TEXTSAMMLUNG
zitat des monats
ausgabe: 08/05 - august/2005

text:

"Ich finde es zum Kotzen, was derzeit in dieser Republik abläuft."
Dieter Hundt, arbeitgeberpräsident, interview im ZDF/ 29.04.2005/
zitiert nach der Frankfurter Rundschau, 14.05.2005,p.2


kommentar:

es gibt zitate, die als fragment eines arguments die funktion eines paspartouts haben. Bestimmte termini, beliebig austauschbar, fixieren die struktur des satzes, der in der variabilität der termini nicht widerlegbar aber vielfältig verwendbar ist. Das wort: kotzen, ist der eine terminus, er ist der gosse angemessen; der andere terminus ist das wort: republik, das, vom politischem standpunkt abhängig, positive oder negative gefühle evozieren kann. Das interview habe Ich im ZDF nicht gesehen, also kann Ich die gesten des herrn Hundt nicht als deutungshilfe nutzen; in der presse habe Ich das zitat mit der gewohnten verkürzung auf ein oder zwei sätze aufgelesen*, also ist der zitatzusammenhang mir nicht bekannt. Das sind informationen, die nicht entscheidend sind; denn die interpretation eines paspartout-zitats ist situationsabhängig im moment der deutung.

Dieses zitat ist ein vortrefflicher kommentar zum aktuellen spielplan auf der chaos-bühne Berlin, aber einen reim habe Ich nicht, was herr Hundt eigentlich gemeint haben könnte, wenn er das politische schauspiel der Berliner Republik zum kotzen findet. Bekanntlich hat jedes ding zwei seiten, und so könnte es sein, dass ein miserables stück auch seine gute seite zeigt, die im grellen licht eines starken worts ihr schattendasein quitt geworden ist.

Hat herr Hundt vielleicht die miserablen ergebnisse der HartzIV-reform gemeint, deren reale ergebnisse ihn selbst nicht nachteilig treffen werden? - Ein grandioses schauspiel: diese 4,9 millionen registrierter arbeitslose und der DAX in der hausse.

Oder meinte herr Hundt vielleicht die absprachen der medienhelden Schröder und Merkel, die zu lasten dritter auf dem jobgipfel die nächste senkung der körperschaftssteuer ausbaldowert hatten? - Und nur lumpige 6 prozentpunkte, da hätte es schon ein bisschen mehr sein können, die haushaltslöcher hin, die haushaltslöcher her.

Oder sollte herr Hundt die show gemeint haben, die der herr bundeskanzlers Schröder um sein vertrauen hingelegt hat? - die verfassung ist für die machtpolitiker ein märchenbuch, das, wie die bibel von den theologen, al gusto ausgelegt wird.

Oder meinte herr Hundt das gezänk um die nichterhöhung, die erhöhung der mehrwertsteuer? - Die union Merkels und Stoibers wollte sie eigentlich nicht, aber ständig redeten sie uneigentlich von den mehreinnahmen, die der nächste finanzminister schon jetzt verplant hat, und nun ist sie programm, die steuererhöhung; die Schröder-SPD sagt, dass sie eine erhöhung nicht wolle, weil die SPD nichts mehr zu sagen haben wird, wenn die entscheidung gefallen sein wird und ein nein macht in der opposition immer eindruck; die neoliberale FDP lehnt jede steuererhöhung aus prinzip ab und sagt ja, wenn herr Westerwelle mit staatsstandarte durch Berlin kurven kann.

Oder hat herr Hundt die alte manier der politiker aller couleur gemeint, im wahlkampf mit gespaltener zunge zu reden? - Vor der wahl schauen die herren/damen politikerInnen dem wahlvolk genau aufs maul und reden auch so, nach der wahl aber, das mandat ist im sack, stopfen sie dem wahlvolk wieder das maul.

Polemik? - oder ist es die wirklichkeit, die keine satire toppen kann? - das paspartout-zitat ist nie um eine antwort verlegen.


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anmerkung:
* die version der Frankfurter Rundschau notiert nach dem auslassungszeichen noch diesen satz: "Das ist doch unpatriotisch, schlimmer geht's gar nicht".
 

stand: 05.09.01.

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