Subtext: 2.51.01-03

2.51.01

es sollte ausser zweifel stehen, dass Cusanus an den EINEN gott geglaubt hatte(a). Es sollte aber beachtet werden, dass der philosoph: Cusanus, auch der theologe: Cusanus, gewesen war, der als vertreter der kirche das interesse der institution: kirche, zu vertreten hatte. Als individuum, das ein ich ist, musste Cusanus die spannung austarieren, die zwischen dem glauben und dem wissen besteht, eine differenz, die er in seiner person lebte, seine lehre einerseits behauptend und verteidigend, andererseits den dienst für die kirche erfüllend, der ihm den bürgerlichen unterhalt sicherte, ihm das nachdenken über den glauben in den formen des wissens verstattend. Die differenzen zwischen seiner lehre und der dogmatik seiner kirche, logisch ein widerspruch(b), können und sollten beiseite gestellt werden, weil diese differenzen, politisch bedingt, nachrangig sind und das problem des zureichenden grundes, den anfang im blick, nicht klären können(c).
----
(a)
einerseits ist die behauptung, der philosoph: Cusanus, müsse aufgrund seines wissens an gott verzweifeln, dem EINEN gott nämlich, an den der theologe: Cusanus, glaubt, eine these, die als möglicher schluss logisch plausibel ist(01), andererseits verfehlt aber dieser schluss die lebenswirklichkeit. Die biographischen daten weisen keinen anhaltspunkt auf, Nikolaus von Kues habe ernsthaft an seinem glauben an gott gezweifelt, gleichwohl er vor dem problem gestanden hatte, sein verfügbares wissen mit dem glauben kompatibel zu machen, offene widersprüche zwischen glauben und wissen vermeidend.
----
(01)
dieser syllogismus kann als negativer, präziser formuliert, als umgekehrter gottesbeweis konstruiert werden. Der schluss, Cusanus habe an seinem gott gezweifelt, ist dann logisch zwingend, wenn die prämissen für das gewünschte resultat passend gemacht sind.      (a)<==//
(b)
die aussage scheint in einem widerspruch zu stehen mit der struktur seiner schrift: De docta ignorantia, deren konstruktion so gestaltet ist, dass die lehre des Jesus von Nazareth im III.buch der schlusstein ist, der den bogen der argumente trägt. Wenn davon geredet wird, dass zwischen der lehre des Cusanus und seinem wirken als repräsentant seiner kirche ein widerspruch bestünde, dann sind diese aussagen erwägungen der nachlebenden interpreten, die den autor der lehre, der geglaubt hatte, im eigenen horizont auslegen, gebunden an ihre wahrheiten.      (b)<==//
(c)
die behauptung ist nicht bestreitbar, dass die lehre des Cusanus und die dogmen der traditionalen theologie nicht vergleichbar sind. Es kann also begründet vermutet werden, dass die theologen seiner zeit das denken des Cusanus, durchtränkt mit mathematischen überlegungen, in seiner tragweite nicht verstanden hatten. Es gilt, dass dem theologen es genügt, wenn der gläubige an seinen gott glaubt, ein glaube, der der gründe dann nicht bedarf, wenn das ritual buchstäblich strikt eingehalten ist, der philosoph aber, der, ein nicht ausräumbarer widerspruch, wissen will, was sein glaube ist, der muss gründe benennen für das, was er, in den formen des glaubens, als wissen anerkennen will, notwendig den glauben zurückstellend.        (c)<==//              (text)<==//
2.51.02
als philosoph und theologe war Cusanus in die struktur des denkens seiner zeit eingebunden(a). Sein nachdenken über das sein, eingeschlossen Platon's ideen, ist ein spiegelbild des traditionalen wissens. Dieses wissen hat zum kern die vorstellung eines seins, das die theologen, zugleich philosophen seiend, als die schöpfung des EINEN gottes interpretieren, die als konstruktion des gottes, real präsent, ohne widerspruch ist. Den gläubigen predigen die theologen, dass die schöpfung vollkommen sei, und, weil die schöpfung ohne widerspruch gedacht wird, müsse, so folgern sie, auch das universum ohne widerspruch sein und vollkommen. Mit dieser vorstellung, prima vista plausibel, hatten sich, secunda vista, die verfechter der tradition immer wieder arrangieren können, weil sie, auf die lehre von der schöpfung verweisend, die aporie des glaubens im wissen und des wissens im glauben ausgeklammert hatten, nämlich das problem, wie das sein(=schöpfung) als das ganze in der perspektive der daseienden teile gedacht werden könne und wie das sein als das ganze wahrgenommen werde in den teilen, den daseienden weltdingen. Cusanus wusste, dass die aussagen über das sein in den formen der daseienden dinge nicht das einlösen können, was sie einlösen müssen. So hat er, als ausweg aus der aporie, seine theorie von der docta ignorantia entwickelt, die einerseits ein präzises kausalsystem ist, das den dingen der welt eindeutig ihren ort zuweist, die als theorie aber andererseits den gründenden grund nur als etwas daseiendes ausweisen kann, pragmatisch gehändelt in der idee des EINEN gottes, der als schöpfer der welt zugleich auch die letztmögliche ursache dieser welt sein müsse.
----
(a)
diese feststellung passt nicht in das bild, das die nachfolger des Cusanus geschaffen hatten, sein philosophieren als umsturz der anschauungen seiner zeit interpretierend. Die frage, ob Nikolaus von Kues damals ein revolutionär gewesen war, ist nachrangig, weil es heute im interesse seiner interpreten liegt, ihn zu einem revolutionär umzudichten. Die aporie des glaubens im wissen und des wissens im glauben ist mit einer provozierenden behauptung weder gelöst noch aus der welt geschafft - sie ist hier und jetzt das problem.       (text)<==//
2.51.03
der titel: De docta ignorantia, zeigt eine aporie an, die einerseits mit dem staunen als nichtwissen kokettiert und die andererseits das philosophieren als wissen behauptet(a). In dieser spannung von unwissenheit und wissen ist die dialektik verortet, die als reflexion(=apperzeption) in jeder wahrnehmung der weltdinge(=perzeption)(b) das wissen und das nichtwissen relationiert, eine relation, die immer ein denkendes, die weltdinge wahrnehmendes individuum als ich zum horizont hat(c). Diese relation von wissen und nicht_wissen greift Cusanus auf und demonstriert mit seiner speziellen form von beweisführung(d), dass das wissen, gesichert durch mathematische beweise, letztlich zu einer form des wissens führt, die von ihm mit den terminus: unwissenheit(=ignorantia) bezeichnet wird. Sein verfahren ist beeindruckend, aber es führt nicht zum ziel, die dialektik von wissen und glauben aufzuheben. Die verschmelzung des explicans mit dem explicandum ist zwar der traum der philosophen, die theologen eingeschlosen, davon wissen die mystiker zu sprechen, aber dieser traum der ideologen ist in raum und zeit in keinem fall abschliessend wirklich.
---
(a)
meine einschätzung ist auf einem zitatfragment fundiert, das Ich der ansprache Nikolaus von Kues' an den kardinal: Julian, d.i. Guiliano Cesarini, entnommen habe. Ich zitiere: "Es scheint mir daher sinnvoll, daß das Staunen, das zum Philosophieren hinführt, dem Drang zum Wissen vorangeht"(01).
----
(01)
das zitat in der lateinischen fassung: "Ita recte puto admirari, propter quod philosophari, sciendi desiderium praevenire"(*1).
Zusatz.
Das wort: admirari, übersetzt mit den wörtern: "bewundern, anstaunen, sich wundern über, sonderbar finden" verweist auf den zustand, der für den glaubenden eigentümlich ist. Der gläubige ist sich, wie der bewunderer einer sache, seiner sache sicher, aber ein zweifel, ob das, was geglaubt wird, alles seine richtigkeit habe, ist immer der fundierende bass(*2). Das wort: admirari, mit dem wort: staunen, übersetzt, trifft den zusammenhang präzis. Auch ist zu erwägen, dass in der tradition das philosophieren und das glauben immer als eine form von symbiose angesehen wurde: wer glaubt, der philosophiert auch, und wer philosophiert, der muss an das glauben, was gegenstand seines philosophierens ist.
----
(*1)
Nikolaus von Kues: De docta ignorantia. I,1(vorrede). p.2/4-3/5. /bibliographie //==>argument: 2.92.18.
(*2)
die grossen glaubenden der weltgeschichte waren, so steht's in den heiligenlegenden, immer auch die grossen zweifler im glauben.     (a)<==//
(b)
die terminologie Leibniz' ist ergänzend eingefügt.     (b)<==//
(c)      //==>argument: 2.23.08.       (c)<==//
(d)
es ist unbestritten, dass die beweise der mathematik und der geometrie, begrenzt auf das feld der geometrie und der mathematik, logisch zwingend sind. Es ist aber logisch nicht zulässig, einen beweis, der im bereich der mathematik oder der geometrie gültig ist, auf die bereiche der ontologie zu übertragen(01). Akzeptabel mögen noch die analogieschlüsse sein, mit denen plausibilitäten vermittelt werden, aber jeder beweis ist falsch, der in einer analogen situation angewendet wird, weil der beweis nicht_tauglich ist, etwas auf richtig/falsch zu beurteilen, das mit den kategorien: wahr und unwahr, beurteilt wird. Wenn anerkannt ist, dass es logisch nicht zulässig sei, das, was in dem einen bereich unbestritten gültig ist, eins zu eins, die bedingung jedes strikten beweises, auf den anderen bereich der erfahrung zu übertragen(02), dann kann Cusanus mit seinen mathematischen beweisen eine denkbewegung zwar plausibel darstellen, aber seine beweise können nicht als beweis taugen für das problem, die ontologie nämlich, das mit der dialektik von sein und daseiendem aufzulösen ist. Weder ist das ganze das grösste, noch das kleinste das ganze, und in der koinzidenz sind das kleinste und das grösste verschwunden, ununterscheidbar nicht_entscheidbar(03).
----
(01)    //==>argument: 2.31.10.    (d/01)<==//
(02)
Ich verweise auf die gescheiterten versuche, den fortgang der (welt-)geschichte mit den gesetzen der ökonomie erklären zu wollen und zu beweisen. Die resultate waren, verheissungen im 19.jahrhundert, im 20.jahrhundert ein desaster.       (d/02)<==//
(03)
Ich zitiere: "Und so ist das Größte das absolut Eine, welche alles ist. In ihm ist alles, da es das Größte ist, und weil sich ihm nichts gegenüberstellen lässt, so fällt mit ihm zugleich auch das Kleinste zusammen. Deshalb ist es auch in allem. Und weil es das Absolute ist, darum ist es alles mögliche Sein in Wirklichkeit. Es kontrahiert keine Seinsbestimmung, da alles Sein von ihm kommt"(*1).
----
(*1)
die lateinische fassung: "Maximum itaque absolutum unum est quod est omnia; in quo omnia, quia maximum. Et quoniam nihil sibi opponitur, secum simul coincidit minimum. Quare et in omnibus. Et quia absolutum, tunc est actu omne possibile esse, nihil a rebus contrahens, a quo omnia"(+1).
----
(+1)
a.a.O. I,II,5. p.10/11.
Zusatz.
Anzumerken ist, dass die übersetzung weit über das hinausgeht, was im lateinischen text gesagt ist. Die übersetzung von A.Schmid ist eleganter. Ich zitiere: "Das Größte ist Eines, das Alles und in dem Alles ist, weil es das Größte ist. Weil ihm nichts entgegengesetzt werden kann, fällt mit ihm das Kleinste, das deshalb auch in Allem | ist, zusammen; weil es absolut ist, ist es in Wirklichkeit alles mögliche Sein, ohne als das, von dem alles ist, etwas von den Dingen an sich zu ziehen"(§1).
----
(§1)
Nikolaus Cusanus: Vom Wissen des Nichtwissens. I,2. p.10/11. /bibliographie //==>argument: 2.92.18.    (d/03)<==//          (d)<==//           (text)<==//
===============
//==>subtext: 2.52.01:
-
zurück/anfang.<==//
-
zurück/bibliogr.daten<==//
-
stand: 17.12.01.
zurück/übersicht //
zurück/neue_texte //
zurück/bibliographie //
zurück/bibliographie/verzeichnis //
zurück/bibliographie/liste //