TEXTSAMMLUNG
zitat des monats
ausgabe: (37)02/16 //02-03/2016 februar-märz/2016 (blieb stehen bis: 06/2017)
 
Text:
"Das war sein Sartrianismus".

        (Daniel Cohn-Bendit - Nachruf für André Glucksmann(a).)

Kommentar:
 
Es gibt sätze, die auffallen. Der satz: das war sein sartrianismus, fällt auf, weil sein logisches objekt, eine doktrin in der historia der ideologien, zwar bekannt sein dürfte, aber der bezeichnende terminus: sartrianismus, nicht geläufig ist(b). Der terminus wirkt wie die Pawlow'sche klingel(c), wenn der versuchshund, damit konfrontiert, seinen speichel absondert, aber um das leckerli betrogen wird. Im geschäft der intellektuellen ist die methode geläufig, mit einem terminus eine debatte zu führen, der im diskurs die signalfunktion hat, den jeweils eigenen standpunkt klärend zu verbergen. Eine widersprüchliche rede? - Prima vista ist der einwand zu konzedieren, secunda vista macht aber dieses reden in zweideutigkeiten die versuche kenntlich, in denen der sprecher einerseits eine position als bestimmt markiert, um andererseits zu verbergen, dass seine öffentlich vertretene position theoretisch unzureichend und darin irreführend fundiert ist. André Glucksmann ist ein vertreter dieser meisterdenker(d).

Der terminus: sartrianismus, verweist auf die philosophie Jean Paul Sartre's, vor allem auf das, was seine mitstreiter damals und die nachlebenden(e) heute aus den gedanken Sartre's, gemacht haben, die, in den texten überliefert, gedeutet werden müssen. Die rezeption einer historischen position ist nicht das problem. In jeder intellektuellen debatte ist das ein teil des täglichen geschäfts. Ein problem ist es aber, wie die diskurtanten mit den verfügbaren/überlieferten texten verfahren, wenn sie, die texte interpretierend, ein neues system von gedanken etablieren wollen, das prima vista ein spiegelbild des rezipierten denkens sein soll, das aber secunda vista nur die sichtweise des interpreten sein kann. Unter dem terminus: sartrianismus, werden also zwei theorien diskutiert(f), die strikt auseinander zu halten sind, zum ersten das denken Sartre's, fixiert in seinen texten als dokumente der historia, zum zweiten die interpretationen dieser texte, die wiederum in dokumenten der historia fixiert sind. André Glucksmann hat wiederholt mit Sartre öffentlich diskutiert. Er ist also, technisch gesehen, neben anderen nur ein interpret des Sartre'schen denkens. Seine interpretationen Sartre's, überliefert in seinen texten, kann mit guten gründen als sein anteil an dem beurteilt werden, was als sartrianismus gelten soll. Insoweit ist die verwendung des terminus: sartrianismus, unbedenklich, bedenklich aber ist, dass das, was unter dem termius: sartrianismus, als das denken André Glucksmann gehändelt wird, von den autoren der nachrufe(g), selbst interpreten, immer wieder geltend gemacht, in einem nebel von worten eingehüllt ist.

Wenn über André Glucksmann geredet wird, dann ist der cantus firmus dieses redens zumeist ein verweis auf die schrift: "Die Meisterdenker"(h). Den text hatte Ich damals in deutscher übersetzung in teilen zwar gelesen, aber das buch bald beiseite gelegt, und das mit gutem grund, wie Ich bei der re-lektüre feststellen musste, veranlasst durch die nachrufe, die Ich en passant gelesen hatte(i). Es mag sein, dass Glucksmann rhetorisch beeindruckend ist(j) und sein stil brilliant wirkt, aber in der substanz ist der text seines "Meister"-buchs erschreckend dünn. André Glucksmann will François Rabelais kopieren, aber mehr als ein paar oberflächliche volten gegen die "heroen" der geistesgeschichte, abteilung linksintellektuelle, kommt dabei nicht heraus(k). François Rabelais hatte, mit der sprache spielend, in seinem pamphlet: Gargantua und Pantagruel,(l) die oberflächlichkeit der eliten seiner zeit aufgespiesst, ohne eine theorie der gesellschaft etablieren zu wollen. André Glucksmann gibt vor, eine theorie zu haben, mit der er das denken der marxisten im strom der geschichte kritisch aufgreifen kann, um das zu brandmarken, was die hüter und wächter des sozialismus, selbsternannt, im namen Kant's, Fichte's, Hegel's, Marx' und Nietzsche's, an verbrechen begangen haben. Es mag sein, dass der text der "Maîtres Penseurs" im originalen französisch sich flott lesen lässt, aber eine begründung seiner kritik der aufgespiessten philosophen, logisch konsistent, kann Ich nicht erkennen(m). Der text ist eine rhapsodie von assoziationen, schlüssig in ihrem erscheinen, aber brüchig in ihrer struktur. André Glucksmann reiht worte aneinander, aber seine argumente sind nicht in einer erkennbaren kausalität eingebunden, die logisch bestand hat. André Glucksmann ist ein schwätzer - und Ich lasse es offen, ob es reicht, ihn zu qualifizieren als meisterschwätzer ... .
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(a)

Cohn-Bendit,Daniel: Wer denkt, der irrt. Zum Tod des Pariser Philosophen André Glucksmann, in: DIE ZEIT, 12.11.2015,p.60. Ein nachruf für André Glucksmann.      (a)<==//
(b)
im kontext der gelesenen nachrufe auf den tod André Glucksmann's habe Ich den terminus: sartrianismus, zum ersten mal gelesen. Im zeitalter der ismen ist diese begegnung nicht aussergewöhnlich. Man nehme einen namen, eine sache tut's auch, hänge daran den suffix: ismus, und fertig ist der terminus: Glucksmannismus, oder wie wär's mit dem hammer, und fertig ist der hammerismus - über die phänomene könnten die umstände vielleicht noch einen hinweis geben, aber was ist, oder könnte der begriff sein, bezeichnet mit dem terminus: Glucksmannismus? Darauf weiss Ich keine antwort, aber vielleicht findet der leser dieses textes eine antwort ... .      (b)<==//
(c)
Iwan Petrowitsch Pawlow, die theorie der bedingten reflexe.       (c)<==//
(d)
Daniel Cohn-Bendit, der autor des nachrufs für André Glücksmann, ist ein vertreter dieser kaste. Die attitude des intellektuellen, der auf jeder einschlägigen hochzeit singt, zeigt er auch als politiker.      (d)<==//
(e)
die nachlebenden sind es, die das werk ihres vorgängers für die eigenen zwecke ausbeuten. Ein lehrbeispiel ist der umgang mit dem werk von Karl Marx, das unter dem terminus: marxismus, politisch instrumentalisiert wird. Man kolportiert den satz, dass Marx alles gewesen sein könne, aber eines war er nicht, marxist(01).
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(01)
die marxisten sind die nachlebenden von Karl Marx, und prominent in dieser galerie sind Friedrich Engels und Wladimir Iljitsch Lenin.      (e)<==//
(f)
Ich verweise auf meinen text über die freiheit bei Kant und Hegel, in dem Ich das problem jeder rezeption eines anderen gedankens analyiert und reflektiert habe(01).
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(01)
Richter,Ulrich: Der terminus: freiheit, und die möglichen freiheitsbegriffe im denken Kant's, Hegel's und des rezipierenden individuums als ich. Erkenntnistheoretische überlegungen zu einem methodenproblem historischer rezeption. Text und subtext.(2014/2014).
In: www.ur-philosoph.de  //==>bibliographie //==>verzeichnis //==>signatur: 024:rezeption.      (f)<==//
(g)
von diesen nachrufen ist mir noch der nachruf bekannt, den Arno Widmann verfasst hat(01).
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(01)
Widmann,Arno: Fliehen - aber wohin? Zum Tod des französischen Philosophen André Glucksmann. in: Frankfurter Rundschau, 11.11.2016.      (g)<==//
(h)
Glucksmann,André: Die Meisterdenker("Les Maîtres Penseurs"). Aus dem Französischen von Jürgen Hoch. Reinbeck bei Hamburg: 1978.       (h)<==//
(i)
diese nachrufe sind in den anmerkungen: a und g, belegt.        (i)<==//
(j)
meine fertigkeiten in der französischen sprache genügen nicht, um das beurteilen zu können.      (j)<==//
(k)
zur illustration der methode André Glucksmann's scheint es mir zweckmässig zu sein, als fragment eine passage aus dem kapitel über Friedrich Nietzsche, abschnitt: "Metaphysische Übergabe", zwei absätze ungekürzt zu zitieren. André Glucksmann schreibt(01):
"Kein Leser des Zarathustra(kursiv,ur) kann übersehen, daß das Denken Nietzsches um eine nicht formulierte, aber zentrale Doktrin kreist(<<sein Platz in der Geschichte, im Zentrum>>), es ist die rätselhafte Ewige Wiederkehr des Gleichen. Man wird die mystisch-wahnsinnige Seite bei Nietzsche hervorheben, denn von diesem höchsten Schlüssel weiß er nichts zu sagen, es sei denn, wir sehen, daß Marx nicht mehr über seine letzte Revolution zu sagen weiß und daß Hegel ausdrücklich vermerkt, daß es über seine Fellhose, die einem Monarchen gleich auf dem Gipfel seiner Rechtsphilosophie thront, rundweg nichts zu sagen gibt. Die ewige Wiederkunft, die Revolution, der Monarch, das alles existiert so und nicht anders. Das ist sich alles so ähnlich, so daß es auch nichts anderes sein kann, wenn die ewige Wiederkehr der Revolution von Mao monarchisch <<für 10000 Jahre oder mehr>> angesagt wird. (absatz,ur) Die Meisterdenker schließen alles in dem Ring ihrer Herrschaft ein, ihre Art, alles zu umfangen, ist elliptisch, denn sie hat immer zwei Mittelpunkte: Wille zur Macht und Ewige Wiederkunft, Kapital und Arbeit, Bourgeoisie und Revolution, An-sich und Für-sich, Geist und Natur, Ich und Nicht-ich. Diese großen /(271)Grundsätze treten paarweise auf, sie polarisieren Schlachten und Paradoxa, mehr noch bedingen sie das Denken des Ganzen. Herrschaft über das Ganze: Wille zur Macht. Das Ganze der Beherrschung: Ewige Wiederkunft. Das Ganze der Herrschaft: Das Kapital. Herrschaft des Ganzen: Revolution, Klassenkampf als <<Motor>> der Geschichte usw."(02).
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(01)
oder sollte Ich etwa schreiben: sein dolmetscher ins deutsche sagt,? Die deutsche übersetzung ist, literarisch geurteilt, miserabel.
(02)   Glucksmann,André: a.a.O. p.270-271.      (k)<==//
(l)      Rabelais,François: Gargantua und Pantagruel. Frankfurt am Main: 1974.       (l)<==//

(m)

und noch ein fragment, ungekürzt zitiert aus dem kapitel über Karl Marx, abschnitt: Die Arbeit gibt es auch nicht, ein absatz. André Glucksmann schreibt:
"Bekanntlich haben die Marxomanie und der Boyscoutismus(01) oft im Chor den Ruhm der schöpferischen Arbeit besungen, die Natur humanisiert, den Menschen naturalisiert und die Gesellschaft des <<siebenten Tages>> angekündigt, an dem noch gearbeitet wird ... aber frohen Mutes. Trotz einiger Posaunenklänge solcher Art geht das, was Marx uns sagen will, in eine ganz andere Richtung. Wenn er die Arbeitskraft ein <<lebendiges Feuer>> und <<lebendige Zeit>> nennt, die den Wert der ausgetauschten Dinge begründet, erhebt Marx nicht den Anspruch, das Wesen der Geschichte, das Alpha und Omega der Menschheit, den Grund der Dinge herauszustellen. Er redet weiter von /(239) der Arbeit des Webers: <<In ihrer abstrakten, allgemeinen Eigenschaft also, als Verausgabung menschlicher Arbeitskraft, setzt die Arbeit des Spinners den Werten von Baumwolle und Spindel Neuwert hinzu ...>> Nicht Prometheus zeigt er uns hier, der das lebende Feuer hoch erhoben hält, sondern ein Kapital, das an seinen Arbeitern Feuer faßt. Ob Marx ist oder nicht, die Medaille für hervorragende Verdienste um die Arbeit zeichnet nicht das Leben eines arbeitenden Menschen aus, sondern den Menschen eines Lebens der Arbeit"(02).
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(01)
auf den terminus: marxomanie, kann Ich mir, die ideengeschichte des deutschen idealismus im 19. und 20.jahrhundert als horizont, noch einen reim machen, aber was soll: boyscoutismus, sein? - die nachfrage in Wikipedia blieb ohne antwort, im dtv-lexikon(2006) habe Ich das stichwort: Boyscouts - Pfadfinder, gefunden. Man nehme also das wort: boyscouts, streiche das: s, und hänge den suffix: -ismus, an und fertig ist der boyscoutismus. Worte können klingeln ... (*1).
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(+1)   vgl.anmerkung: b.
(02)   Glucksmann,André: a.a.O. p.238-239.
(m)<==//
finis

stand: 17.07.01
eingestellt: 16.02.18.

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