TEXTSAMMLUNG
Das fragment des monats

ausgabe (040)/40//2024/ fdm/24.040/ april/2024

Das unsagbare sagen - das sagbare nicht sagen.
Die differenz: negation und verneinung.

    Es gibt formeln, die, wenn sie umgekehrt werden, eine andere bedeutung haben. Mit der umkehrung: das sagbare nicht sagen - das unsagbare sagen(a), wird weder gleiches gesagt, noch kann das gesagte und das ungesagte dasselbe sein. Das problem ist, dass mit dem ungesagten einerseits und mit dem gesagten andererseits zwei perspektiven auf ein bestimmtes ding der welt(b) markiert sind, die als nicht_überbrückbar(c) sich wechselseitig ausschliessen. Die eine seite des gemeinten weltdinges ist das sagbare, das aus gewohnheit gesagt wird, die andere seite dieses weltdinges ist das unsagbare, das angst macht als das gesagte nicht_gesagte(d).

    Alles, was in raum und zeit über die dinge der welt gesagt werden kann, das ist sagbar, und über das, was diesem sagen nicht_zugänglich ist, kann nichts prädiziert werden(e). Insofern ist der terminus: unsagbar, nicht_präzis, weil der terminus: unsagbar, ausgewiesen als verneinung, den anschein suggeriert, eine negation zu sein. In der abgrenzung zum negierten, kann über das, was verneint ist, alles behauptet werden, zu dem die phantasie fähig ist, al gusto(f). Die vieldeutigkeiten des sagbaren aber sind dann neutralisiert, wenn die argumentebenen beachtet werden, auf denen das streitig gefallene argument analysiert und reflektiert werden soll.

    Auf der argumentebene der ontik ist das sprechen vom unsagbaren dann sinnvoll, wenn der sprechende das unsagbare affirmativ mit einem bestimmten sinn verknüpft, der als eine position immer sagbar ist, auch dann, wenn das gesagte mit den verfügbaren termini nicht angemessenen formuliert ist(g). In diesem sinn ist jedes sprechen über ein ding der welt eine position, sei's eine affirmation, sei's ein verneinung.

    Auf der argumentebene der logik ist jede aussage über ein ding der welt eindeutig, entweder, als urteil: SaP(die blume ist rot), das die verknüpfung von subjekt(S) und prädikat(P) mit der copula(a=affirmation/position) in einer position behauptet, oder, als urteil: SeP(die blume ist nicht_rot), das die verknüpfung von subjekt(S) und prädikat(P) mit der copula(e=verneinung/negation) in einer position verneint. Über das negierte P(=nicht_rot) ist ein weiteres urteil nicht_möglich und das S ist das, was es ist, ein S, aber, in raum und zeit, auf der argumentebene der ontik, kann in einem folgenden urteil das S mit einem P, das ein anderes P ist, wieder verknüpft sein, entweder als SaP oder als SeP. In diesen sinn ist das sogenannte unsagbare immer etwas gesagtes, eine position, die auch eine verneinung zum gegenstand haben kann.

    Es ist etwas anderes, wenn das sagbare nicht gesagt wird und im politischen streit um die notwendigen dinge des lebens das sagbare in den formen des schweigens und des verschweigens ungesagt bleibt, sei's als wahrheit, sei's als lüge.
-----
(a)
Ich greife eine formel aus der begründung für den Literaturnobelpreis 2023 auf, die vom SPIEGEL in einem interview mit dem preisträger: Jon Fosse, zitiert wurde: "dem Unsagbaren eine Stimme verleihen",(01).
------
(01)   DER SPIEGEL, Nr.50/ 09.12.2023, p.115.        (a)<==//  
(b)
jedes denkbare ding der welt kann benannt sein, pars pro toto das ding der welt: gott(01).
------
(01)   fragment: Gott ist eine vorstellung des individuums als ich. fdm/24.037.      (b)<==//  
(c)
der unterstrich: "_", muss gelesen werden. Lies: das nicht gesagte mit unterstrich. In der abgrenzung zur verneinung markiert der unterstrich die negation, pars pro toto: nicht richtig(=unrichtig) und nicht_richtig(=falsch).        (c)<==//  
(d)
die differenz: ontik/logik,(01) sollte nicht übersehen werden. Angst ist ein phänomen der ontik und die angst als phänomen kann im logischen urteil ein element(S oder P) sein. Über die angst, die als begriff negiert ist, kann nichts prädiziert werden und die angst, als phänomen verneint, ist real etwas seiendes, so wie der mut etwas seiendes ist. Die negation(logisch) und die verneinung(ontisch)(02) scheinen als phänomen oder als begriff dasselbe zu sein, die als das je andere gültig auf der zutreffenden argumentebene gehändelt werden, einerseits auf der argumentebene der logik, andererseits auf der argumentebene der ontik.
------
(01)   INDEX/register //==>stichworte: differenz, logik, ontisch.
(02)   INDEX/register //==>stichworte: verneinung, negation und argumentebene. (link)        (d)<==//  
(e)
das problem der grenzen wird hier nicht erörtert, dazu andernorts en detail(01).
------
(01)   INDEX/register //==>stichwort: grenze. (link)        (e)<==//  
(f)
das beispiel: die blume ist rot/nicht rot, ist aus der tradition geläufig. Es wird im logikkurs immer dann zitiert, wenn die negation(SeP) erläutert wird. Die aussage: nicht rot, wird mit der feststellung: die blume kann auch gelb sein, ergänzt. Das, was verneint(=rot) sein soll, das wird mit einer position(=gelb) gesagt.       (f)<==//  
(g)
neben der sprache sind andere erfahrungsbereiche der individuellen existenz in betracht zu ziehen, partes pro toto die musik oder die gestik(pantomime). Das sind formen der kommunikation, die das spektrum der sprache erweitern, aber nicht ersetzen.       (g)<==//  
finis

stand: 24.05.01.
eingestellt: 24.04.01.
zurück/übersicht      // 
zurück/textsammlung/überblick    //