Text:
"Alle Zahlen kommen jetzt schonungslos auf den Tisch."
Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
zit.nach: Der Spiegel, 6/2005, p.72
Kommentar:
das eine ist die quelle: Der Spiegel, das andere ist die banalität der rede, die verbirgt, was offen sein sollte.
Zur quelle:
zitiere Ich korrekt, wenn Ich herrn
Clement die aussage zurechne? - Ich zweifle, und doch beteilige Ich mich
an einem spiel, das der Spiegel woche für woche erfolgreich spielt
- Ich nehme für bare münze, was Der Spiegel als ein zitat Clement's
kenntlich gemacht hat, und unterstelle ohne weitere prüfung, dass
herr Clement das gesagt hat, wie es vom Spiegel dem herrn Clement in den
mund gelegt worden ist. Dabei ist offensichtlich, dass das ereignis, in
dem das zitat entstanden sein soll, nicht der fall gewesen sein dürfte,
aber der fall hätte so sein können und folglich, so der kurze
schluss, hat der zitierte das auch so gesagt, wie der Spiegel ihn schwarz
auf weiss zitiert, es sei, der zitierte versucht sich gegen diese unterschiebung
zu wehren, was dieser als politiker sich allerdings sehr sorgfältig
überlegen sollte, nicht nur, weil das medium: Der Spiegel, als institution
in der BRD über macht verfügt, sondern auch, weil das unterschobene
zitat präzis die situation charakterisiert, in der der zitierte mit
dem unterschobenen zitat agiert.
Und nun genüge Ich meiner sorgfaltspflicht und zitiere den Spiegel, der geschrieben hatte: ""Alle Zahlen kommen jetzt schonungslos auf den Tisch, verkündete er im Kabinett" (er - das ist herr Clement).
Zur banalität der rede und den in der rede verschwundenen tatsachen:
Ich gehe, wie alle politiker sprechen, davon aus, dass der satz: "Alle Zahlen kommen jetzt schonungslos auf den Tisch", von herrn Clement im kabinett so auch gesagt worden ist. Da jede aussage in einen bedeutungshorizont gestellt ist, der der aussage nicht entzogen werden kann, schliesse Ich aus den konnotationen des zitats, dass herr Clement implizit auch gesagt hat, dass er bisher nicht alle relevanten zahlen, aus welchen gründen auch immer, auf den tisch gelegt hat; folglich hat herr Clement mit seinen ausgewählten wahrheiten nicht nur seinen kollegen am kabinettstisch wichtige informationen vorenthalten, sondern er hat, seine vorgänger im amt eingeschlossen, auch die öffentlichkeit über die reale situation am arbeitsmarkt im unklaren gelassen, die über die jahre mit statistischen zahlenwerken ruhig gestellt worden ist, von denen Winston Churchill in seiner ihm eigenen art gesagt haben soll, dass er nur den statistiken glaube, die er selbst gefälscht habe.
Aber hatte die öffentlichkeit
sich wirklich täuschen lassen? Es war
doch über die jahre immer ein
offenes geheimnis gewesen, dass die zahlenwerke geschönt waren, die
die präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg
monat für monat wie ein hochamt zelebriert hatten; denn parallel zu
den offiziellen zahlen wurden offen die inoffiziellen zahlen diskutiert,
die in der regel 2-3 millionen über den amtszahlen lagen und weder
von der Nürnberger Behörde, heute heisst sie Agentur für
Arbeit, dementiert worden waren, noch von den zuständigen ministern.
Kreativ hatte die Behörde alle menschen aus den offiziellen zahlen
herausgerechnet, die direkt keine arbeitslosenunterstützung erhielten,
oder die, wie die arbeitslosen sozialhilfeempfänger, schlicht nicht
mitgezählt wurden, weil sie die klientel einer anderen behörde
gewesen waren. Aus der amtlichen arbeitslosenstatistik waren auch alle
menschen herausgefallen, die in einer der sogenannten ABM-stellen geparkt
worden waren, dann alle menschen, die vom amt zunächst auf einem lehrgang
als nicht vermittlungsfähig abgestellt worden waren, und dann noch
die menschen, die das 58 lebensjahr erreicht hatten und als künftige
rentner schon einmal aus der aktiven arbeitsvermittlung herausgenommen
wurden; sie alle figurierten zwar in den diversen statistiken der ämter,
waren aber, jeder für sich, kein fall für die entscheidende zahl
und störten folglich auch nicht die schöngerechnete optik. Und
schliesslich fehlten in diesen statistiken auch alle menschen, die resigniert
hatten und sich vom offiziellen markt der arbeit zurückgezogen hatten.
Die gemütlos beschreibenden
zahlen der divergierenden statistiken
sind nicht der skandal, der skandal
sind die beschriebenen fakten, dass in der BRD ca. 7-9millionen menschen
aus der bürgerlichen arbeitswelt herausgefallen und als sozialmüll
der gesellschaft abgeschrieben sind. Das flotte reformgeschwätz der
herren Clement und Schröder, mit eingeschlossen die elite der vereinigten
opposition von gelb bis schwarz bemäntelt einen skandal, den diese
herrschaften seit einer generation mit geschaffen haben, indem sie ohne
eigenes urteil und verstand die lehren der neoliberalen ideologen nachgebetet
haben und als politiker die geschäfte des kapitals besorgt hatten.
Die wirtschaftspolitik dieser politiker war in den letzten 30 jahren faktisch
darauf ausgerichtet gewesen, die arbeitsplätze, die den menschen ihren
bürgerlichen unterhalt sichern, zugunsten des shareholdervalue zu
vernichten, und sie luden der arbeit der bürger die lasten auf, die
sie den kapitaleignern von den schultern genommen hatten. Es ist eine lüge
und zutiefst unehrlich, wenn diese politikergeneration heute einen zustand
beklagt, den sie selbst mit absicht geschaffen hat.
stand: 05.04.15.
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