TEXTSAMMLUNG

das argument des monats
ausgabe: 10/02  oktober-dezember/2002
 

Die Ich-AG. Kapital und arbeit im schnittpunkt der zeit.

Schlagwörter machen sich immer gut; sie scheinen ein problem auf den punkt zu bringen, der keinen widerspruch mehr duldet. Eines dieser schlagwörter ist im bundesdeutschen herbst 2002 das wort: Ich-AG, (eine schlaumeierin machte dem Hartz die wortschöpfung bereits juristisch streitig, aber das ist eine andere geschichte(1). Zugegeben, der terminus: Ich-AG, hat seinen charm - der deutschen sprache und ihrer plastizität sei dank, aber was soll der terminus bedeuten? Auf welches phänomen zielt er ab, was definiert der begriff, der so bezeichnet wird? Im analytischen blick verblasst schnell der glanz des neuen und die elende realität wird sichtbar, unabweisbar.

Als zeichen ist der terminus: Ich-AG, eine verknüpfung der termini: ich, und: AG. Sie bezeichnen phänomene und begriffe, die als begriffe und phänomene nicht so einfach zusammengefügt werden können wie die zeichen. Was eine AG ihrem begriff nach ist, definiert das gesetz: "Die Aktiengesellschaft ist eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit. (...) Die Aktiengesellschaft hat ein in Aktien zerlegtes Grundkapital"(§1 AktG). Als phänomene sind die AG's bunt gestaltet und derzeit in den medien nicht ruhmreich präsent - Holzmann, Babcock, Worldcom genügen als stichworte. Was der terminus: ich, bezeichnen soll, ist schon schwieriger festzustellen. Ich denke, mir wird keiner grundsätzlich widersprechen, wenn Ich sage, dass der terminus: ich, eine person, also einen menschen, bezeichnen soll, der, wie das gesetz es statuiert, als lebewesen und damit als ein phänomen sich von den anderen lebewesen durch die würde unterscheidet, die zu schützen der staat verpflichtet ist(Art.1.GG).

Diese wenigen fakten genügen, um die differenzen zwischen dem sprachlichen zeichen und den phänomenen hinreichend zu fixieren. Eine person ist per definitionem keine juristische person, und das argument, das in aktien zerstückelte kapital mit der würde des menschen gleichzusetzen, hat eine qualität, die religiöse gefühle berührt - es ist blasphemie. Aber diese überlegungen sind schon zu differenziert, um die politiker und medienexperten in ihren geschäften zu stören, die, nach bildern gierend, die sprache missbrauchen, weil sie, wie Ich vermute, nicht einmal wissen, was ihre zwecke sind. Offenkundig ist nur die tendenz, mit dem blendenden terminus: Ich-AG, eine realität zu verdecken, die ein skandal ist, nämlich die reduktion des individuums als ich auf ein mittel zum zweck, das den bedingungen der ökonomie, variante shareholdervalue, angepasst ist; hier aber gelten allein die bedingungen der macht und der gewalt. Die hausse des themas: terrorismus, ist heute kein zufall.

Mit zwei weiteren argumenten will Ich den schönen schein des terminus: Ich-AG, relativieren.

Zum ersten argument.

Die im terminus: Ich-AG, indizierte verknüpfung der begriffe: ich und aktiengesellschaft, ist ein widerspruch, der die konstruktion des begriffs: Ich-AG, ausschliesst. Eine natürliche person ist keine juristischen person, das gilt auch vice versa. Jedermann wird sagen, das sei doch klar, so steht's im gesetz. Nur ist diese beweisführung zirkulär und damit unzulässig. Der grund ist ein anderer.

Die rechtsfigur der juristische person ist eine zweckmässige konstruktion, die im rechtsleben bestimmte soziale beziehungen zwischen den individuen als ich, die sich zu gruppen zusammengefunden haben, handhabbar macht. Man sagt, dass eine gruppe, sei's ein AG, eine partei oder ein verein, wie eine person mit einem eigenem willen handelt. Als fiktion bietet diese konstruktion unbestreitbar praktische vorteile, in der realität aber ist die konstruktion, wenn sie wörtlich genommen wird, schlichter unsinn. Wenn solche gruppen handeln - und die formeln dafür sind geläufig: die regierung handelt... usw. - dann sind es die individuen als ich, jedes für sich, die agieren; ihr handeln als person aber erscheint abstrakt als ein kolllektives handeln der gruppe. Die gruppe als phänomen handelt nicht; denn entfallen die personen, dann ist, weil per definitionem mindestens drei individuen als ich benennbar sein müssen, die gruppe nur noch eine leere sprachhülse, die mit beliebigem inhalt angefüllt werden kann.

Es war unbestreitbar eine geniale idee(2), das kapital - in der form von aktien - zu einer juristischen person zu erklären. Zumindest im rechtsleben der individuen als ich sind damit bestimmte relationen zwischen den menschen leichter zu handhaben, aber die fiktion ist kein grund, das kapital zu einer person zu verklären; vielmehr verdeckt die fiktion das faktum, dass hinter dem kapital sich individuen als ich verstecken, die mit ihren interessen mit denen anderer konkurrieren. Diese individuen als ich sind es, die es verstehen, mit hilfe der sinnvollen konstruktion einer juristischen person als tarnkappe sich vorteile gegenüber ihrer konkurrenz, den natürlichen personen, zu verschaffen. Für das kapital gilt nur das gesetz der zahl, und 1000 ist nun einmal mehr als 10; folglich kann das kapital 1000 das kapital 10, da für beide das prinzip: 1 = 1, gilt, nach gutdünken unter druck setzen und, falls erforderlich, auch verschlingen - wie das geht, kann jeder in den täglichen wirtschaftsnachrichten verfolgen, und die sozialgeschichte ist ein unerschöpfbares reservoir von beispielen. Schon immer hatte der bettler die funktion einer "Ich-AG", bevor die ideologen der postmoderne das zeichen erfunden hatten.

Zum zweiten argument.

Die bedingungen, unter denen das individuum als ich und eine AG auf dem markt agieren müssen, sind nicht gleich.

Das kapital(3) einer AG, quasi ihr herz, ist eine zahl und sonst nichts; der wert, den die zahl repräsentiert, sind die vorstellungen, die die individuen als ich mit der zahl verknüpfen; es sind die erwartungen, die das individuum als ich mit der zahl hegt, und die es am markt nicht immer durchsetzen kann(4). Soweit nur die zahl gehändelt wird, ist das kapital 1000 oder das kapital 10 zeitunabhängig, in den rechnungen können nur diese beiden zahlen auftreten, oder sie werden durch andere zahlen ersetzt, was eine andere situation schafft, die eine vergleichung der beiden situationen ausschliesst. Was eine AG in die waagschale legt, das ist das versammelte kapital, das in einer zahl jenseits jeder zeiterfahrung fixiert ist.

Das individuum als ich legt seine arbeit in die waagschale. In der arbeit erkennt es sich selbst als ich(5) und diese erkenntnis ereignet sich in seiner zeiterfahrung(5). Damit ist der wert seiner arbeit nur im moment der gelebten gegenwart gültig, und folglich in zahlen nicht ausdrückbar. In jedem moment seiner gelebten gegenwart muss das ich sich arbeitend neu bestätigen, und die werte seiner arbeit, in zahlen fixiert, sind facta der vergangenheit, die im gelebten moment erinnernd bestätigt werden oder nicht. Der wert, den das ich seiner arbeit beilegt, ist, wie die erfahrung es immer wieder zeigt, mit den werten, die der markt aktuell der arbeit zubilligt, nur in den glücksmomenten des ich ausgewogen.

Der markt, der ungleichmachende gleichmacher, schätzt den wert der arbeit als gering ein, weil die arbeit, von der zeiterfahrung des ich abhängig, dem gesetz der zahl, für das die zeit irrelevant ist, nicht folgt. Arbeit versus kapital - das kapital, keiner zeiterfahrung unterworfen, vernichtet die arbeit des ich und transformiert diese in zahlen, die aber am markt als vorstellungen von werten präsent sind, die von individuen als ich formuliert werden, die ihrer zeiterfahrung folgen. Sie schlagen den takt, den das kapital markiert. Die konsequenzen sind auch für denjenigen nicht ignorierbar, der "Das
Kapital" vom alten Marx nicht gelesen hat. Das kapital, namenlos und tarnkappe bestimmter individuen als ich mit ihren interessen(6), terrorisiert die individuen als ich, die in ihrer arbeit immer einen namen haben, und die logik des marktes impliziert, dass das kapital auch mordet. Es zeugt nicht nur von gesellschaftlicher und historischer blindheit, sondern es ist auch zynisch, der öffentlichkeit unter dem zeichen: Ich-AG, die lösung eines politischen problems vorzuschlagen, das ein dauernder gesellschaftlicher skandal ist, nämlich die ausbeutung des menschen durch den menschen, wobei einige als die vermeintlich mächtigeren und stärkeren die anderen terrorisieren - ihr schibboleth ist das kapital.
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anmerkungen:
(1) vgl. Der Spiegel 33/2002,p.78. Frau N.Strauss, PR-beraterin, hatte die "wortmarke" bereits 2001 beim Patentamt eintragen lassen. Ernste sachen sind ein fall für's kabarett. Demnächst also werden die deutschen für die nutzung ihrer sprache gebühren bezahlen, weil irgendeiner beim patentamt für die worte markenschutz beantragt und bekommen hat - herrliche tage werden anbrechen....  <--//
(2) die idee, auf diese weise das kapital (was immer dass auch sein mag) in die rechtsbeziehungen der personen einzubeziehen, ist zweifellos ein wirkungsvoller kunstgriff. Es ist aber unerlässlich, die grenze dieses tricks zu kennen, um den trick segensvoll anwenden zu können, andernfalls produziert er nur unsinn, der nicht selten auch tödlich ist. <--//
(3) die definitionen des kapitals sind umstritten, aber in einem punkt scheint einigkeit zu bestehen: das kapital ist keine menschliche person, auch dann nicht, wenn ihre protagonisten davon schwätzen und Mammon als gott einsetzen. <--//
(4) die börsenkursen sind das sichtbare zeichen. Sie drücken erwartungen aus, nicht aber reale werte; entsprechend ist auch das tägliche up and down der ziffern auf den kurstabellen der börsen, die das aktuelle geschehen auf den roulettischen von spielhöllen spiegeln. <--//
(5) mehr zu meinen theoretischen überlegungen:
-->bibliographie:
der begriff: das ich,          --> 006:Hegel/Adorno: --> text     <--//
der begriff: zeiterfahrung, --> 001:zeiterfahrung --> text
                                      --> 004:geschichte --> text      <--//
(6)  Ich bestreite nicht, dass diese interessen auch legitim sein können. Aber diese interessen sind nur dann legitim, wenn sie mit den interessen der anderen konsensfähig sind. Die in den zahlen ausgedrückte maasslosigkeit ist nur in einem sehr engbegrenzten bereich konsensfähig. <--//
 

stand: 03.01.03.

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