TEXTSAMMLUNG
zitat des monats
ausgabe: zdm/(44)11/22 / november/2022    (blieb stehen bis 01/2021)


Text:

Bild: Wladimir Putin im Kreml.

         
                                                         (quelle: DER SPIEGEL, Nr. 30, 23.07.2022, p.8.(a))  (und ergänzung: //a01)


Kommentar:

Jedes bild, nicht nur ein text, kann als zitat(b) gebraucht werden. Das problem ist allemal das gleiche: das, was zitiert ist, bedarf der interpretation, weil weder das wort noch das bild das sein können, für das sie stehen. Das problem ist das narrativ, das mit dem bild ohne worte etwas erzählt. Spektakuläres ist nicht erkennbar, das bild zeigt eine beliebige situation, die dann real ist, wenn im bild die akteure ihre zugeordnete rolle spielen. Durch die szene eilt der machthaber, der lakai salutiert und das gold der macht ist der paravent.  

Es ist der betrachter des bildes, dem eine welt mit dem gezeigten bild geöffnet wird(c), die zweideutig eindeutig ist, abhängig von der situation, in der der betrachter des bildes diese situation als ein faktum wahrnimmt. Seine welt kann der betrachter auch dann nicht ausblenden, wenn er mit einer welt konfrontiert wird, die seine welt nicht ist und diese welt als eine welt einschätzt, wie sie nicht sein soll, aber real ist.

Die photographierte szene ist banal und wiederholt sich in nichtgezählten varianten. Nicht banal ist aber die inszenierung des geschehens: der machthaber, eine mit gold verkleidete tür durchschreitend, erwartet beachtung, die der gardist mit seinem salut stellvertretend für das zuschauende publikum leistet. In seinem gesicht spiegelt der machthaber die gleichgültigkeit, die in seinem lauernden blick kalkulierend ihr pendant hat, verachtung zeigend für das imaginierte publikum, das volk. In der mit gold ausgekleideten tür sind die divergenten momente reflektiert, die dem geschehen im bild den glanz der macht verschaffen. Wird jedoch der talmiglanz der macht ausgeblendet, dann schrumpft der akteur im bild zu einer beliebigen person zusammen, dem die honeur gemacht werden, geliefert von einer person, die an der tür verwechselbar ist mit jedem husaren einer örtlichen karnevalsgarde(d). Diese deutung des bildes ist ein konträres narrativ, weil der machthaber, der inszenierung in der realität bedürftig, die inszenierung der macht zur rechtfertigung seines machtanspruches instrumentalisiert, der macht nämlich, deren rückseite die gewalt ist, mit der er seinen machtanspruch, in raum und zeit limitiert, durchsetzt(e), aber, sein machtanspruch, einer offenbarung gleich, ist faktisch eine illusion, die kontrafaktisch den mächtigen(f) als die schwächste figur in der clique ausweist, die ihn als anführer der clique auserkoren hat, einer clique von den kumpanen, die den mächtigsten als gallionsfigur solange toleriert, solange er fähig ist, einerseits das geschäft der clique zu promoten, das andererseits den fortgang der show garantiert.
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(a)      gescannt, das bild im format etwas beschnitten.     (a)<==//  
(b)
jedes zitat(01) ist zweideutig, einerseits in der intention des zitators eindeutig, eindeutig andererseits in der deutung des jeweils adressierten.
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(01)
die sprachwurzel des terminus: zitat, weist drei bedeutungen aus(*1).
  1. das wort: citatus, das ist das partizip: herbeigerufen.
  2. das wort: citare, das ist das verb in den bedeutungen: aufrufen, bescheiden, vor gericht laden, vorladen, anklagen, namentlich anführen, nennen, anstimmen.
  3. das wort: citatio, das ist das substantiv: die vorladung, (mittelalterliches latein).
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(*1)   alle angaben nach dem Deutschen Wörterbuch(1980), p.1468, herausgeben von Gerhard Wahrig.     (b)<==//  
(c)
die differenz: bild/reale welt, ist zu beachten. Es sollte unstreitig sein, dass der akteur die goldverzierte tür durchschritten hatte und ein gardist salutierte. Dieses ereignis ist ein faktum der vergangenheit, das als ereignis jederzeit wiederholt werden kann, solange, wie der akteur im amt ist. Das photo von dem ereignis, das im moment der gelebten gegenwart geschossen worden war, ist auch ein faktum der vergangenheit, mit der differenz aber, dass das bild als photo ein ding der welt ist, das kein pendant hat, das, ein anderes photo seiend, das ereignis in einem anderen photo dupliziert, das gleiches zwar zeigen kann, als photo aber mit dem je anderen photo nicht identisch fällt. Es ist zu unterscheiden, dass einerseits die photographie eines ereignises als photo in gleicher weise ein faktum der vergangenheit ist wie das ereignis selbst, andererseits aber ist das ereignis als ein gleiches ereignis wiederholbar, das in einem anderen moment der gelebten gegenwart als ein anderes ereignis präsent ist. Dem zitierten photo steht entgegen, dass das photo, das neue ereignis in einem bild fassend, ein anderes photo ist, das als photo, in einem anderen moment der gelebten gegenwart geschossen, ein anderes photo sein muss, das in seiner komposition als bild in einem bild das ereignis zwar verdoppelt, aber als bild real ein anderes photo ist, das einerseits den anderen bildern ähnlich und/oder gleich erscheint, andererseits aber als dieses photo weder mit den möglichen ereignissen identisch fallen kann, noch wird das ereignis selbst im bild wiederholt, das als ereignis in der realität ein anderes ereignis gewesen war(01). Diese differenz muss jeder betrachter des bildes als denkbare interpretation des bildes in sein kalkül einbeziehen, ein kalkül, das allein der betrachter des bildes ad personam formulieren kann.
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(01)
es ist ein zufall, dass mir ein zweites photo verfügbar ist(*1), das aus derselben photoserie stammen dürfte, die auf dem pressemarkt gehandelt wird.
bild: 002

        

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(*1)   //==> anm.: (a). Quelle: Westfälische Nachrichten, 06.10.2022, p.2, (dpa).     (c)<==//  
(d)
es ist ein missverständnis, wenn dieser vergleich mit einem karnevalsverein als eine verharmlosung der faktischen macht gedeutet würde. Das missverständnis ist gegründet im wissen, das die vermutung, der machthaber könne mächtig sein, falsch ist, weil auch der mächtigste, so erscheinend, abhängig ist von seinen kumpanen, die ihn als anführer der clique erkoren haben und der führer der clique ist solange ihr führer, solange er als machthaber liefern kann ... .        (d)<==//   
(e)
es sollte bedacht werden, dass die macht des mächtigen, gegründet auf gewalt, mit der ohnmacht des schwachen korreliert ist. Ohnmacht und macht sind de facto ein nullsummenspiel, weil die abweichung vom imaginären nullpunkt zwischen macht und ohnmacht die maasszahl markiert, mit der die reale verfügungsgewalt über die greifbaren machtmittel fixiert wird.     (e)<==//  
(f)
es macht keinen unterschied, ob der machthaber sich als autokrat geriert, als tyrann und/oder als führer. Die struktur der macht ist von diesen spezifikationen nicht abhängig.      (f)<==//   
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(//a01)     eine notwendige ergänzung.
    Das zitierte bild weist den russischen photographen: Alexander Zemlianichenko, als urheber aus, das copyright dürfte bei der agentur: AP, liegen. Eine firma namens: PicRigths, mit sitz in der Schweiz macht eine verletzung des copyrights geltend und fordert für ihre "leistung" von mir 90,00€, offenbar auf der grundlage eines windigen geschäftsmodells. Ich habe das urheberrecht der AP nicht verletzt und die beiden bilder korrekt nach § 51 UrhWissG zitiert.
    Der rezipient dieses textes kann selbst urteilen. Wenn es nicht mehr möglich ist, ein argument, sei's ein text, sei's ein bild, zum gegenstand einer analyse und/oder einer synthetisierenden reflexion zu machen, dann ist der öffentliche diskurs gefährdet und die gefahr ist real, dass genau die verhältnisse geschaffen werden, die derzeit in Putin's Russland der standard sind.   (a01)<==// 
finis

ergänzung/stand: 23.03.01.
eingestellt: 22.11.01.

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