Subtext: 2.71.01-02

2.71.01

meine interpretation des Kant'schen begriffs: postulat, ist eine form der selbstverständigung. Das postulat ist ein werkzeug der mathematischen methode, das in der historia der erkenntnis als werkzeug des erkenntnisgewinns adaptiert wurde und das, entsprechend den verändernden bedingungen und zwecken, der metaphysik angepasst wird(a). Kant hatte, losgelöst von den spezifischen gegenständen, die unter dem terminus: postulat, gefasst werden, die funktion des postulats im kontext seiner kritischen philosophie begründet. Weil die reflexionsbegriffe zweideutig sind, eingegrenzt in der antinomie der gesetzten gründe, ist es für Kant notwendig, ein werkzeug verfügbar zu haben, das, das theoretische problem offenhaltend, praktisch ein resultat bewirkt, auf dem das individuum als ich und sein genosse ihre welt rational gründen und bauen können. Insofern wirkt der Kant'sche text auf mich wie ein spiegel, in dem Ich das bild sehen kann, das Ich als ich bin(b). In diesem bild ist die idee: gott, kein element(c).
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(a)
in der historia dieser anpassungsprozesse(01) ist die vorstellung: gott, das entscheidende moment, das als glaube an diesen gott ein kriterium des begriffs: postulat ist, und so wird es auch noch heute gehandhabt(02).
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(01)
es ist ein aspekt für sich, wenn diese historia der anpassung nachgezeichnet werden soll. Es dürfte keine schwierigkeiten geben, die dokumente der historia in dieser weise(=differente perspektiven) auszulegen; denn das, was die zeigenossen heute als prozess der historia ansehen, andere sagen, als den gang der geschichte, diesen für wahr haltend, das ist nur das resultat einer bestimmten strategie, die die interpretatoren der tradition wirksam umsetzen, es könnte auch anders gedacht werden. Insofern ist Kant's anstrengung, die gottesidee als mögliches moment des postulats auszuweisen, ein baustein, mit dem die zeitgenossen von heute ihre welt bauen können und/oder bauen müssen.
(02)
es ist auch zu erwägen, welche funktion die gebrauchte terminologie hat, wenn in ihr über das problem: postulat, reflektiert wird. Jeder gebrauchte terminus hat die wirkung, dass seine funktion, ein ding der welt als dieses zu bezeichnen, auch dazu genutzt werden kann, das weltding, mit dem terminus in das licht der welt gestellt, in diesem licht zu verbergen. Das reden vom verborgenen gott und/oder einer negativen theologie(*1), eigenwillig interpretiert, ist als ein einschlägiger versuch zu werten.
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(*1)   //==>argument: 2.82.06/(b/01).       (a)<==//
(b)
der text als spiegel, das spiegelbild als repräsentation des selbst, ist eine metapher, und nur in den grenzen der metapher kann das spiegelbild seine erkenntniskritische funktion ausfüllen. Es sollte immer bedacht werden, dass es der spiegel, das_andere, ist, der dem individuum als ich, sein genosse eingeschlossen, das vermittelt, was es selbst ist und/oder als dieses selbst erscheinen will. Die vorstellung eines gottes hat in der tradition auch die funktion des spiegels. In seinem gott sieht der gläubige sich selbst.       (b)<==//
(c)
Kant hat das fenster aufgemacht, gleichwohl er selbst, für sich bindend, an einen persönlichen gott noch geglaubt haben könnte. Mit oder ohne die idee: gott, können das individuum als ich und sein genosse ihre welt schaffen, weil der glaube an etwas, aus dem das individuum, das das ich sein will, lebt, in diesem wissen nicht negiert ist.        (c)<==//                        (text)<==//
2.71.02
der vergleich des philosophischen denkens Kant's und Hegel's ist in doppelter hinsicht zu beurteilen.

Zum ersten in der sache. Beide sind zwar ontologen, fest in der tradition verwurzelt, aber sie haben einen unterschiedlichen zugang zum problem der ontologie. Kant steht kritisch zur tradition und versucht die neuen bedingungen des erkennens zu formulieren, ohne daraus eine logik des geschichtlichen prozesses zu entwickeln(a). Hegel hatte die tradition verinnerlicht(b) und gibt der ontologischen idee in seiner philosophie des begriffs, ausmündend in der vorstellung eines absoluten geistes, eine neue interpretation, die zwingend in der Philosophie der Geschichte ihre form erhalten hatte.

Zum zweiten in der zeitenfolge. Kant war 1804 zu Königsberg verstorben, erst 1806 war Hegel in Jena angekommen und mit dem entwurf der Phänomenologie des Geistes beschäftigt. Es ist also möglich, dass Kant von Hegel nichts gewusst hatte(c), Hegel aber, der student und junge professor, hatte Kant gelesen und konnte sich kritisch mit dessen thesen auseinandersetzen(d). Daraus folgt, dass es nur spekulationen der zeitgenossen und der nachlebenden Kant's und Hegel's sein können, was Kant über die spekulationen Hegel's gedacht haben könnte. Über das, was die rezipienten Kant's und Hegel's über diese gesagt haben und/oder noch sagen werden, kann also viel räsoniert werden, es sind aussagen, die viel über die interpreten Hegel's und Kant's aussagen, aber wenig über Kant und Hegel selbst(e).
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(a)

im blick auf Kant ist zu bemerken, dass für Kant die historia und die darauf aufgebaute philosophische reflexion des historischen prozesses ein nachrangiges thema gewesen war, anders für Hegel, der, sich auf die fakten des historischen prozesses stützend, den historischen prozess in eine geschichtliche notwendigkeit umgedeutet hatte. Ich stelle nur das faktum fest, ohne es einer weiteren analyse und reflexion zu unterwerfen.      (a)<==//
(b)
Ich denke, dass es nachvollziehbar ist, Hegel's interpretation der geschichte als eine theologie der geschichte zu bezeichnen. Der kern seiner reflexionen über die dokumente der historia ist die deutung der geschichte als prozess, der in seinem ziel die vollendung finden wird - die theologen haben dafür den terminus: erlösung. Im blick auf die nachlebenden ist diese idee von den linkshegelianern aufgegriffen und, so hatten sie es geglaubt, auch realisiert worden - allein die vollendung ist ausgeblieben, bis jetzt(01).
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(01)
zumindest der junge Marx hatte Hegel's deutung des geschichtlichen prozesses in der hoffnung auf vollendung/erlösung rezipiert und dieser hoffnung im kommunistischen Manifest beredten ausdruck gegeben. Dieser horizont des Hegel'schen geschichtsbegriffes sollte nicht ignoriert werden, wenn die dokumente der historia beurteilt werden.      (b)<==//
(c)
mir ist keine notiz bekannt, die die behauptung stützen könnte, dass Kant von Hegel kenntnis gehabt hatte.      (c)<==//
(d)
wie Hegel seine bekanntschaft mit dem werk Kant's später beurteilt hat, das ist, zusammengefasst, in seinen vorlesungen zur Geschichte der Philosophie nachzulesen(01).
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(01)
Hegel,G.W.F.: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III. Bd.20, p.329-386. /bibliographie //==>argument: 2.92.09.      (d)<==//
(e)
Richter,Ulrich: Der terminus: freiheit, und die möglichen freiheitsbegriffe im denken Kant's, Hegel's und des rezipierenden individuums als ich. 024:rezeption. /bibliographie //==>argument: 2.92.19.       (e)<==//                   (text)<==//
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//==>subtext: 2.72.01:
(anfang)<==//
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stand: 17.12.01.
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