TEXTSAMMLUNG:

die meinung des bürgers
ausgabe: 09-12/07  september-dezember 2007   (blieb stehen bis 04/2008)

Der shareholdervalue und die daseinsfürsorge des staates.

Streiks bei der Deutschen Bahn AG, der bürger hat das nachsehen.

Das grundrecht auf streik ist nicht bestreitbar; denn es sichert in der gesellschaft das gleichgewicht der interessen zwischen den sozialen gruppen, die am markt ungleich stark sind. Was aber zwischen den sozialen gruppen unbestreitbar gelten muss, das kann zwischen bestimmten sozialen gruppen und dem staat nur eingeschränkt gültig sein, weil der staat in der sorge für das dasein der bürger andere pflichten hat als die sozialen gruppen, die eigennützig und legitim ihre interessen verfolgen. Traditionell ist den beamten des staates der streik als kampfmittel für die durchsetzung ihrer interessen nicht erlaubt. Solange die Deutsche Bundesbahn eine behörde gewesen war, spielte deshalb der streik für die durchsetzung legitimer interessen der arbeitnehmer keine rolle, weil die bediensteten der DB in der regel beamte gewesen waren(1).

Es hat einen zureichenden grund, dass der öffentliche verkehr im interesse aller eine aufgabe des staates ist; denn nur der staat ist fähig, die partikularen interessen seiner bürger im gemeinwohl aller zusammenzubinden(2). Die Deutsche Bundesbahn der BRD selig hatte diese aufgabe erfüllt, nicht immer gut, weil die politiker den verkehr mit der bahn zugunsten der strasse gröblichst vernachlässigt hatten(3). Einige politiker der BRD selig(4) nutzten die opportune chance der deutschen einheit, die bewährte konstruktion der staatsbahn aufzugeben und die dienstleistungen der bahn dem markt zu überantworten(5). Die behörde: Deutsche Bundesbahn, wurde 1994 per gesetz in die aktiengesellschaft: Deutsche Bahn AG, umgewandelt. Die kunden, political korrektes privatisierungsdenglish, bezahlten die operation mit eingeschränktem service und steigenden preisen(6). Nicht die beförderung der bürger als collateralnutzen ist der zweck der Deutschen Bahn AG, der zweck der AG ist die erzielung einer marktüblichen rendite auf das eingesetzte kapital(7). Gegen das Grundgesetz und gegen jede volkswirtschaftliche vernunft wollen die damen/herren politiker der Berliner Republik den börsengang der Bahn realisieren(8).

Die geänderten zielvorgaben für die Deutsche Bahn AG haben die prämissen für die beurteilung des anstehenden arbeitskampfes bei der Deutschen Bahn AG verändert(9). Im streit stehen zwei interessierte parteien, auf der einen seite die arbeitenden menschen, die einen angemessenen lohn erzielen müssen, auf der anderen seite die shareholder, die ihren profit bei den arbeitenden menschen abgreifen. Der streit aber geht zu lasten(10) einer dritten partei, den bürgern, weil ihr staat, die pflicht zur daseinsfürsorge vergessend, sie im stich lässt. Wenn die pizzabäcker streiken oder die montagebänder der autofirmen stillstehen, dann wird der konsument auch belästigt, weil er die gewünschten produkte nicht mehr in der gewohnten zeit erlangen kann. Das ist sicher eine empfindliche störung des täglichen lebens, des gewohnten, aber das sind misslichkeiten, mit denen der bürger sich arrangieren kann. Der bürger kann aber den störungen eines streiks nicht ausweichen, wenn das ganze öffentliche verkehrssystem: bahn, lahmgestellt ist, auf das er zur erledigung seiner geschäfte und interessen angewiesen ist. Das funktionieren dieses systems kann der bürger vom staat abfordern(11), weil der staat verpflichtet ist in den grenzen der verfügbaren ressourcen die daseinsfürsorge für die bürger sicherzustellen(12). Die damen/herren politiker der Berliner Republik entziehen sich dieser pflicht. Das ist unentschuldbar.

Die politischen koordinaten in der Bundesrepublik Deutschland sind verändert worden. Eine dieser änderungen wird durch den streik bei der Deutschen Bahn AG markiert. Künftig soll nur zählen, was dem nutzen der shareholder frommt - der bürger zahlt.
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anmerkungen:
(1)

der staats hat seine diener amtsangemessen zu alimentieren. Diese regel schafft den sozialen ausgleich zwischen den interessen des staates und seiner beamten. Im rückblick auf die historia der BRD selig hatte dieser ausgleich auch befriedigend funktioniert. Ein deutscher beamter hatte nie darben müssen, freilich, besonders üppig war seine alimentation nicht gewesen, auch in den oberen etagen der einkommenspyramide nicht.  <==//
(2)
der staat hat die funktion, mit geeigneten verfahren die gegensätzlichen interessen seiner bürger im interesse aller auszugleichen. Der Hobbes'sche Leviathan ist nicht die schreckfigur, die die wirtschaftsliberalen projizieren, sondern der Leviathan ist der geist der bürger, der ihre gegensätzlichen interessen ausgleichen soll und ausgleichen kann. Aus ihren erfahrungen im bürgerkrieg, dem kampf aller gegen alle, haben die bürger die konsequenz gezogen und ihr natürliches selbsthilferecht an den staat abgetreten, aber nur unter der bedingung und der erwartung, dass der staat die gesellschaftlichen bedingungen schafft, die den bürger erst ermächtigen, ohne gewalt in der gesellschaft das seinige zu besorgen. Als Leviathan ist der staat weder ein fremdes, unbegreifliches wesen, noch ist der staat das unfassbare abstraktum entrückter theoretiker, der staat, das ist der im konsens verbundene wille aller bürger, die sich darin sicher sein können, einander nicht fremd zu sein, sondern genossen. Der einwand, ebenso hartnäckig wie falsch, ist etwas anderes, dass der staat als institution notorisch schlecht funktioniere. Missmanagement im staat ist ein ärgernis, aber das ist ein pragmatisches problem, das der bürger sich selbst zurechnen muss, wenn er die erforderliche bereitschaft entweder nicht zeigt oder gar verweigert, seinen staat zu leben.  <==//
(3)
die Deutsche Bundesbahn war als "behördenbahn" immer ein bisschen schwerfällig gewesen, aber sie war zuverlässig. Ihr schlechter ruf als schuldenmacher hatte den grund nicht in der mangelnden effektivität der behörde, sondern in den politischen lasten, die ihr die politiker aufgedrückt hatten, ohne die politischen lasten in der betriebswirtschaftlichen bilanz als solche auszuweisen. Wären früher korrekte rentabilitätrechnungen aufgemacht worden, dann wäre klar, was das ergebnis der geleisteten arbeit gewesen war und was die folgen politischer lasten.  <==//
(4)
herr Wissmann von der CSU, 1994 verkehrsminister in der regierung Kohl, war einer dieser politiker; heute ist herr Wissmann cheflobbyist der autoindustrie. Flexibität in alle himmelsrichtungen, das ist die qualität, die den gebrauchbaren politiker als minister qualifizieren, der rest wird im schutzraum des freien mandats erledigt, und dort geben die betuchten lobbyisten den takt vor.  (siehe auch: mdb 04-06/07, anm. 7***     <==//
(5)
in Englang hatte die dame Thatcher(1979-1990) demonstrieren können, dass die privatisierung der staatsbahn für die investoren sich glänzend rechnet, die bürger aber zahlten die zeche, weil das interesse an der rendite des eingesetzten kapitals und das interesse der bürger auf mobilität im land ein sich gegenseitig ausschliessender gegensatz sind. In den USA ist gleiches zu beobachten. Der bahnmarkt ist unter privaten monopolen aufgeteilt, die einen zug nur dann rollen lassen, wenn der shareholder seinen profit im sack hat.  <==//
(6)
mit den avancierten techniken des 21.jahrhunderts könnte ein vorzüglicher, komfortabler und vor allem zuverlässig kalkulierbarer bahnbetrieb sichergestellt werden, wenn die verantwortlichen damen/herren politiker der Berliner Republik fähig und bereit wären, diese techniken zum vorteil der bürger einzusetzen. Statt dessen kaprizieren sich die damen/herren verkehrspolitiker auf kostspielige showprojekte und vernachlässigen den täglichen verkehr, den der bürger nachfragt. Es mag ja eine schöne leistung sein, mit 300km/h durch die landschaft zu jagen, aber bei diesen spitzengeschwindigkeiten stagniert mit ernüchternden ergebnis die reisegeschwindigkeit bei 175km/h*. In Deutschland kann der vorteil hoher spitzengeschwindigkeiten nicht ausgefahren werden, weil die notwendigen haltpunkte der schnellen züge zu dicht beieinanderliegen, an denen die passagiere, für die der zug unterwegs ist, ein- und aussteigen wollen. In der kalkulation der bahnnutzer ist es nicht entscheidend, dass er auf der strecke: Dortmund - München, mit zwei zwischenstopps 30 minuten schneller ankommt, wichtiger ist für den bahnbenutzer, dass er den komfortablen zug zur benötigten zeit** an der strecke besteigen kann und kalkulierbar zur angezeigten zeit am zielort ankommt.   <==//
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* die errechneten reisegeschwindigkeiten werden in der werbung wie in den alten tagen geschönt. Der ICE von Dortmund nach München erreicht die spitze nur auf der schnellsten teilstrecke zwischen Köln und Frankfurt-Flughafen.  <==//
** ein stundentakt auf den fernstrecken ist das minimum, aber dieses ehrgeizige minimum hatte die alte "behördenbahn" schon vor 30 jahren realisiert. Jetzt passt die Deutsche Bahn AG unter herrn Mehdorn den takt dem gewinnbringenden "bedarf" an - der kunde wartet eine stunde mehr.    <==//   (6)<==//
(7)
die Deutsche Bahn AG will sich als globaler player definieren, der für den erwirtschafteten gewinn neue finanzanlagen sucht. Die manager der Deutschen Bahn AG werden, von der logik der finanzmärkte gezwungen, zugunsten des profits, der überall gemacht werden kann, das interesse der bürger auf eine akzeptable, komfortable transportleistung in Deutschland zurückstellen. Der Deutsche Bahn AG wird es, börsennotiert, gleichgültig sein, ob der börsennotwendige profit in der Bundesrepublik Deutschland erzielt wird oder in Russland mit einer beteiligung an der Transib oder an einer erzbahn in Afrika, dessen bodenschätze wie in den kolonialzeiten unter dem sigel der WTO geplündert werden.  <==//
(8)
die damen/herren politiker der Berliner Republik wollen die Deutsche Bahn an der börse für 'n appel und 'n ei verscherbeln. Was diese herrschaften mit dem vom kabinett beschlossenen gesetzentwurf zum börsengang der bahn inszenieren, das ist die veruntreuung öffentlichen eigentums*. Herr Steinbrück kann nicht rechnen, erstaunlich für einen finanzminister, aber nicht erstaunlich, wenn die erwartungen jener herrschaften, die auf den finanzmärkten das sagen haben, in das kalkül mit eingestellt werden, die herr Steinbrück bedient. Wenn es zutrifft, dass die Deutsche Bahn AG im jahr 2006 real einen gewinn von ca.700 millonen Euro gemacht hat**, dann sollte der finanzminister jubeln und den gewinn, wie die gewinne der Deutschen Bundesbank oder früher, lang ist's her, die soliden gewinne der Deutschen Bundespost, als aktivposten in den seit jahren defizitären haushalt einstellen. Warum also eine kuh verkaufen, die zuverlässig milch geben wird, wenn, wie man sagt, herr Mehdorn seinen job gut gemacht haben wird? Es ist richtig, dass der staat nicht wie ein kleinkrämer agieren sollte, und pizzen verkaufen ist nicht seine aufgabe, aber es kann nicht falsch sein, wenn der staat bei der erledigung seiner unabdingbaren aufgaben für die gesellschaft auch die regeln des rationalen wirtschaftens beachtet und für seine notwendigen dienstleistungen einen überschuss in der jahresbilanz erzielt, der den bürgern über den staatshaushalt wieder zurückgegeben werden kann.  <==//
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* in der presse wurden zwei zahlen genannt. Der wert der Deutschen Bahn AG wird mit ca.125mrd.Euro veranschlagt. Der Bund will zunächst 25% minus 1 akte an der börse verkaufen und soll dafür ca.9 mrd.Euro erlösen. Für später ist eine erhöhung bis 50% minus 1 aktie geplant. Nach der logik des aktienrechts gewinnt der käufer einer aktie eigentum an der sache gemäss seines anteils, d.h. er wird mit ein paar peanuts die rechtliche kontrolle über 125mrd.Euro öffentliches eigentum erwerben.  <==//
** es gibt zweifel, dass die bilanzierung des gewinns korrekt ist. Die kreative bilanzierung ist keine spezialität windiger finanzjongleure. Diese kunst muss jeder finanzchef beherrschen, der seine firma zwischen der Scylla des finanzamts und der Charybdis der konkurrenz hindurch steuert. Das zauberwort dieser bilanzvirtuosen ist: wg - wenn's geht. Und wenn's nicht geht, dann war der versuch einer kreativ erstellten bilanz nicht vorsätzlich, und den behaupteten guten glauben wird kein finanzamt widerlegen. <==//  (8)<==//
(9)
die streitpunkte zwischen den bahnmanagement und der gewerkschaft der lokfahrer sind: eigener tarifvertrag für die lokfahrer und eine ca.30% steigerung des einkommens*. Die koalitionsfreiheit sichert jeder eigenständige gruppe das streikrecht, implizit auch das recht auf einen eigenen tarifvertrag. Eine andere frage ist es, ob es für die vertragsparteien ökonomisch sinnvoll ist, den flächentarifvertrag zugunsten einer vielzahl spezieller tarifverträge aufzulösen. Der arbeitsfriede in einer firma könnte durch die vielzahl egoistischer interessen erheblich gestört werden, weil jeder gruppe die entscheidung über einen streik zustünde und der betrieb durch eine mehrzahl an streiks lahmgelegt werden könnte. Die lohnforderung von 30% zuwachs ist relativ**. Der maasstab für den angemessenen lohn sollte sein, dass der arbeitnehmer für seine geleistete arbeit soviel erhält, dass er und seine familie ein ordentliches bürgerliches leben führen können, dem das kleine sahnehäubchen nicht mangelt. Ist das ein unziemlicher anspruch, wenn die vergütungen der horizont sind, die die herren manager sich untereinander klammheimlich im aufsichtsrat zuschieben?  <==//
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* in der presse wurde kolportiert, dass die herren manager der Deutschen Bahn AG die streitige aufstockung der bezüge um 30% für sich längst aufsummiert genehmigt haben. Die herren trinken wein und predigen wasser. <==//
** bemerkenswert ist eine übersicht der gehälter, die den lokführern mehrerer europäischer länder zustehen. In Deutschland sind die lokfahrer mit 1928,00€ im monat das schlusslicht; die spitze führen an die lokfahrer in der Schweiz mit 4985,00€(a). Wenn die 30% lohnsteigerung faktisch durchgesetzt würden, stünde der deutsche lokfahrer bei rund 2500,00€. Er würde knapp seinen kollegen in den Niederlanden überholen.  <==//
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(a) tabelle, abgedruckt in der Frankfurter Rundschau, 06.08.2007; verglichen werden lokführer im alter von 40jahren, 17 jahren berufserfahrung und familie mit 2 kindern.  <==//   (9**)<==//    (9)<==//
(10)
das arbeitsgericht in Nürnberg hatte den streik der lokfahrer auf antrag der Deutschen Bahn AG im kurzen verfahren verboten und das verbot mit dem satz begründet: "Durch den Streik drohen nicht nur den Antragsstellern, sondern der gesamten Volkswirtschaft insbesondere in der Hauptreisezeit immense wirtschaftliche Schäden"*. Die begründung bestätigt die alte praxis, dass streiks im öffentlichen verkehr unzulässig sind, aber die bedingungen haben sich geändert. Heute stehen private interessen gegeneinander, die zu lasten dritter ausgefochten werden. Seine befriedende funktion hat der staat als ordnende instanz aufgegeben - zum nachteil der schwachen, zum vorteil der starken.  <==//
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* zitat: Frankfurter Rundschau, 13.08.2007.  <==//  (10)<==//
(11)
als ein komplexes system wird die Bahn niemals ohne störungen im betriebsablauf funktionieren. Diese störungen sind punktuell ärgerlich, aber es sind zeitlich und lokal begrenzte störungen, die im rahmen der möglichkeiten unverzüglich behoben werden*. Das sind fälle höherer gewalt, und die verantwortlichen haben nur die schadensminimierung in ihrer hand. Ein streik ist, entgegen der juristenmeinung, keine höhere gewalt, sondern dummheit, weil die streitenden unfähig sind, ihre interessengegensätze vernünftig auszugleichen. <==//
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* etwas anderes sind die störungen im betriebsablauf, deren ursachen die vernachlässigungen des systems sind, das gepflegt werden muss, wenn es funktionieren soll. Aber die pflege des systems kostet geld und kosten mindern die rendite. Die vermutung ist begründet, dass die störungen im system solange zunehmen werden, solange die störungen die rendite nicht schmälern; alles andere ist zweitrangig.  <==//  (11)<==//
(12)
der blick auf die historia ist belehrend. Der moderne staat kann nicht existieren, wenn die planung und der unterhalt der verkehrswege ausserhalb der öffentlichen verantwortung geregelt werden. Es ist ein dummes geschwätz, aber wohl kalkuliert, wenn behauptet wird, dass die privatwirtschaft die öffentlichen aufgaben besser als die institutionen des staates erledige. Der grund ist die logik der finanzmärkte. Der private investor muss, wenn er in den deregulierten finanzmärkten überleben will, sein kapital dort einsetzen, wo es die höchste rendite abwirft. Der staat hat dagegen die pflicht, dem bürger die institutionen verfügbar zu halten, die dem bürger das gesellschaftliche zusammenleben ermöglichen. Der erwirtschaftete überschuss in den einzelnen einrichtungen ist für den staat nachrangig*, wenn die volkswirtschaftliche bilanz positiv ist.  <==//
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* der überschuss ist nicht das ziel des wirtschaftens, das als ein gebot der vernunft den regeln rationalen handeln unterstehen sollte.  <==// (12)<==//
finis
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stand: 08.05.01.  /07.08.23.

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