TEXTSAMMLUNG
das argument des monats
ausgabe: adm (39)05/22 // 05/2022 mai/2022 (blieb stehen bis 10/2021)
Der tyrannenmord - eine nicht_mögliche handlung.
Die frage ist umstritten, ob die tötung des tyrannen(a) moralisch
gerechtfertigt sein könne oder gerechtfertigt werden kann(b). Das problem ist
die bewertung einer handlung, die prima vista als mord
bezeichnet wird, secunda vista aber nur die tötung eines
individuums ist(c).
Diese unterscheidung kann im ontologischen argument
widerspruchsfrei nicht getroffen werden, weil die
entscheidungsnorm, wirksam in der tradition als das biblische
tötungsverbot des gesetzgebenden gottes, keine differenzierung
der tötungshandlungen zulässt, differenzierungen, die im
horizont des relationalen arguments das fundament des
moralischen urteils sind. Der drehpunkt der differenzierungen
ist der begriff: gewalt,(d).
In der natur ist die gewalt ein faktum, in der kultur aber ein
phänomen, dessen wahrnehmung in vielfältiger weise gedeutet
werden muss. Gewalt gegen individuen kann zulässig sein und
akzeptiert werden, gewalt gegen den genossen aber, der als
individuum ein ich ist, ist unzulässig. Diese differenzierung
ist eine handlung des individuums als ich, das für seine
handlungen verantwortlich ist.
Es sollte unstreitig sein, dass jede tötung von leben eine form
der gewalt ist(e), die
in den bestimmten situationen der natur und/oder der kultur ein
faktum sind. In der natur ist die tötung anderer individuen
unabdingbar, wenn das individuum sich in seiner existenz
erhalten will, in der kultur aber, die das individuum als ich
mit seinem genossen geschaffen hat, ist die tötung des je
anderen als der_andere ausgeschlossen und die anwendung von
gewalt ist, um die im konsens geschlossenen regeln durchsetzen
zu können, allein in der beschränkung durch ein gesetz
akzeptabel und zulässig. Gewalt ist dann mord, wenn der zweck
der gewalthandlung die tötung des genossen ist(f), gleichviel, welche begründung dafür
geltend gemacht wird(g).
Dieses argument ist dann ohne gegenstand, wenn das individuum,
das ein ich sein wollte und sich als das ich selbst geschaffen
hat, durch seine gewalthandlung sich selbst als das ich
entmächtigt und zu einem individuum geworden ist, das das_andere
ist, nicht unterscheidbar von den anderen lebewesen der natur(h).
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(a)
geläufig in der tradition ist der terminus:
tyrannenmord. Das problem ist die terminologie, mit der das
problem verschleiert werden kann. Es ist tradition, zwischen
tötung und mord zu unterscheiden und im strafrecht
differenzierend darauf zu reagieren. Die praxis ist allgemein
akzeptiert, die begründungen aber sind theoretisch schwach
fundiert. Die tötung eines individuums ist ein faktum, das,
weil geschehen, ein factum der vergangenheit ist, das in
unterschiedlicher weise wieder erinnert in den moment der
gelebten gegenwart zurückgeholt werden kann, nicht als jenes
faktum: gewalt, aber als gegenstand eines deutenden
urteils(=werturteil), das als urteil(=argument) ein ding der
welt für sich ist und nicht mit dem faktum der gewalt
gleichgesetzt werden sollte. In diesem deutenden urteil ist
das entscheidende momentum die differenz zwischen dem
individuum als ich und dem individuum. Das individuum kann die
gewalt anwenden, die für das individuum als ich nicht
zugestanden ist, wenn das individuum als ich das sein will,
was es ist, ein ich, das sich autonom entscheidet, in der
entscheidung seine welt sehend, die es geordnet hat. In diesem
argument ist die feststellung impliziert, dass, wenn ein
"tyrann" getötet wird, die handlung selbst zwar eine tötung
ist, aber kein mord sein kann(01), weil der getötete tyrann,
der durch seine handlungen sich selbst als ich entmächtigt
hatte, als individuum, das das ich sein will, nicht der_andere
sein kann, aber etwas anderes sein muss, das als individuum
nur das_andere ist(02).
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(01) //==> anm.: (c).
(02)
davon sind die phänomene zu unterscheiden, die in
den dokumenten der historia unter dem slogan: gewalt gegen
sachen, bekannt geworden sind. Einerseits ist in der natur
gewalt ein faktum, andererseits ist die gewalt gegen sachen
ein phänomen der kultur, das vom recht eingehegt ist. Die
sachbeschädigung des guts eines genossen ist ein fall des
gemeinen rechts und sollte in diesem bereich diskutiert
werden. text(a)<==//
(b)
die einträge in den lexika(01) sind knapp und
beschränken das problem entweder auf eine frage der ethik oder
eine frage des politischen kalküls. Das sind relevante aspekte
der beurteilung der gewaltphänomene, die aber das fundament
des problems nicht erreichen können. Der tyrann hatte gewalt
angewendet, die mit gegengewalt beantwortet wird, jene gewalt,
die, differenzlos alles zerstörend, mit differenten
perspektiven auf den gerade verfolgten zwecks gerechtfertigt
werden soll(02). Die fokussierung des arguments auf das
problem der gewalt, relativiert den rückgriff auf bestimmte
werte, die, immer umstritten, als rechtfertigungsgrund
angeführt werden könnten, aber, gewalt ist gewalt, nichts
anderes, und folglich ist der versuch, eine gewalthandlung als
mord zu qualifizieren, nicht ohne die vorstellung eines damit
verfolgten zwecks möglich.
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(01)
konsultiert wurden:
1. dtv-lexikon. München: 2006, stichwort:
tyrannenmord, Bd.22,p.264.
2. Wörterbuch zur Politik. Stuttgart:
1995, stichwort: tyrannis, p.967.
3. Historisches Wörterbuch der
Philosophie. Basel: 1971-2007, stichwort: tyrannis, Bd.10,
sp.1607-1618.
(02) als maxime gilt, dass der zweck nicht jedes
mittel rechtfertigen kann. text(b)<==//
(c)
die unterscheidung: mord oder tötung, ist
entscheidend(01). Die tötung des anderen, der der_andere ist,
ist mord, weil der getötete ein genosse gewesen war, die
tötung von lebewesen aber, die das_andere sind, ist ein faktum
der gewalt, das ein blosses faktum ist, das unter definierten
bedingungen gerechtsfertigt sein kann. Diese differenz darf
nicht unterschlagen werden, wenn über das phänomen:
tyrannenmord in geschichte und gegenwart, diskutiert wird.
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(01)
das problem der auslegung der biblischen quelle
ist, dass für das töten eines lebewesens verschiedene
wörter(=termini) gebraucht werden, die qua auslegung mit dem
überlieferten terminus in der Thora(5.gebot des dekalogs)
verknüpft werden. Das, was einerseits strikt ausgeschlossen
ist, das morden, das kann toleriert sein, wenn das töten im
krieg der gegenstand der reflexion ist - in der sache aber
wird ein mensch vernichtet. text(c)<==//
(d)
der begriff: gewalt, ist andernorts en detail
erörtert worden(01).
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(01) //==>INDEX/register:
stichwort: gewalt. text(d)<==//
(e) Richter,Ulrich:
Leben tötet leben. argument des monats, (29)01-03/2014.
(link) text(e)<==//
(f)
die todesstrafe ist staatlich sanktionierter mord.
Es gibt kein argument, das tauglich wäre, den institutionen
des staates die kompetenz einzuräumen, mitglieder des staates
wegen (vermeintlicher) verbrechen zu töten(=todesstrafe). Die
insitutionen des staates können befugt sein, den gewalttäter,
der seinen genossen bedroht und mit gewalt malträtiert hat,
mit gewalt(01) an weiteren taten zu hindern, aber, wenn die
institutionen den gewalttäter unter kontrolle haben, dann ist
die anwendung legitimer gewalt darauf beschränkt, den täter in
seiner freiheit, weitere verbrechen zu begehen,
einzuschränken, soweit und solange die situation es erfordert.
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(01)
eingeschlossen die tötung des gewalttäters in der
realen situation des gelebten moments der gegenwart. Das ist
die logik des notwehrrechts, das darauf beschränkt ist, die
eigne existenz mit gewalt, eingeschlossen die tötung des
anderen als das_andere, gegen gewalt zu sichern. Das
notwehrrecht ist individualrecht, dessen logik in den
gesetzten grenzen auch für das handeln der institution:
staat, gültig ist. text(f)<==//
(g)
die todesstrafe ist in der tradition geübte praxis
und die gründe für die rechtliche zulässigkeit sind
vielfältig, abhängig von der jeweils vertretenen ideologie.
Diese gründe sind untauglich, wenn die tötung eines mitglieds
der staatsgemeinschaft durch den staat gerechtfertigt werden
soll. Es mag ein aspekt im kalkül der macht sein, den
konkurrenten "aus dem weg zu räumen", aber das, was blooss ein
faktum ist, das taugt nicht als begründung für das faktum. Für
den tatbestand: mord, gibt es keinen rechtfertigenden grund.
text(g)<==//
(h)
in diesem sinn ist die tötung des gewalttäters
legitim, weil dieser durch seine gewalttat sich selbst aus der
rechtsgemeinschaft entfernt hat und nur noch eine sache sein
kann, die in einem akt des selbstschutzes neutralisiert(01)
wird.
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(01)
die entscheidung für den richtigen terminus ist
schwierig, weil die gebräuchlichen termini in der historia
ideologisch kontaminiert sind. Es ist eine barbarei, einen
menschen durch tötung "behandeln", oder "beseitigen" oder
"entsorgen" zu wollen - die sprache des täters verrät sich
selbst. Auch der terminus: neutralisieren, ist nicht
"neutral". text(h)<==//
finis
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stand: 22.11.01.
eingestellt: 22.05.01.
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