TEXTSAMMLUNG
die meinung des bürgers
ausgabe: 04-06/05 april-juni 2005     (blieb bis 08/2005 stehen)
 

Wird Europa zu einem Fluch?

Die nachricht schreckte die öffentlichkeit auf. Vor einigen wochen titelte der Spiegel: "Eine Klausel im EU-Recht macht die Bundesrepublik zum Billiglohnland"(1). Ca.26000 beschäftigte im Oldenburger Land haben seit der EU-erweiterung am 1.5.2004 ihren arbeitsplatz in der fleischindustrie verloren; die entlassenen ersetzten die deutschen unternehmer mit sogenannten dienstleistern aus Polen, zu löhnen, die den tatbestand des kriminellen lohndumpings erfüllen(2). In zukunft dürften ähnliche szenarien dank geltenden EU-rechts zum normalzustand werden. Der manchesterkapitalismus, in seiner zeit ein spezialfall der kriminalität, kehrt zurück, und die menschen werden diesem terror in ihrer bürgerlichen existenz ohnmächtig ausgeliefert sein.

Eine andere seite der Europäischen Union markiert diese notiz. Weil die firma ihren sitz in Irland hat, muss der deutsche konsument, der ein produkt dieser firma im internet kauft, den um 2% höheren mehrwertsteuersatz berappen, die firma aber, die ihre dienste faktisch in der BRD erbringt, versteuert dafür ihren gewinn zu den irischen steuersätzen, die erheblich unter denen in der BRD liegen. Ist's unsinn zwar, so hat es doch methode.

Zwei nachrichten, die für die menschen nicht das gleiche gewicht haben, sie können aber als ein indiz interpretiert werden, dass die idee: Europa, in verruf gebracht wird, wenn die politiker Europas wie gehabt weitermachen und dem mammon den vorrang vor den menschen einräumen. Was sollen die menschen von einem geeinten Europa halten, das als gemeinwesen gesetze schafft, mit denen ihr schicksal zu einer ware degradiert wird, die einerseits auf den märkten als kostensenkender faktor instrumentalisiert und andererseits zu lasten der allgemeinheit gewinnmaximierend verhökert wird. Wenn die menschen ihr gefühl nicht mehr bemeistern können, dass sie nur das beliebige spielmaterial der finanzmärkte sind, das, ausgequetscht und keinen profit mehr versprechend, weggeworfen wird, dann ist es unvermeidbar, dass sie im europa-theater nur die inszenierung eines gigantischen betrugs argwöhnen und, sich besserer tage erinnernd, die alten nationalstaaten zurückwünschen, die in Westeuropa in der 2.hälfte des 20.jahrhunderts den menschen einen wohlstand gesichert hatten, der bis dato in der geschichte der welt unbekannt gewesen war.

Die idee: Europa, ist in gefahr, in einen fluch zu mutieren, wenn die politische elite Europas die dummsprech-parolen neoliberaler ideologen weiter ohne verstand nachplappert und, ärger noch, alles tut, die ökonomische unvernunft in realität zu verwandeln. Was nutzt, so frage Ich, dem europa-bürger ein entgrenzter reisemarkt, wenn die zügellose marktordnung ihm die bürgerlichen subsistenzmittel entzogen hat? Was sollen, so frage Ich weiter, die billigen güter(3), wenn der deregulierte markt den wert der arbeit des europa-bürgers unter das existenzminimum gedrückt hat? Was soll, so frage Ich drittens, das gerede von der konkurrenz, wenn die globalen konzerne mit ihrem akkumulierten kapital jeden potentiellen konkurrenten aus dem markt gekauft haben? Der bürger Europa's braucht nicht die märkte der konzerne, aber er benötigt märkte, auf denen er frei in rationaler selbstbindung agieren kann. Die bedingung ist, dass zum einen der wert der arbeit auf der basis allgemein anerkannter sozialer standards ermittelt wird, die an den leistungen der besten orientiert sind(4), und dass zum anderen ein gemeinsames steuerrecht geschaffen wird, das die bürger Europa's gleichmässig nach ihrer leistung fordert, um so der Union die erforderlichen mittel zu verschaffen, die für den sozialen ausgleich des gesellschaftlich erarbeiteten reichtums benötigt werden.

Es ist die logik der sache und keine prophetie, dass der bürger sich von der idee: Europa, abwenden wird, wenn seine bedürfnisse unbefriedigt gelassen werden, dem kapital aber alles zugeschoben wird. Die anstehende ratifizierung der EU-verfassung dürfte der prüfstein werden. Was zur ratifizierung ansteht ist das ergebnis eines mühsamen kompromisses, der vieles unerfüllt gelassen hat; trotz aller beklagter defizite ist die jetzt vorliegende EU-verfassung aber eine grosse chance, weil sie, wenn sie ratifiziert worden ist, immer noch verbessert werden kann. Diese wünschenswerten verbesserungen werden aber nur dann möglich sein, wenn die politische elite Europa's zur ökonomischen vernunft zurückkehrt und die balance sichert, die zwischen den realen möglichkeiten einer gesellschaft und den wünschen der bürger tag für tag neu geschaffen werden muss. Ich zweifle, dass die heute maassgebenden protagonisten auf der politischen bühne in Brüssel, Strassburg und in den europäischen hauptstädten fähig sind und willens sein werden, diese aufgabe zu erfüllen, die hoffnung aber ist noch nicht gänzlich geschwunden....
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(1) cf. Der Spiegel,7/2005,p.32-35. <==//     adm04/05<==//
(2) cf. Der Spiegel,13/2005,p.35-41 <==//

(3) geiz ist geil, so der werbespruch, der das problem auf 3 worte geschürzt hat. Eine andere variante sind die tarife der sogenannten billigflieger. Frankfurt-Helsinki für 12.99€ (Anzeige in der Frankfurter Rundschau, vom 28.02.2005) - Für diesen preis fährt keine taxe vom hauptbahnhof zur Zeil in Frankfurt. Diese werbung ist täuschung mit absicht, weil der preis die realen kosten der dienstleistung nicht widerspiegelt, oder anders gesagt, die zeche zahlen andere.  <==//

(4) es ist schon verwunderlich, dass die EU-kommission mit der geplanten, vorerst aber auf eis gelegten dienstleistungsrichtlinie vorschriften schaffen wollte, deren wirkung unbestreitbar sozialdumping ist. Ich frage, zu welchem zweck? Die fachleute können doch nicht so dumm sein, dass sie sich nicht vorstellen können, was es in einer Union grosser sozialer ungleichheiten bedeuten wird, wenn dienstleistungen nach den regeln des herkunftslandes erbracht werden sollen. Wenn Europa für die bürger attraktiv sein soll, dann sollten alle maassnahmen an dem ausgerichtet sein, was für alle von vorteil ist, aber offenbar bin Ich naiv und nicht clever genug, um die feinheiten neoliberalen dummdenkens begreifen zu können. <==//
 

stand: 05.09.01.

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