TEXTSAMMLUNG

zitat des monats
ausgabe: 09-12/07 - september-dezember/2007   (blieb bis 04/2008 stehen)

text:

"25 Prozent auf einen Betrag X sind besser als 42 Prozent auf gar nix."
Peer Steinbrück
Bundesminister der Finanzen
quelle: Vorwärts, 12/2006, p.10


kommentar:
 

das zitat(1) gibt sich flott, aber der volksmund sagt's schon länger, dass der spatz in der hand mehr ist als die taube auf dem dache. Das wenige, das man hat, ist dem geträumten vorzuziehen, das man nicht hat. Für das alltägliche leben ist die maxime akzeptabel, aber genügt die bescheidung auf das erreichbare als maxime des politischen handelns für den minister der finanzen, dessen pflicht es ist, den staat zum wohle aller zu verwalten? Hat der bundesfinanzminister nicht die pflicht, die gesetze am gemeinwohl auszurichten und dafür zu sorgen, dass jedermann die gesetze erfüllt, denen der bürger als staatsbürger sich unterstellt hat? Eine selbstverständlichkeit des politischen einmaleins der demokratischen ordnung? - in der Berliner Republik ist die richtige antwort ein blauäugiger gedanke. Seit der wende 1989 gelten regeln, die nicht im Grundgesetz stehen, aber sie bestimmen den politischen prozess.

Kapitaleinkünfte unterliegen der einkommenssteuer, die progressiv steigend mit dem steuerhöchstsatz von 42% zu versteuerndem einkommen endet(2). Das neue recht legt die steuer für kapitaleinkünfte mit einer flatrate auf 25% fest, die an der quelle anonym abgegriffen und an das finanzamt abgeführt wird. Prima vista eine absolut gerechte regelung(3) - der millionär zahlt ebensoviel steuern wie der arme schlucker(4). Secunda vista ist das gesetz des herrn Steinbrück ein gigantisches steuerentlastungsprogramm für die vermögenden, das die reale steuerhöhung für die vermögenslosen nur dürftig verschleiert(5). Die senkung des nominalen steuersatzes von 42% auf 25% ist eine verminderung um 17 punkte oder rund 40% steuerminderung(6). Real bedeutet dies für die Albrechtbrüder mit einem geschätzten vermögen von ca.32 mrd.Euro(7) eine rechnerische steurersparnis im dreistelligen millionenbereich; denn die Albrechtbrüder dürften kein steuerfall sein, für den die Steinbrück'sche rede von 42 Prozent auf gar nix zutreffen könnte. Die nicht zu rechtfertigende steuersenkung für die vermögenden wird mit der regelung getoppt, dass nunmehr auch die spekulationsgewinne an den börsen der besteuerungen unterworfen werden sollen, die bis dato mit grosszügigen regelungen faktisch steuerfrei gestellt waren. Es ist schon eine merkwürdige logik, wenn der bundesfinanzminister die steuersenkung auf kapitaleinkommen mit der streichung einer steuervergünstigung für kapitaleinkommen gegenrechnet, die zu streichen er und alle vorgänger im amt mit vorsatz versäumt haben(8). Das argument ist fadenscheinig, dass spekulationsgewinne steuerlich schwer zu erfassen gewesen seien; denn warum soll jetzt möglich sein, was früher für unmöglich erklärt worden war? - die erklärung ist simpel. Die besteuerung der profite am kapitalmarkt war politisch nicht gewollt.

Das flotte zitat des herrn Steinbrück ist eine nebelkerze, die verdecken soll, dass die damen/herren politiker der Berliner Republik nur noch die geschäfte der stärkeren betreiben.

kommentar auf der zweiten ebene:
 
(1)
in einer sendung des WDR5 am 23.mai 2007 wurde herr Steinbrück mit dieser version zitiert: "30 Prozent auf einen Betrag X sind besser als 39 Prozent auf gar nix". Diese version spielt an auf die unternehmenssteuerreform, die dem gleichen ziel dient, den grossen die vorteile zuzuschieben, den kleinen aber die lasten. Ob herr Steinbrück die sentenz in der einen oder in der anderen version gemacht hat, entzieht sich meiner kenntnis, es genügt, dass die sentenz herrn Steinbrück zugeschrieben wird, die in der veröffentlichten meinung vielfach zitiert, aber von herrn Steinbrück nicht dementiert worden ist. Ich verwende also ein wort, das öffentlich ist. <==//


(2)

in der BRD selig galt lange ein höchststeuersatz von 53%. Diese marke wurde stetig unter den regierungen der herren Kohl und Schröder stufenweise auf 42% im jahr 2005 gesenkt. Zeitgleich mit den gesetzlichen steuerverkürzungen für die vermögenden setzte herr Schröder Hartz IV in kraft, das die vermögenslosen zusätzlich zur kasse zitierte. Diesem skandal verpasste die grosse koalition: Merkel/Müntefering, schliesslich mit der sogenannten reichensteuer ein feigenblatt. <==//


(3)

es ist schon erstaunlich, mit welchem eifer die ideologen des neoliberalismus sich als gleichmacher betätigen - früher, als der sozialismus im osten noch real existierte, war im westen diese gleichmacherei als sozialistisches teufelswerk verdammt worden. Die zeiten haben sich geändert und die neoliberalen haben's der alten nomenklatura gierig abgeschaut, wie der bürger über den löffel balbiert werden kann. <==//


(4)

aber so simpel, wie die sirenen tönen, geht das nicht mit der gleichheit; für den vermögenden sind die 25% abgeltungssteuer eine andere reale zahl als für den vermögenslosen*. Auf 1.000€ zinseinkünfte per annum bei 25% abgeltungssteuer beträgt die steuerschuld: 250€, auf 1.000.000€ sind es 250.000€. Wer nur 1.000€ auf die waage bringen kann, dem verbleiben 750€, aber bei 1.000.000€ verbleiben dem steuerschuldner 750.000€, und an der kasse im supermarkt zahlt der eine wie der andere für das pfund butter 2,50€. <==//
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* siehe auch: das argument des monats: das prinzip der zahl: 1.   <==//    (4)<==//


(5)

die abgeltungssteuer auf kapitaleinkünfte mit der flatrate von 25% hat den effekt, dass der steuerbürger, der bisher mit über 25% veranlagt worden ist, künftig weniger zahlen wird, der steuerbürger aber, der bis 25% veranlagt wird, quasi als collateralschaden künftig mehr steuern zahlt; denn der kleine steuerbürger kann sich den differenzbetrag auf antrag beim finanzamt zurückholen, der grosse steuerbürger hat die differenz bereits kassiert, bevor er seine steuererklärung abgibt. Der kleine steuerbürger ist einer effektiven kontrolle unterworfen, der grosse steuerbürger wird aus jeder kontrolle entlassen. <==//


(6)

wer über ein vermögen verfügen kann*, der wird sein bürgerliches einkommen im wesentlichen aus den kapitalerträgen seines vermögens** erzielen, ein einkommen, das nach altem und neuen einkomenssteuerrecht mit dem höchststeuersatz belegt ist. Einkommen in millionenhöhe per annum sind nicht die frucht persönlich geleisteter arbeit, von seltenen ausnahmen abgesehen, sehr wohl aber das resultat von machtkonstellationen, die dem einkommensmillionär die chance verschafft haben, von der arbeit anderer zu leben. Für die mehrheit der bürger gilt, dass das märchen vom tellerwäscher zum millionär ein alptraum ist, wenn der einstmalige knecht der gegenwärtige herr ist. <==//
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* von vermögen kann erst dann gesprochen werden, wenn die kapitalerträge das jährliche existenzminimum sichern. Kapitalerträge, die das steuerliche existenzminimum aufsummiert nicht erreichen, stammen aus ersparnissen. Wer nur über ersparnisse verfügen kann, der muss die differenz durch bezahlte erwerbsarbeit auffüllen oder ist auf transferleistungen der gesellschaft angewiesen. Der vermögende kann von seinem kapitalstock leben, ohne arbeiten zu müssen und ohne auf die transferleistungen der gesellschaft angewiesen zu sein. Im steuerrecht der Bundesrepublik Deutschland gab es einmal eine zeit, als zumindest ansatzweise dieser differenz rechnung getragen wurde. Zinserträge bis 6000DM waren steuerfrei. Das steuerfreie existenzminimum lag damals geringfügig höher. Heute hat die schwarz/rote koalition den freibetrag auf rund 800€ (oder 1600DM) reduziert und das steuerliche existenzminimum stagniert bei ca.8000€.
<==//
** dem vermögenden ist freigestellt, zu arbeiten oder nicht; der vermögenslose hat keine alternative, er muss arbeiten oder transferleistungen beanspruchen. Es ist ein skandal, dass die gesellschaft einem drittel der gesellschaft faktisch das recht auf arbeit verweigert und die transferleistungen unter die schamgrenze gedrückt hat. Die zahl der arbeitsuchenden in der Bundesrepublik Deutschland wird auf 6-8 millionen bürger geschätzt. <==//    (6)<==//


(7)

cf. DER SPIEGEL, 6/2007 p.26. Ein vergleich ist interessant. Im herbst wird immer eine liste der "reichsten Deutschen" veröffentlicht. Im jahr: 2005, sind's die Albrechtbrüder, die die liste anführen, aufsummiert: 30,7mrd.€*; im jahr: 2006, sind's wieder die Albrechtbrüder, aufsummiert: 32,15mrd.€**. Das ist ein zuwachs von 1,45mrd.€ oder ein anstieg von ca.4,5% - wundersame wirkungen der Schröder'sche steuerreform, die datumsgleich im jahr: 2005, mit Hartz_IV in kraft gesetzt worden war, in einer zeit, als in der presse von einer galoppierenden konjunktur noch nicht geredet wurde. <==//
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*  Frankfurter Rundschau, 12.10.2005 <==//
** Frankfurter Rundschau, 11.10.2006 <==//    (7)<==//


(8)

das vermögen wird in der Bundesrepublik Deutschland niedrig und vor allem lückenhaft* besteuert, die arbeit dagegen unverhältnismässig hoch und bei der mehrheit der steuerbürger auch gleich an der quelle abgegriffen. Es ist die arbeit, die den gesellschaftlichen reichtum schafft; die vermögen sind nur agglomerationen des gesellschaftlich erarbeiteten mehrwerts, anhäufungen von kapital, das für sich unfruchtbar ist. Ein bundesfinanzminister kann sich für das gemeinwohl verdient machen, wenn das nicht mehr durchschaubaren steuerrechts** reformierte, indem er die vermögen wieder in die pflicht nähme und die arbeit von der steuer entlasten würde. Das geltende steuerrecht der Berline Republik begünstigt die gier, bestraft aber den fleiss der bürger. <==//
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* die vom recht eingeräumten möglichkeiten der gestaltung der steuerpflicht schafft viele räume, die wirksam nicht kontrolliert werden können. <==//
** in einer modernen gesellschaft ist ein simples steuerrecht a la bierdeckel weder vernünftig noch sinnvoll, aber was sich in den jahren des bestehens der Bundesrepublik Deutschland an rechtsvorschriften angesammelt hat, das ist in seiner widersprüchlichkeit nicht mehr verfassungskonform. <==//    (8)<==//
finis
<==//

stand: 08.05.01./ 07.08.23.

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