TEXTSAMMLUNG
zitat des monats
ausgabe: zdm/(48)03/25 / märz/2025   (blieb stehen bis 07/2025)

Text

"Wer nur im Kreis läuft, kann keine Fortschrittskoalition führen".
               (Christian Lindner, FDP-chef und ex-finanzminister(a))


Kommentar.

 I
    Ein zitat kann banal sein, prima vista, secunda vista aber ist mit dem zitat ein panorama dann geöffnet, wenn der horizont mit einbezogen wird, in dem der zitierte, hier der ex-finanzminister: Christian Lindner, seinen satz gesagt hatte. Der horizont, besser formuliert in der sprache der theatermacher, die kulisse des zitats ist der zerfall der "ampelkoalition" - auf der bühne und im back der kulisse wird, höflich formuliert, wahres gesagt und falsches kolportiert - al gusto nach dem interesse falsch oder richtig, diese frage aber wird nur noch den historiker interessieren, wenn er seiner wahrheit nachspürt. Was also macht das zitat so interessant, das, abgelegt im protokoll der bundestagssitzung, sein ewiges dasein fristen wird?

 II
    Herr Lindner hat mit dem terminus: wer, Olaf Scholz addressiert, der als bundeskanzler seit dem 6.november 2024 ohne parlamentarische mehrheit ist. Das ereignis wird in der öffentlichen debatte kommentiert mit der meinung, dass Olaf Scholz, der bundeskanzler, es gewagt habe, seinen finanzminister: Christian Lindner, aus der regierung "rauszuschmeissen". Wie dem auch sei(b), mit dem satz, gesprochen auf der bühne der politik, hat Christian Lindner, einmal ausgesprochen, die ebene der politik verlassen und sich auf eine metaebene begeben, auf der die kategorien der politik eine andere funktion haben.

    Der ex-finanzminister: Christian Lindner, der politiker, argumentiert  auf der ebene der geometrie, im blick die geometrischen figuren, einerseits die gerade linie, andererseits die kreislinie. Er instrumentalisiert auf der ebene der politik als argument die geometrischen figuren: kreis und linie, diese als metapher gebrauchend, um seine interessen durchzusetzen. Das verfahren ist legitim, aber, die gleichsetzung der geometrischen figuren mit der politischen realität produziert zwingend falsche schlussfolgerungen, weil die logik der politischen interessen nicht immer kompatibel ist mit der logik der geometrischen figuren.

    Es ist im politischen geschäft eine konvention(c), den kreis zu assoziieren mit der idee der beschränkung und des stillstands, die gerade linie aber mit dem fortschritt und der freiheit. Das sind willkürliche zuordnungen, die in der realität von raum ud zeit nicht zwingend sind. Die logik des kreises und der kreislinie ist, dass jeder punkt auf den kreislinie denselben abstand zum mittelpunkt des kreises hat; folglich muss, wenn die punkte der kreislinie durchschritten werden, irgendwann einmal wieder der ausgangspunkt erreicht werden, der im raum zwar derselbe ist, in der zeit aber ein anderer punkt sein wird. Die linie, gerade oder krumm, ist durch zwei punkte definiert, zwischen denen der raum und die zeit different sind. Die logik der bilder, abgeleitet aus der geometrie, ist(d), dass der wanderer auf dem weg, im kreis gehend, in der zeit immer wieder im ausgangspunkt ankommen wird, die chance habend, zu sich selbst zurückzukehren, um wieder fortschreiten zu können. Der wanderer auf der linie hat in raum und zeit den ausgangspunkt verlassen und der zielpunkt liegt in der ferne(e), der, wenn das ziel erreicht sein wird, den weg abgeschlossen hat, dem wanderer die rückkehr zu sich selbst verschliessend.

    In ihrer logik werden die bilder der geometrie aufgeladen mit den bildern der erfahrung und es werden verknüpfungen geschaffen, die nicht immer erklärbar sind mit der idee der kausalität. Die idee der natur, als ganzes in sich ruhend, wird mit dem kreis symbolisiert, ein nachvollziehbarer gedanke, weil die prozesse in der natur die ewige wiederkehr des immergleichen zu sein scheinen(f) - generation folgt auf generation und dies seit millionen von jahren. Die geburt eines lebewesens wird im tod dieses lebewesens abgeschlossen sein, der tod des lebewesens ist die bedingung, dass ein neues, ein anderes lebewesen geboren werde kann - nichts geht verloren, aber es wird auch nichts neues hinzugefügt. Die idee der ökonomie, die ein ganzes sein soll, wird mit der linie symbolisiert, die grenzenloses wachstum zu sichern scheint. Auf das "mehr", das ein teil ist, folgt ein "noch mehr", das auch nur ein teil sein kann und dem weitere teile folgen werden, die sich nicht zu einem ganzen fügen. Das hinzufügen immer neuer teile wird als fortschritt interpretiert, der offen lässt, was der anfang gewesen war und was das ende sein wird. Die ideologie des neoliberalismus(g) folgt dieser bewegung zum "immer mehr", dem das sichernde fundament längst zerbrochen ist. Einerseits verflüchtigt sich das "immer mehr" im nebel des unendlichen, andererseits bleiben im crash die trümmer im endlichen zurück(h).

    Es sind zwei differente weltbilder, die der ex-finanzminister: Christian Lindner, markiert hatte und die in ihrer gegensätzlichkeit sich nicht zusammenfügen lassen. In dieser perspektive hat Christian Lindner etwas richtiges gesagt, das auch dann richtig bleibt, wenn seine intention eine andere gewesen sein dürfte.
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(a)
in seiner replik auf die regierungserklärung des bundeskanzlers: Olaf Scholz, im Bundestag hatte Christian Lindner diesen satz in der plenardebatte des bundestags am 13.11.2024 gesagt(01).
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(01) Ich stütze mich auf die fassung, die im internet verfügbar gewesen war. BTag-protokoll/ p.25834 C ff.      (a)<==//    
(b)
korrekt ist, wenn gesagt wird, der bundeskanzler habe den bundespräsidenten gebeten, den minister zu entlassen und der bundespräsident hat dem gesuch stattgegeben.      (b)<==//    
(c)
die konvention, geometrische figuren mit einem bestimmten sinn zu assoziieren, kann dann sinnvoll sein, wenn komplexe situationen in den formen des anschaulichen erklärt werden sollen. Diese methode aber hat ihre grenze darin, dass aus den vergleich: geometrie und politik, kein gültiger schluss von der logik der geometrischen figur auf die logik des politischen handelns gezogen werden kann. Die logik des handelns in einer sozialen beziehung ist eine andere als die logik eines kreises und/oder einer linie.      (c)<==//    
(d)
auf der kreislinie ist der anfangspunkt immer auch der endpunkt der bewegung, und das ende der bewegung auf der kreislinie ist immer auch der anfangspunkt einer anderen bewegung. In der natur stehen dafür die vorstellungen von geburt und tod, die in einem zyklus des lebens zusammengefügt sind. Das signum der linie ist das wachstum, oder, in anderer perspektive, der zerfall. Die zentrale kategorie der ideologie: neoliberalismus, ist das wachstum, das in seiner endlichkeit weder ein ziel hat noch einen startpunkt.      (d)<==//    
(e)
jede linie verliert sich im unendlichen, wenn sie, gebunden in raum und zeit, nicht durch das ende begrenzt ist, der weder im raum noch in der zeit der anfang oder das ende der bewegung sein kann, die mit der linie markiert ist.      (e)<==//    

(f)      nach dem theorem der ontologie Friedrich Nietzsche's frei formuliert.       (f)<==//    
(g)
es sollte im blick gehalten werden, dass der neoliberalismus des 20./21.jh.s nichts gemein hat mit dem politischen liberalismus des 18./19.jh.s, auf dessen panier die bürgerlichen freiheitsrechte des einzelnen stehen. Im historischen rückblick hatte es einen "fortschritt" in den verfügbaren freiheitsrechten des einzelnen bürgers gegeben, früchte des fortschritts, die im prozess der gegenwart gefährdet sind und entsorgt werden sollen in der reaktivierung feudaler gesellschaftsmodelle.      (g)<==//    
(h)
es genügt, einen blick auf die historia der grossen weltwirtschaftskrisen zu werfen, partes pro toto: die tulpenpleite in Holland(1637)(01), die weltwirtschaftskrise 1929, die finanzkrise 2008.
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(01)
lesenswert ist der artikel in Wikipedia(*1). Die damaligen ereignisse in den Niederlanden sind die blaupause für die nachfolgenden wirtschaftskrisen, die den verlauf einer spekulation an der finanzmärkten nachzeichnet, auf "ewiges" wachstum setzend.
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(*1)   Wikipedia, artikel: Tulpenmanie. dl.25.02.11.      (h)<==//     
finis

stand: 25.08.01.
eingestellt: 25.03.01.

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