TEXTSAMMLUNG
zitat des monats
ausgabe: (39)10/18 //10-12/2018 oktober-dezember(blieb stehen bis 11/2019)
Text:
Wir haben Kanzler Schröder viel zu verdanken.
                         (Katja Suding. FDP-politikerin)
                         (quelle: DER SPIEGEL Nr.15/7.4.2018, p.34(01).)
Kommentar:
Das zitat, ein beliebiger satz, ist im tenor typisch, wenn über einen toten gesprochen wird(02), der satz aber, im kontext eines streitgesprächs geäussert, kann eine dynamik entwickeln, die klar werden lässt, dass der satz ein passpartout ist für jeden, der diesen satz entweder als argument interessengeleitet verwendet oder den satz einer kritischen analyse unterwirft; denn jedem argument ist es eigentümlich, dass sein sinn, einem chamäleon ähnlich, einen formbaren inhalt annehmen kann, passend für den gewählten zweck. Es ist ein merkmal für jedes zitat, dass es in keinem fall nur eine bedeutung transferiert, weil das zitat vielfach gedeutet werden kann, in exakt so vielen bedeutungen, wie es individuen als ich gibt, die das zitat, ein fragment aus einem ganzen, für ihre zwecke instrumentalisieren. Jede reflexion eines zitats ist eingebettet in diesen zusammenhang - meine deutung ist eine von möglichen.

Was sind die fakten, die in der analyse des zitats festgestellt werden können?(03).
 
Es unterliegt keinem streit, dass der wohlstand in der gesellschaft einerseits weiter wächst(04), andererseits hängt jedes 6.kind in der Bundesrepublik Deutschland von Hartz_IV-leistungen ab(05). Unstreitig ist, dass in einer boomzeit der wirtschaft einerseits der sockel der langzeitarbeitslosen nicht oder nur sehr zögerlich abschmilzt(06), andererseits hemmt ein eklatanter facharbeitermangel die wirtschaftliche entwicklung(07). Auch sollte es keinem dissens unterliegen, dass das steuerliche existenzminimum und die regelsätze von Hartz_IV(08) nicht das abdecken, was als das bürgerliche minimum an einkünften anzusetzen ist, wenn der bürger am gesellschaftlichen leben teilhaben soll(09). Es kann und es muss über das bürgerliche existenzminimum gestritten werden, weil dieses nicht mit einer statistischen zahl angegeben werden kann und immer ad personam bestimmt werden muss(10).

Das ist die situation, in der synthetisierend die probleme reflektiert werden, die mit dem terminus: agenda 2010, bezeichnet sind, die, wie geredet wird, das meisterstück des Bundeskanzlers a.D. Gerhard Schröder sein sollen, die frage aufwerfend, ob im jahr: 2018, die agenda 2010 noch die erwartungen erfüllen kann, die einerseits die bürger der Bundesrepublik Deutschland von diesen maassnahmen sich erhofft hatten(11), und die andererseits von vielen gefürchtet werden. Die fakten belegen es eindeutig, dass es unredlich ist, einerseits undifferenziert von einem erfolg der agenda2010 zu sprechen, die eklatanten fehlententwicklungen andererseits zu verschweigen und/oder schön zu reden. Die entwicklung der sozialen verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland, 2005 bis heute, erzwingen eine andere, eine differenzierende einschätzung der lage(12).

Es ist schon merkwürdig, dass die investoren, die herren auf den finanzmärkten der welt, nicht mehr wissen, wie sie das geld, es ist das geld der ausgeplünderten, profitabel anlegen können, und de facto, gleich den spielfreaks, die milliarden an geld mit einem klick, früher einem federstrich, in der täglichen börsenrallye vernichten(13). Einerseits wird der >markt< mit den billionen geflutet(14), spielgeld aus dem nichts, andererseits, so sagt man, sei für den arbeitenden menschen das reale geld nicht verfügbar, das allen eine ausreichende bürgerliche existenz sichert. Wenn diese beobachtung der sinn der rede sein soll, für die Ich, pars pro toto, frau Suding zitiere, dann wird mit dem gerede der frau Suding post festum klar, was der herr Schröder kürzlich so gesagt haben soll: seine grösste leistung sei es gewesen, den niedriglohnsektor ausgebaut zu haben(15). D'accord, er, der genosse der bosse(16), hat es erreicht, dass ein drittel der gesellschaft im niedriglohnsektor dümpelt, aber, kann dieses faktum eine leistung sein, auf die die damen/herren: politiker, stolz sein können, die sich verpflichtet haben, das gemeinwohl zu pflegen, ein mandat ausübend, das sie durch die wahl der bürger erhalten haben?

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(01)

Katja Suding, FDP-politikerin in Hamburg, hat den satz formuliert(*1); der ort: ein SPIEGEL-streitgespräch zwischen ihr und dem regierenden bürgermeister von Berlin, Michael Müller(SPD). Der gegenstand des von SPIEGEL-redakteuren moderierten gespräches ist die armut in der Bundesrepublik Deutschland, die langzeitarbeitslosigkeit und das (angedachte) ende von Hartz_IV.
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(*1)   DER SPIEGEL Nr.15/7.4.2018,p.32-34, p.34.      (01)<==//
(02)
im politgeschäft ist die beobachtung geläufig, dass der politiker und/oder die politikerin politisch >tot< sind, wenn sie ihre zeit gehabt hatten. Noch lebt herr Gerhard Schröder und er mischt in der politik weiter mit, aber als lobbyist, nicht des kleinen mannes, wie das nach seiner parteivita vermutet werden soll, sondern als der lakei der bosse(*1), der mächtigen also, die vom gemeinwohl reden und ihr partikularinteresse meinen.
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Die regel gilt, dass der >tote< für die nachlebenden nur ein objekt ihrer erinnerung sein kann, zustimmend oder auch nicht.
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(*1)   das ist eine variante des bekannten spruchs, siehe unten anm.: 16.      (02)<==//
(03)
es sollte beachtet werden, dass im relationalen argument strikt zu unterschieden ist zwischen der analyse eines problems und der synthetisierenden reflexion dieses problems(*1). Die resultate der analyse sind objektiv nachprüfbar, anders zu beurteilen sind die ergebnisse der synthetisierenden reflexion, die jeder für sich verantwortet.
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(*1)   dazu andernorts mehr. //==>INDEX der argumente/stichwort: analysesynthese.      (03)<==//
(04)
das barvermögen der deutschen ist weiter gewachsen, gemäss der letzten meldung in der presse, auf ca.5 billionen Euro(*1).
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(*1)   die quelle ist das Statistische Bundesamt, Wiesbaden.      (04)<==//
(05)
im bericht des Paritätischen Wohlfahrtverbands, 2017, ist die zahl nachzulesen, ein element der statistik.       (05)<==//
(06)
die langzeitarbeitslosigkeit eines teils der bürger hat vielfältige ursachen. Ein aspekt des problems, fundiert in der dummheit der akteure, ist die leichtigkeit, mit den zahlen der einschlägigen statistiken al gusto stimmung zu machen. Derzeit liegt die zahl der offiziell gemeldeten arbeitslosen bei ca.2,5 millionen. Das ist eine statistische zahl, die einer interpretation bedürftig ist, und die interpretation der zahlen ist die stellschraube, mit der, abhängig vom verfolgten zweck, politik(=stimmung) gemacht wird. Es sollte bekannt sein, das die offizielle zahl nicht die realität im markt 1:1 abbildet. Es wird vermutet, dass weitere 2,5 millionen bürger zwar arbeiten wollen, aber auf dem arbeitsmarkt nicht präsent sind, weil sie, per gesetzesdefinition juristisch korrekt, nicht als arbeitslos taxiert sind, sondern geparkt werden in den diversen >maassnahmen< der jobcenter. Nicht von der statistik erfasst sind die bürger/bürgerinnen, die es aufgegeben haben, nüchtern ihre situation einschätzend, im markt nach der arbeit zu suchen, die sie für sich selbst als zumutbar halten(*1).
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(*1)
in den >spitzenzeiten< der arbeitslosigkeit, damals als herr Schröder das sagen hatte, wurden andere zahlen gehändelt. Die arbeitslosenzahl wurde offiziell mit 5 millionen beziffert, die verdeckte arbeitslosigkeit wurde auf weitere 5 millionen geschätzt. Als ausgetauscht erscheinen die zahlen und die struktur des arbeitsmarkts von damals unterscheidet sich nicht von der struktur, die heute beschrieben werden kann.      (06)<==//
(07)
der facharbeitermangel ist derzeit das dominierende problem, aber in der sache unterscheidet sich das problem des mangels an arbeitskräften nicht von dem problem der arbeitslosigkeit. In der presse wird die zahl: 1 million offene/unbesetzte stellen, gehändelt, eine zahl, die ebenso der interpretation bedarf wie die zahl der arbeitslosen. Wenn seriös argumentiert wird, dann ist jeder vergleich ausgeschlossen, der die eine zahl mit der anderen aufrechnet. Es sollte unstreitig sein, dass die situation: nachfrage nach arbeit, und die situation: nachfrage nach arbeitskräften, nicht unmittelbar vergleichbar ist. Es gibt zwar eine korrelation zwischen den zahlen, aber entscheidend sind die gründe, die für die arbeitslosigkeit und für den mangel an arbeitskräften mobilisiert werden, die als gegensätze nicht miteinander aufrechenbar sind.       (07)<==//
(08)
es sollte nicht übersehen werden, dass mit der agenda2010 unter dem terminus: Hartz_IV, drei grundverschiedene sachverhalte zusammengeworfen sind, die, gemäss ihrer struktur und gemäss des verfolgten politischen zwecks, getrennt zu halten sind.
  •  //==> zum ersten die soziale notlage wegen langer arbeitslosigkeit. Das war früher die arbeitslosenhilfe: 1974-2005.
  •  //==> zum zweiten die soziale notlage im alter, weil die renten zu klein sind und, um das existenzminimum zu sichern, die renten aufgestockt werden müssen(grundsicherung im alter).
  •  //==> zum dritten die klassische sozialhilfe in besonderen notlagen, die, situationsbedingt, schwer zu klassifizieren sind.
 Mit der reform: agenda2010, hat herr Schröder drei unterscheidbare sachverhalte in einen topf geworfen(*1), mit der konsequenz, dass etwa ein drittel der gesellschaft am existenzminimum leben muss(*2). Dieses drittel ist von der 2/3-gesellschaft de facto abgeschrieben worden, in der trügerischen hoffnung, den sozialen frieden auf einen verwaltungsakt reduzieren zu können.
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(*1)
die frage ist aufzuwerfen, ob diese vermengung ungleicher sachverhalte ein verstooss gegen das gleichheitsgebot des Grundgesetzes(Art.3.I.GG) ist.
(*2)
auf diese konsequenzen habe Ich immer wieder hingewiesen, nachzulesen in meinen texten. Ich verweise, partes pro toto, auf diese argumente.
  •   1. zdm/(32)/09/12: Franz Müntefering: Ich bin stolz darauf.
  •   2. adm/(16)/09/05: die realität von armut und reichtum.
  •   3. mdb/(16)11/10: Ein heiermann - oder die kalte enteignung des bürgers.(link)          (08)<==//
  • (09)
    die situation wird mit dem terminus: bürgerliches existenzminimum, eindeutig gekennzeichnet und es gibt viele definitionen des begriffs: bürgerliches existenzminimum, die als definitionen aber alle umstritten sind und nicht genügen können, weil das, worauf das zeichen: bürgerliches existenzminimum, abzielt, nicht eindeutig ist, viele phänomene mit umfassend, die zueinander in einem gegensatz stehen. D'accord, dem asketen und dem heiligen mögen die 405€ Hartz_IV (vielleicht) genügen, für den nachkommen eines millionärs aber sind 1 million Euro apanage im monat (sicher) zu wenig(*1). Es ist eine illusion zu glauben, dass mit einer bestimmten zahl das festgestellt werden könne, was das gerechte sein soll, das für alle, die es betrifft, das existenzminimum ist; denn die fixierte zahl kann nur den preis spiegeln, der zu bezahlen ist, wenn in der bürgerlichen gesellschaft die ausgestaltung der bürgerlichen existenz akzeptabel sein soll. Es ist möglich, eine marge festzulegen, in der eine zahl, das existenzminimum fixierend, bezeichnet sein muss, die das trennt, was gemeinhin mit den termini: arm und reich, belegt ist. Es ist aber eine zumutung für den gemeinen verstand, wenn ministerialbürokraten, gestützt auf ihre rechenkünste, statuieren, dass der Hartz_IV-ler am bürgerlichen leben genau dann teilnehmen könne, wenn ihm 0,3 kinobesuche pro monat zugebilligt werden, von höheren kulturerlebnissen ganz abgesehen.
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    (*1)
    es wird kolportiert, dass der letzte Krupp-erbe, seine forderung aus dem erbe kommentierend, mit dieser bemerkung zitiert worden ist: er brauche mindestens 1 million pro monat als äquivalent für sein existenzminimum. Zwingend ist die frage, wie in diesem kontext das existenzminimum der heiligen und der asketen auszugestalten sei. Davon kann einiges in den legenden nachgelesen werden, sicher aber ist, dass die natur für jedes geschöpf exakt das bereit hält, was das existenzminimum der gattung ist.      (09)<==//
    (10)
    das existenzminimum des individuums als ich ist sinnvoll ad personam festzulegen. Das persönliche bedürfnis ist der maasstab und jeder weiss, was geziemend ist und für ihn notwendig. D'accord, das sind umbestimmte rechtsbegriffe, aber sie sind angemessen für den begriff: existenzminimum, weil dieses variabel ist und die zahl nur ein annähernder orientierungspunkt sein kann.       (10)<==//
    (11)
    die sogenannte Hartz-reform in den jahren: 2003-2005, umfasst mehr als nur die neuordnung des geltenden arbeitsrechts und der geltenden sozialhilfe(SGB,II.Buch(alte fassung)). Es gibt in dieser reform elemente, die zweckmässig waren und die sich als wegweisend erwiesen haben. So war es richtig, die empfänger der sozialhilfe, objekte nach altem recht, in den arbeitsmarkt zu intergrieren, aber es war nicht erforderlich gewesen, eine weitaus grössere gruppe, nämlich die langszeitarbeitslosen, auf das niveau der sozialhilfe zu reduzieren und, interessengeleitet, auf die gelobten 1-Euro-jobs abzuschieben, einen wirtschaftssektor schaffend, in dem die löhne gezahlt wurden und werden, die eine aufstockung nach Hartz_IV notwendig machen(*1). Das waren und das sind de facto subventionen für die, die es sich leisten können, arbeit einzukaufen - zu hungerlöhnen, um die renditen von 25% einzufahren(*2). Der niedriglohn-sektor, organisiert von herrn Schröder, ist der sklavenmarkt im 21.jahrhundert.
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    (*1)
    bewusst und zielgerichtet ist im gesetz die verortung der regelung: mindestlohn für geleistete arbeit, hintertrieben worden. Die regierung: Schröder und Co., hatte bis 2005 über die erforderlich mehrheit im Bundestag und im Bundesrat verfügt, um diese regelung durchzusetzen. Erst 2015, auf druck der öffentlichkeit und auch der wirtschaft, bequemte sich die koalition aus CDU und SPD, die sogenannte Groko, zur (halbherzigen) einführung des gesetzlichen mindestlohns, spät aber immerhin, und die Kassandarufe der interessierten wirtschaftslobbyisten erwiesen sich als haltlos, vielmehr zeigte sich, dass die realwirtschaft von der gesetzlichen einführung des mindestlohns profitiert, weil im untersten lohnsegment das plus an lohn unmittelbar in den wirtschaftsprozess zurückfliesst.
    (*2)   zdm/(26)05/08: Josef Ackermann: Wir sind doch keine Unmenschen.        (11)<==//
    (12)
    die lage in Deutschland ist von starken gegensätzen in der gesellschaft geprägt. Dieser widerstreit ist real gewesen, bevor die zuwanderung 2015 die stimmung in Deutschland kippen liess und der boden bereitet wurde, auf dem reaktionäre ideologen und nationale dummköpfe zulauf erhalten konnten. Die chancen schwinden, in einer gesellschaft frieden zu halten, wenn in der gesellschaft die kluft zwischen den da oben und den da unten, korrelierend mit der spaltung in arm und reich, durch unvernünftige politik vergrössert wird, in szene gesetzt von einem lobbyistenklüngel, in dem die vertreter der regierung mit denen der wirtschaft gemeinsame sache machen zu lasten der gemeinschaft(*1).
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    (a)   siehe auch den aktuellen text: Beschämend - schamlos. //==> mdb/(25)/10/18.      (12)<==//
    (13)
    der Bayerkonzern, der gerade, nur mal so, einen anderen konzern gleicher grösse, Monsanto, geschluckt hatte, hat in der börsenrallye, mitte august 2018, 10milliarden Euro an börsenwert verloren - das ist verbranntes geld, genauer: das sind die profiterwartungen, die in geld ausgedrückt werden. Es war bekannt geworden, dass Monsanto wegen einer altlast mit chemischen giften eine entschädigung von ca.340millonen$ an einen einzelnen geschädigten zahlen soll.      (13)<==//
    (14)
    die niedrigzinspolitik der notenbanken, die die finanzmärkte der welt mit geld, aus dem nichts geschöpft, flutet, hat mit der realwirtschaft nichts mehr zu tun, in der durch die arbeit der menschen die werte geschaffen werden, die alle geniessen sollen. Im schatten des neoliberalismus ist eine parallelwelt entstanden, die der bürger nicht ignorieren kann, weil dort die kräfte wirken, die ihn ausplündern. So war's in der historia schon immer gewesen, damals, als man die ausplünderung des arbeitenden menschen sklaverei nannte, heute redet man vom recht des menschen auf arbeit und schert sich einen dreck um das individuum.      (14)<==//
    (15)   Ich zitiere aus der erinnerung. Den spruch hatte Ich im rundfunk gehört.      (15)<==// 
    (16)
    die floskel: der genosse der bosse, wird immer wieder zitiert und gilt schon als ein geflügeltes wort. Es hat sich losgelöst von der person, dem herrn Gerhard Schröder, auf den es einst gemünzt war. Angepasst an die situation wird das wort ad libitum in den passenden situationen als argument gebraucht, auch missbraucht.      (16)<==//
    finis
    stand: 19.11.07.
    eingestellt: 18.10.01.

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