./ 04.07.15.

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