TEXTSAMMLUNG
zitat des monats
ausgabe: 07-09/06 - juli-september/2006 (blieb bis 12/2006 stehen)

text

Selbst wenn alle arbeiten wollten, die bei uns gemeldet sind, dann habe ich gerade mal für ein Fünftel ein Angebot.
Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg
quelle: Frankfurter Rundschau, 12.05.2006,p.9, interview


kommentar

Es gibt sätze, die entschuldigen sollen und anklagen. Der satz von herrn Weise ist eine anklage, aber die adressaten der anklage, die damen/herren politiker der Berliner Republik, die mit ihrer politik die misere auf dem arbeitsmarkt geschaffen und zu verantworten haben, sie ignorieren einfach die anklage und erklären die opfer ihrer politik zu tätern, denen das handwerk gelegt werden müsse.

Die aussage des chefverwalters der arbeitslosigkeit stellt quasi amtlich fest, dass für 4 von 5 arbeitslosen kein arbeitsplatz verfügbar ist, mehr noch, die Bundesagentur für Arbeit hat für 4 von 5 arbeitslosen nicht einmal das angebot eines arbeitsplatzes verfügbar, und was das bedeutet, das wissen alle, die sich mit bewerbungen die finger wundgeschrieben haben; längst haben sie die hoffnung als illusion abgeheftet, dass das angebot der arbeitsstelle sich auch in die arbeitsstelle verwandeln wird, die die teilhabe am gesellschaftlichen leben wieder eröffnet. Die damen/herren politiker der Berliner Republik, zynisch ihre macht verwaltend, reden vom zwang der leeren öffentliche kassen und streichen den arbeitslosen die benötigten transferleistungen zusammen; sie verschärfen einerseits die bedingungen für den bezug von leistungen und kürzen andererseits die höhe der leistungen, die schon heute das bürgerliche existenzminimum nicht mehr sichern. Ihr tun begründen die damen/herren politiker der Berliner Republik mit der perfiden these, dass die bereitschaft zur arbeit bei den gesellschaftlich ausgegrenzten weiter getestet werden müsse. Also dekretiert das neue gesetz, dass dem Alg_II_empfänger, der ein arbeitsangebot ausschlage, das Alg_II gekürzt und im wiederholungsfall ganz gestrichen werde. Das ist forsch, das spricht für tatkraft und, wenn die stammtischbrüder die zuhörer sind, klingt das vor allem gut. Aber wo die damen/herren politiker der Berliner Republik die erforderlichen arbeitsangebote hernehmen wollen, wenn, wie vom chefverwalter der arbeitslosigkeit eingestanden, für einen von fünf kandidaten nur ein angebot verfügbar ist, das ist für sie ebenso keine frage wie von neuen, realen arbeitsplätzen keine rede mehr ist - tut nichts, das gesetz ist beschlossen. Aber auch wenn die mathematischen künste der damen/herren politiker der Berliner Republik beiseite gestellt werden, das als ihr arcanwissen dem bürger mit soliden kenntnissen des 1x1 nach Adam Riese ein buch mit sieben siegeln ist, dann ist es immer noch legitim, nach der qualität der angebote zu fragen, die in der menge unzureichend sind. Diese angebote sind unter dem etikett: 1_Euro_jobs, geläufig. Es sollte bekannt sein, dass der 1_Euro_jobber in keinem regulären arbeitsverhältnis steht; der 1_Euro_jobber steht unmündig unter der kuratel des Hartz_IV_gesetzes. Die logik dieser fürsorge bewirkt, dass der betroffene bei der arbeitszeit einer vollstelle nicht das niveau der sozialhilfe verlassen kann, egal was er leistet, und wer auf dem 1_Euro_job schliesslich angekommen ist, der ist, entgegen dem gerede vom sprungbrett, stigmatisiert und für den sogenannten ersten arbeitsmarkt verbrannt. Die privatisierte seite des skandalons: 1_Euro_job, ist, dass mit der erfindung der 1_Euro_jobs die damen/herren politiker der Berliner Republik den menschen faktisch eine falle gestellt haben, aus der sie sich nicht mehr befreien können. Die öffentliche seite des skandalons: 1_Euro_job, ist das lohn- und sozialdumping, dass die damen/herren politiker der Berliner Republik betreiben, dessen langfristige wirkung auf die sozialsysteme der Berliner Republik die mehrzahl der bürger treffen werden; denn der mit den 1_Euro_jobs geschaffene staatliche lohnniedrigssektor verkürzt die leistungen der aktiven für die bestehenden sozialsysteme und ruiniert diese auf dauer.

Was die damen/herren politiker der Berliner Republik, rot und schwarz, unter dem etikett: agenda 2010, zunächst in verdeckter, dann in offener grosser koalition ausbaldowern, das ist das programm der systematischen verarmung eines drittels der gesellschaft. Die logik dieser politik hat herr Weise gegen seine absicht sichtbar gemacht. Es ist ein absichtlich gewolltes missverständnis der damen/herren politiker der Berliner Republik, dass sie meinen, der wähler der Bundesrepublik Deutschland habe ihnen dafür den auftrag erteilt.
finis

stand: 07.01.03.

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