TEXTSAMMLUNG

zitat des monats
ausgabe: 05-06/08- mai-juni/2008

text:

"Wir sind doch keine Unmenschen!"
Dr.Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank
(quelle: DER SPIEGEL 10/2008, p.80)


kommentar

Ein zitat kann banal sein, dann, wenn der satz kontextlos einfach so platziert wird. Der satz: wir sind doch keine unmenschen!, ist, wenn er als blosse floskel so dahin gesagt wird, ein nichts sagender satz; denn das, was der satz auch bedeuten könnte, ist so ungeheuerlich, das keiner wollen kann, dass es ein faktum sein soll. Aber was könnte dann das moment sein, das mein interesse an diesem satz rechtfertigt? Sicher, herr Ackermann erregt als autor des zitats aufmerksamkeit; sicher ist auch, dass die redakteure des Spiegels meister ihres fachs sind und es verstehen, auch banale sätze zu wahrheiten aufzumotzen, die eine laufende woche ausfüllen können. Das sind erwägungen, die für den moment zwar tauglich sind, das argument aber auf dauer nicht tragen können. Als zitator kann Ich mit dem zitat spielen, weil sowohl der autor des zitats als auch der zitator mit den horizonten ihrer welten als referenzpunkte des zitats im spiel mit eingeschlossen sind, horizonte, die die eigene welt und die welt des anderen einschliessen oder ausschliessen können. Aber auch dann, wenn das spiel in seiner situation nicht eindeutig bestimmt ist, kann der banale satz die zerstreuten momente wie das brennglas in einer gemeinsamen schnittmenge bündeln, ohne die keine kommunikation zwischen den individuen möglich ist, die sich als ein ich begreifen.

Wenn herr Ackermann das wort: wir, sagt, dann spricht er von einer sozialen gruppe, der er sich selbst zurechnet. Gewiss, die banker sind(1), bei allem misstrauen, das ihnen jetzt entgegenschlägt, keine unmenschen; denn der terminus: unmensch, ist unbestimmt und kann phänomene bezeichnen, die für sich zwar gegensätzlich sind, aber in einem allgemeinen unwerturteil ihr gemeinsames moment aufweisen. Entgegen der geläufigen meinung bezeichnet der terminus: unmensch, nicht die verneinung dessen, was als der inbegriff eines menschen angesehen wird. Zwar kann der mörder als ein unmensch bezeichnet werden, aber diese beurteilung hebt die bestimmung nicht auf, dass der mörder ein mensch ist(2). Zwar kann der dummkopf als ein unmensch bezeichnet werden, wenn ihm erkennbar die kalkulierende vernunft fehlt, aber der mangel an urteilskraft ist kein gültiges argument, ihm die bestimmung, ein mensch zu sein, abzusprechen(3). Die rede des herrn Ackermann ist also gegenstandslos, aber als zitat ist die rede in der welt und die frage ist noch ohne antwort, was ein grund sein könnte, dass herr Ackermann sich genötigt gefühlt hatte, die frage des Spiegels nach der gier der menschen mit dem satz zu kommentieren, dass die banker keine unmenschen seien(4).

Dummköpfe und mörder sind die banker nicht, aber was sind die banker dann, wenn die gegenwärtigen turbulenzen auf den finanzmärkten der welt der fokus der perspektive sind? - vielleicht diebe und betrüger? Eine vermutung, die im horizont des strafrechts(5) zu beweisen schwierig sein dürfte, in der perspektive einer humanen gesellschaftsordnung aber zu diskutieren ist, weil das, was auf dem finanzmärkte gespielt wird, mit ökonomie nichts mehr zu tun, sehr viel aber mit dem roulette, das auf den börsen, den spielbanken der welt, gespielt wird, im glamour des öffentlichen festsaals und im zweilicht schummriger hinterzimmer, wo die finanzprodukte ausbaldowert werden, deren zweck es ist, sich der geldmittel der anderen zu bemächtigen. Es waren keine dummköpfe, die jene finanzprodukte mit spekulation aufgepumpt hatten und dann, raffiniert verpackt, in neuen finanzprodukten weltweit vermarktet haben. Sie wussten sehr genau, was sie machten; denn cool kalkulieren sie, wo Bartel seinen most holen kann. Wer öffentlich behauptet, dass im investmentbanking renditen von 25% die norm seien(6), der weiss, dass diese profitraten mit realer arbeit nicht erreichbar sind, wohl aber mit rechtskonstruktionen, die der einen seite den gewinn zuschanzen und der anderen den verlust. Wer die einschlägigen rechtskonstruktíonen erfindet, der will betrügen, und wer die profite einstreicht, die aus diesen rechtskonstruktionen abgezogen werden, der ist ein dieb. Der skandal ist, dass es die politiker demokratischer Staaten gewesen sind, unter dem neugläubigen G.W.Bush die USA vorweg, im kielwasser die BRD unter dem herrn G.Schröder(7), figuren der politik, die den spielern in den banken den weg freigemacht hatten. Die turbulenzen auf den finanzmärkten signalisieren, dass für's erste die party wieder einmal vorbei ist, aus derem müll die neuesten finanzprodukte schon wieder geschneidert werden, mit denen, wie aus erfahrung vermutet werden kann, das neue rad gedreht werden soll. Sicher, auch diesmal sind einige figuren des casinopokers als bauernopfer mit millionenabfindungen in die wüste geschickt worden(8), aber der schaden, derzeit auf 1 billion $ geschätzt, wird von der allgemeinheit bezahlt.

Der begriff: unmensch, ist um ein merkmal zu erweitern.

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anmerkungen
(1) der terminus: banker, ist wenig präzis. Nicht jeder, der in einer bank arbeitet, ist auch ein banker. In der hierarchie einer bank aber gibt es positionen, deren inhaber mit dem etikett: banker, klassifiziert werden können. Es sind die wenigen manager, die über die macht verfügen, entscheidungen zu treffen, die andere binden. Der banker hört keinen befehl, der kadavergehorsamst auszuführen sei, aber er befiehlt und erwartet kadavergehorsam.  <==//

(2) das individuum als ich, das dem genossen, der gemordet hat, die identität als ich verneint, verneint sich selbst als ich. Es ist etwas anderes, wenn das individuum, das ein ich sein will, dem genossen, der ein ich ist, die identität, ein ich zu sein, zerstört. Wer die identität des anderen, ein ich zu sein, zerstört, der zerstört sich selbst als ich und degradiert sich zu einer sache, die das_andere ist.  <==//

(3) die spannbreite der unvernunft ist grooss, aber keine form mangelnden verstandes ist benennbar, die geeignet sein könnte, einem individuum, das ein ich sein kann, die identität zu verweigern, ein ich zu sein.  <==//

(4) das zitat im kontext: "Spiegel: Warum wollen Menschen, die schon sehr viel Geld verdienen, immer noch mehr? Ackermann: Unfähig, unsozial, abgehoben und geldgierig - jetzt ist der Reigen komplett. Wir sind doch keine Unmenschen! Viele von uns könnten sehr viel mehr verdienen, wenn sie in die USA oder zu Private-Equity-Firmen gingen. Der großen Mehrheit von uns geht es weniger ums Geld - natürlich ist das auch wichtig -, sondern darum, etwas zu erreichen, ein Unternehmen erfolgreich zu führen. Das bereichert viel mehr, als nur immer mehr Geld zu verdienen."(DER SPIEGEL 10/2008,p.80). <==//

(5) ein beschuldigter ist nach deutschem strafrecht dann strafrechtlich ein dieb oder betrüger, wenn das gericht festgestellt hat, dass die abgeurteilte tat den tatbestand erfüllt, der täter schuldhaft gehandelt hat und ein rechtfertigender grund für sein handeln ausgeschlossen ist. Die behauptung, dass der tatbestand erfüllt sei, kann für sich in keinem fall genügen, den beschuldigten mit dem strafrechtlichen unwerturteil zu konfrontieren. Andererseits kann die zutreffende behauptung, dass der tatbestand einer mit strafe bewehrten handlung erfüllt sei, den tatbestand einer beleidigung nicht erfüllen.  <==//

(6) als ziel für das jahr 2005 hatte herr Ackermann eine rendite von 25% genannt und dann stolz verkündet, dass dieses ziel mit 30% sogar übertroffen worden sei (cf.Frankfurter Rundschau, 29.04.2005). Für 2006 das gleiche spiel (cf.Frankfurter Rundschau, 02.02.2007).  <==//

(7) die regierung Schröder hatte mit der unternehmenssteuerreform 2000 dem anglo-amerikanischen finanzdenken die tore geöffnet und 2003 folgte logisch das bundesgesetz, das den deutschen markt auch den hedgefonds zur beute machte. Das deutsche recht wurde an das hemmungslose profitstreben zu lasten des gemeinwohls adjustiert.  <==//

(8) cf. Frank Hornig: Die Bank-Räuber, in: DER SPIEGEL 13/208,p.72-74.  <==//

finis

stand: 08.06.30./ 08.05.01.

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