TEXTSAMMLUNG

zitat des monats
ausgabe: (28)07-09/2008 januar-märz/2009     (blieb bis 12/2009 stehen)

text:

"Gelegentlich gewinnt man den Eindruck, dass auch die Franzosen sich mehr für die volks- und weniger die betriebswirtschaftliche Rendite interessieren."
Roland Koch
Ministerpräsident des Landes Hessen
  quelle: Welt Online, 14.07.2007 (14:42uhr)(1)
kommentar:
 
Der text eines zitats, identisch mit sich selbst, erscheint immer im licht des zeitpunkts, an dem der text wahrgenommen wird; es ist daher zwingend, dass die bedeutung des textes, die in der interpretation des textes zu verschiedenen zeitpunkten festgelegt wird, in der zeit veränderungen unterworfen ist, die im rückblick dokumentiert werden können. Die struktur des zitats bleibt aber davon unberührt. Im juli 2007 war von einer krise des globalen finanzmarktes noch nicht die rede gewesen, eine rede, die aber im IV.quartal des jahres 2008 jeden diskurs über weltwirtschaft dominiert. Der anlass für das zitat(2) ist der vergangenen zeit zuzuordnen und kann heute als marginal beiseite gelegt werden, die struktur des textes aber, in den fokus gerückt, spiegelt einen aspekt, der, wenn er losgelöst von seinem historischen anlass(3) reflektiert wird, ein gesellschaftliches problem zum gegenstand hat, dem keiner sich entziehen kann.

Das problem bringt Roland Koch auf eine simple entgegensetzung: hier die volkswirtschaftliche rendite - die betriebswirtschaftliche rendite da. Allein mit dieser entgegensetzung ist der reale prozess der wirtschaft in raum und zeit nicht angemessen erfassbar; denn das, was das real wirtschaftende subjekt als betriebswirtschaftliche rendite fasst, das kann es nur im horizont der volkswirtschaft bestimmen, und die volkswirtschaftliche rendite hat ihren realen wert darin, wenn sie im horizont der betriebswirtschaftlichen rentabilität beurteilt wird. Die monokausalen erklärungsschemata der ökonomischen theorien greifen in der bestimmung des einen oder des anderen moments immer zu kurz; denn das, was in der logik der betriebswirtschaftlichen rechnung profitabel ist, das ist, wenn die renditeerwartungen jedes maass überschreiten(4), für die volkswirtschaftliche rechnungslegung immer desaströs, weil dem prozess der gesamtwirtschaft kapital entzogen wird, für das andernorts spekulative anlagemöglichkeiten gesucht werden. Andererseits kann es volkswirtschaftlich notwendig und vernünftig sein, in teilbereichen eine negative bilanz in der betriebswirtschaftlichen rechnungslegung zu tolerieren(5), weil bestimmte güter der daseinsfürsorge keinen profit abwerfen, die aber als notwendige leistungen des staates vom bürger über steuern und gebühren bezahlt werden. Auch die versuche, die dialektische vermittlung einer betriebswirtschaftlichen rendite mit einer volkswirtschaftlichen rendite in der idee eines allgemeinen fortschritts im wachstum des wohlstandes aufheben zu wollen, müssen scheitern, weil der stoffwechselprozess des menschen mit seiner natur kein linearer prozess eines grenzenlosen wachstums ist, sondern ein prozess, der im moment seiner vollendung in sich selbst verschwindet(6). Der reale wirtschaftsprozess kann in seiner funktion nur dann angemessen verstanden werden, wenn die entgegensetzung von betriebswirtschaftlicher und volkswirtschaftlicher perspektive als das begriffen wird, was sie im stoffwechselprozess des individuums als ich ist, einerseits mit seiner natur, andererseits mit dem genossen in ihrer gemeinschaft. Das individuum als ich hat die beiden perspektiven verfügbar, aber im moment der gelebten gegenwart kann es in einer relation nur über die eine perspektive, die betriebswirtschaftliche rechnungslegung, oder die andere, die volkswirtschaftliche rechnungslegung, verfügen - tertium non datur, aber in raum und zeit, in der die gegensätzlichen phänomene miteinander koexistieren, muss das individuum als ich die beiden perspektiven miteinander verknüpfen, um zu ergebnissen zu kommen, mit denen es leben kann(7). In den ökonomischen diskursen ist es daher eine interessengebundene verkürzung der probleme, wenn die private perspektive der ökonomie gegen die öffentliche perspektive zugunsten der einen und zu lasten der jeweils anderen verkürzt wird. Der zeitgenosse, und mag er über alle schätze der welt verfügen, ist im irrtum, wenn er meint, dass nur sein privater vorteil zählt, weil er seinen privaten vorteil nur dann in der gemeinschaft mit dem genossen nutzen kann, wenn der genosse den anteil erhält, den der genosse braucht, um genosse sein zu können. Ebenso irrt der ideologe, wenn er meint, dass die sorge für das glück aller allein der gesamtheit der genossen obliegen müsse, weil das gemeinsame ganze jedes teil einschliesse, aber ohne das glück des individuums als ich, das teil im ganzen, ist das funktionieren der staatlichen ordnung nicht möglich, weil das, was das funktionieren der ordnung sichert, im glück gegründet ist, das jeder nur für sich als glück erfahren kann. Es ist schwierig, die balance zu halten, aber in einer definierten marge ist eine ausgewogene balance nach oben und unten möglich, wenn sie erfolgreich das glück im kleinen mit dem funktionieren der staatlichen ordnung im grossen praktisch miteinander verknüpfen. Diese balance müssen die bürger mit ihrer politik im auge haben, aber das, so scheint es, ist derzeit nicht möglich.
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Anmerkungen:
(1) http://www.welt.de/politik/article1027035/Wir_muessen_die_deutsche_Industrie_schuetzen.html. Die Frankfurter Rundschau, 15.07.2007,p.3, hatte Roland Koch in indirekter Rede zitiert. Das zitat: "Gelegentlich gewinne man den Eindruck, dass 'die Franzosen sich mehr für die volks- und weniger die betriebwirtschaftliche Rendite interessieren', sagte er(Roland Koch) der Welt am Sonntag."    <==//

(2) Roland Koch kritisierte den vorschlag des französischen staatspräsidenten Nicolas Sarkozy, staatsfonds zu schaffen, um den einfluss der staatsfonds Russlands, Chinas und der arabischen staaten auf die heimische wirtschaft abwehren zu können. Koch formulierte zunächst sein ökonomisches credo, Ich zitiere: "Entscheidend ist für mich vielmehr die Frage, wer der Investor ist. Ein ausländischer Kapitalgeber - auch ein Hedgefonds - soll hier frei investieren können. Diese Investoren wollen nicht mit ihrem Kapital politisch Einfluss nehmen. Geld von Staatsfonds oder -unternehmer aus Russland und China aber halte ich hier nur unter ganz bestimmten Bedingungen für vertretbar. Wir haben doch nicht gerade erst Unternehmen wie Telekom und Deutsche Post mühsam privatisiert, damit die Russen sie wieder verstaatlichen." Sein entscheidendes argument formulierte Koch mit dem satz: "Aber letztendlich ticken diese Staatsfonds nicht nach marktwirtschaftlichen Regeln."(*)
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(*) http://www.welt.de/.    <==//

(3) die chance einer polemik ist verlockend; denn Roland Koch wollte mit seiner bemerkung obiter dictum dem herrn Sarkozy eins auswischen, ein reflex, der im politischen geschäft zu einer show verkommen ist. Aber dieser chance werde Ich widerstehen, weil der reiz einer polemik reziprok dem gedanken ist, der die globalen diskurse um die aktuelle wirtschaftspolitik bestimmen sollte.    <==//

(4) es widerspricht der allgemeinen erfahrung, dass auf das eingesetzte kapital renditen in zweistelligen bereich erwirtschaftet werden können. Herr Ackermann von der Deutschen Bank mag mit seiner forderung nach 25% rendite auf das eigenkapital im mainstream seiner zeit richtig gelegen haben, aber eine rendite von 25% kann nur durch diebstahl und betrug erzielt werden. Die finanzmarktkrise im herbst 2008 hatte nur ein wenig die türen der bankhäuser geöffnet, hinter deren verschlossenen türen in den zurückliegenden jahren gigantische betrügereien inszeniert worden waren und, das kann vermutet werden, weiter ausbaldowert werden.     <==//
 

(5) jede bilanz ist prima vista das resultat objektiver bedingungen, aber was eine bilanz bedeutet, das ist secunda vista eine frage der bewertung realer zahlen. Es sollte allgemein bekannt sein, dass der mensch nur das verbrauchen kann, was er sich erarbeitet hat. Weil der mensch, anders als alle anderen lebewesen der natur, in die zukunft planen kann, ist es ihm möglich, um des gegenwärtigen vorteils wegen, einen kredit auf die zukunft zu ziehen, der später in der form des mehrwertes wieder verrechnet werden muss. Auf dauer kann eine volkswirtschaft aber nur dann stabil bleiben, wenn dieses wechselspiel von vorgriff und nachträglicher einlösung ausgewogen bleibt, ein spiel, das in der betriebswirtschaftlichen rechnung gespiegelt ist, wenn das individuum als ich und sein genosse den mehrwert unter sich aufteilen. Der skandal ist die ungleiche verteilung des mehrwerts, den alle gemeinsam erarbeitet haben und den sie gemeinsam nutzen können sollten.        <==//

(6) wenn man die entwicklung der finanzmärkte in der globalisierten welt revue passieren lässt, dann ist in der dokumentierten entwicklung seit dem entstehen der börsen ein konstantes muster auffällig. Aus kleinen anfängen entstand zunächst ein langsames aber stetiges wachstum, dann eine beschleunigung des wachstums bis es in immer grösseren sprüngen explodierte und schliesslich in sich zusammenfiel; es scheint, als seien aus dem nichts in zahlen riesige werte aufgeblasen worden, die, wenn das wachstum sich erschöpft hat, in sich zusammengefallen sind und wieder als das erscheinen, was sie in der realität immer gewesen waren - nämlich nichts.      <==//

(7) das problem kann im trialektischen modus(*) durchschaubar dargestellt werden. Das individuum als ich betrachtet seine ökonomische lage aus zwei perspektiven, die es in zwei unterscheidbaren relationen präsent hat. In der ersten relation: individuum_als_ich<==|==>betriebswirtschaftl.rechnung,(**) reflektiert es seine private ökonomische situation; in der zweiten relation: individuum_als_ich<==|==>volkswirtschaftl.rechnung, reflektiert es die ökonomischen bedingungen, die in seiner gesellschaft wirksam sind. In einer dritten relation: betriebswirtschaftl.rechnung<==|==>volkswirtschaftl.rechnung, sind die beiden relationen zu einem ganzen verknüpft, dessen movens das individuum als ich ist, das in der formel der relation aber nicht als moment erscheint. Das individuum als ich hat das moment: betriebswirtschaftliche rechnung, nur im horizont des ausgeschlossenen dritten moments: volkswirtschaftliche rechnung, bestimmt präsent; nicht anders das moment: volkswirtschaftliche rechnung, im horizont des ausgeschlossenen dritten moments: betriebswirtschaftliche rechnung. Die dritte relation: betriebswirtschaftl.rechnung<==|==>volkswirtschaftl.rechnung, der diskutierte gegenstand aller ökonomischen diskurse, ist nur im horizont des individuums als ich konkret bestimmt, das aber in dieser relation das ausgeschlossene dritte moment ist. Jedes der drei momente: "das individuum als ich, die betriebswirtschaftliche rechnung und die volkswirtschaftliche rechnung" ist mit einem anderen moment in den möglichen relationen eindeutig bestimmt, aber die bestimmung ist im jeweils ausgeschlossenen dritten moment als horizont der bestimmung begrenzt(***).      <==//
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(*) die grundzüge der methode: der trialektische modus, habe Ich in zwei schriften zusammengefasst. Die einschlägigen argumente sind im subtext verortet. Siehe: Der weltgeist Hegel's (015:weltgeist), und: Der begriff: das_politische (014:das_politische).
Zusatz: gegen die methode: der trialektische modus, kann eingewandt werden, dass die methode bar jeder praktischen relevanz sei. Es sollte aber bedacht werden, dass die methode niemals der zweck sein könne, der mit der methode realisiert werden soll. Die entscheidung, welche perspektive das individuum als ich im kontext eines bestimmten interesses wählen will, ist immer ein zweck und diesen zweck definiert das individuum als ich autonom, aber realisieren kann das individuum als ich seinen zweck in raum und zeit nur dann, wenn es seinen zweck mit der methode erfasst. Ich habe meine reflexion hier, d'accord mit dem methodischen prinzip: trennung in analytischer absicht, auf die methode als gegenstand der reflexion eingegrenzt und die erörterung der möglichen zwecke beiseite gesetzt.      <==//
(**) das relationszeichen: <==|==>, lies: relationiert abhängig     <==//
(***) wiederholung des gedankens in einer graphik:
Die relationen:
1.relation: individuum_als_ich<==|==>betriebswirtschaftl.rechnung
2.relation: individuum_als_ich<==|==>volkswirtschaftl.rechnung
3.relation: betriebswirtschaftl.rechng<==|==>volkswirtschaftl.rechng.


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finis

stand: 10.02.24.  //eingestellt: 08.12.31.

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